Venedig-Tagebuch Schwarze Dahlie und Verschwörungen

Der erste Höhepunkt zur Eröffnung des 63. Filmfestivals von Venedig: Die Verfilmung des Romans "Die schwarze Dahlie" von Brian de Palma. Mit dabei: Scarlett Johansson, unterfordert, und Josh Hartnett, mit Nussknacker-Mimik.

Als der pathologisch flugängstliche Verfasser dieser Zeilen nach einem zwanzigminütigen Berg- und Tal-Anflug aufs regenumtoste Venedig endlich um 23 Uhr gelandet und noch 50 Minuten mit einem Boot durch die feuchte Düsternis zum Lido geschippert war, sich anschließend wegen akuten Bus- und Taxi-Mangels eine weitere halbe Stunde mit dem Koffer im Schlepptau durch die Sintflut zum Hotel kämpfte und endlich völlig durchgeweicht sein Zimmer enterte, als er dieses Martyrium endlich hinter sich hatte, da dachte er: Egal, morgen beginnt eins der schönsten, wenn nicht gar das schönste Filmfestival der Welt, die 63. Mostra internazionale d’arte cinematografica. Und ich bin privilegiert, dabei zu sein. Und noch mehr: Als Eröffnungsfilm hat sich der Chef des Ganzen, Marco Müller, die Verfilmung von James Ellroys "Die schwarze Dahlie" geangelt, eines der großartigsten Bücher, das jemals geschrieben worden ist. Wunderbar.

Am nächsten Tag so gegen halb zwei sah die Welt dann wieder anders aus. Der Abspann schlich über die Leinwand, und all die leisen, von der Vorfreude ausgeblendeten Skrupel, waren bestätigt worden: Dass etwa der für das Projekt adäquate Regisseur David Fincher zuvor ausgestiegen war, weil kein Drehbuchautor dieses Roman-Monster zu bändigen gewusst hatte. Dass Brian De Palma übernommen hatte, in den letzten Jahren primär durch einen übertriebenen Hang zu Manierismen und Stangenware wie "Mission: Impossible" aufgefallen. Oder dass eine der Hauptfiguren mit Josh Hartnett besetzt wurde, der im Grunde ja ein ganz netter Junge ist, aber mit seiner limiterten Nussknacker-Mimik in dem emotionalen Erdbeben, das er in der Geschichte erleidet, völlig überfordert wirkt.

Zertrümmerte Träumte und korrupte Cops

Der Wahnwitz, mit dem uns Ellroys finsteres Fresko um den grausamen Mord an dem Starlet Elizabeth Short in die Abgründe eines schmutzigen Los Angeles der Spätvierziger mit korrupten Politikern, käuflichen Cops und zertrümmerten Träumen stürzt, macht der Film in keiner Sekunde spürbar. Die beiden ermittelnden Polizisten, der impulsive Lee Blanchard (einziger Lichtblick: Aaron Eckhart) und Bucky Bleichert (Hartnett) bleiben ebenso eindimensional wie die von beiden begehrte Blondie Kay (unterfordert und in letzter Zeit zu oft gesehen: Scarlett Johansson) und die verruchte Madeleine Linscott (angestrengt: Hilary Swank), die in dem Fall eine Schlüsselrolle spielt. Auch, wenn man mal die Vorlage außer Acht lässt, kommt "Die schwarze Dahlie" nicht über das Niveau eines mittelmäßigen Nostalgie-Krimis in gepflegtem Sepia hinaus. Warum eigentlich ist im Sequel-süchtigen Hollywood niemand auf die Idee gekommen, das brilliante "L.A. Confidential"-Gespann Curtis Hanson (Regie) und Brian Helgeland (Skript) auch für die anderen drei Teile von Ellroys sogenanntem L.A. Quartett einzuspannen? "Blutschatten" und "White Jazz" sind noch unverfilmt. Es gibt noch Hoffnung.

John Lennon wurde vom FBI observiert

Derzeit arbeitet James Ellroy am dritten Teil seiner in den sechziger Jahren angesiedelten American Underworld Trilogie, deren erste beiden Teile "Ein amerikanischer Thriller" und "Ein amerikanischer Alptraum" sich auf gewohnt fiebrige Weise mit den Verfilzungen von Politik, Mafia, FBI, Gewerkschaften und Polizei beschäftigen. Durchaus möglich, dass darin auch der Name John Lennon vorkommen wird, denn, was vielleicht einige nicht gewusst haben: Der ehemalige Beatle wurde mit Billigung vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon vom FBI observiert.

Wie es dazu kam, schildert die ungemein spannende Dokumentation "The U.S. v.s. John Lennon", die in der Nebenreihe Orrizonti läuft. Das Regie- und Autoren-Duo David Leaf und John Scheinfeld zeichnet den Weg eines Pop-Genies nach, das durch seine (und die seiner Frau Yoko Ono) Unterstützung radikaler Vietnamkriegs-Gegner plötzlich auf das Radar der amerikanischen Regierung geriet, die in ihrer Paranoia schließlich alles daran setzte, um den unbequemen Briten mittels Kündigung der Aufenthaltserlaubnis aus dem Land zu befördern. Der Rest ist Watergate...

Das Remake vom Remake "Kaltblütig"

Ein enfant terrible auf seine Art war auch Truman Capote, was für einen Teil der deutschen Kinobesucher nicht wirklich eine Neuigkeit ist. Gerade mal ein halbes Jahr ist es her, das uns Regisseur Bennett Miller in "Capote" an die Fersen des ebenso genialen wie skurrilen Schriftstellers heftete bei den Recherchen zu seinem Meisterwerk "Kaltblütig", dem Reportage-Roman über den Mord von Perry Smith und Dick Hickock an einer vierköpfigen Familie in Kansas anno 1959.

Douglas McGrath erzählt in "Infamous" dieselbe Geschichte, aber sein Orrizonti-Beitrag "Infamous" ist dennoch ein anderer Film geworden. Natürlich sind déjà vu-Momente unvermeidlich, aber seine - mit Sandra Bullock, Sigourney Weaver, Jeff Daniels und Isabella Rossellini formidabel besetzte - Version ist im Gegensatz zu Millers formal strengerem und düsteterem Pendant leichter, schillernder, phasenweise gar äußerst amüsant, ohne den psychologischen Konflikt zwischen Perry und Capote zu vernachlässigen.

Ein besserer Capote als Oscar-Gewinner Seymour

Und wer weiß, wie die Oscar-Verleihung gelaufen ware, wenn McGraths Film vor "Capote" ins Ziel gegangen ware. Der Brite Toby Jones weist nicht nur eine frappierende Ähnlichkeit mit seiner Rollenfigur auf, er spielt den näselnden Autoren-Gnom auch weitaus ungezwungener als sein Kollege Philip Seymour Hoffman, der ja für seine, sagen wir Anstrengungen, bekanntlich einen Oscar gewonnen hat.

Regisseur De Palma Stammgast am Lido

Ein Film übrigens, der im Gegensatz zur "Schwarzen Dahlie" dem Wettbewerb durchaus gut getan hätte. Aber auch bei Festivals geht’s ja oft politisch zu: Brian De Palma ist mit fünf Premieren auf dem Lido ein alter Venedig-Freund. Die Jury um Catherine Deneuve wird sich hoffentlich davon nicht leiten lassen.

Jetzt muss nur noch das Wetter besser werden. Und wenn nicht, auch wurscht. Der Verfasser dieser Zeilen hängt ohnehin die meiste Zeit im Kino rum und muss erst in einer Woche wieder ein Flugzeug besteigen.

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