Die zwei schönsten Tage im Leben eines Yachtbesitzers, so sagt man, seien der Tag, an dem er die Yacht kauft – und der, an dem er die Yacht wieder los wird. Ein ähnliches Glücksgefühl schien Sheryl Crow zu empfinden, als sie sich publikumswirksam von ihrem Tesla trennte. Zufrieden lächelte die linksliberale Rocksängerin, als das E-Mobil von dannen geschleppt wurde. Die Frau hat immerhin schon ein paar Grammys gewonnen, aber selten wirkte sie so happy wie hier.
Man kommt beim schäbigen Verhalten von Crazy Elon doch kaum umhin, die rollende Vertretung des Superschurken kraftvoll abzustoßen, oder? Bei Tesla kriegst du als moralisch korrekt justierter Mensch sogar zwei Karmapunkte zum Preis für einen: Hast du beim Kauf des elektrifizierten Pioniervehikels damals noch ein starkes Signal für Klimaschutz gesetzt, ist die geräuschvolle Trennung vom futuristischen Schandgefährt ein Fanal gegen den Muskschen Neofaschismus. Es tut einfach gut, das Richtige zu tun.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Ein Schweinesystem, das täglich mächtiger zu werden scheint: Will man da wirklich Teil von sein? Wenn der Despotenkuschler Jeff Bezos als Besitzer der "Washington Post" aus Angst vor Donald Trump nun kritische Meinungsstücke im eigenen Blatt verbieten will – darf man dann so jemanden unterstützen, in dem man seinen Streamingdienst Prime nutzt? Noch mag er lächeln, wenn er aufgepumpt wie ein Vin-Diesel-Double mit glasigem Blick die Rakete wienert, aber wenn die Erlöse seiner Medienbude zurückgehen, dann wird er schon sehen! Hier greift die Marktmacht des Kollektivs. Wenn nur genug mitmachen, erzwingen wir eine Verhaltensänderung. Das Individuum ist eben nicht machtlos! Kollektive Selbstwirksamkeit, im Einklang zu einer besseren Welt mit höheren ethischen Standards.
Wenn sich nur genügend Leute beschweren, wird das Werk von R. Kelly eben nicht mehr gespielt. Oder die Cosby-Show nicht mehr gezeigt. Gut, bei allem, was vorliegt, dürften auch keine Michael-Jackson-Songs mehr laufen. Dummerweise ist das Oeuvre zu gut. "Sicher, da ist die Pädophilie, aber da ist auch Billie Jean!" Es hängen außerdem so viele schöne Erinnerungen dran. Soll das jetzt auch alles weg? Irgendwann ist ja mal gut!
Maggi boykottieren? Niemals!
Als ruchbar wurde, dass Nestlé den Ärmsten das eigene Trinkwasser wegpumpt und teuer wieder verkauft, waren wir uns alle einig: "Die werden boykottiert! Alle aus dem Konzern! Kit-Kat-Riegel? Weg! Buitoni-Nudeln? Weg! Caro-Kaffee? Wieso hatten wir den eigentlich im Schrank? Weg! Maggi? We...! Was? Maggi auch?! Ja, gut, da muss man vielleicht auch mal die andere Seite hören, bevor man da Nestlé vorschnell verurteilt." Erst kommt Maggi ins Essen, dann die Moral. Schnell mussten wir erkennen: Bei Nestlé sind die Beteiligungen zu vielfältig. Wir können ja nicht einfach nur an einem Stein lutschen. Und nur weil Borussia Dortmund sich von Rheinmetall sponsern lässt, kann ich nicht plötzlich Fan von Westfalia Herne werden.
Vom Nerd zum reichsten Jetsetter der Welt: Das Leben von Jeff Bezos in Bildern

Hatten wir je eine Chance, uns sittlich einwandfrei zu verhalten, ohne in einer Höhle zu leben? Eingewoben in ein Geflecht aus konsumtiven Verfehlungen stehen wir ein wenig ratlos da und müssen erkennen: Sauber kommen wir hier nicht raus. Was uns nicht davon abhalten sollte, uns so anständig wie möglich zu verhalten. Aber klar ist auch: Am Ende kann's nicht darum gehen, dass die Weste weiß bleibt, sondern nur: Ist sie eher hellbeige – oder braun?
Neben Leonardo DiCaprio ist Jeff Bezos nur ein glatzköpfiger Opa
Hätte Sheryl Crow Elon Musks sensationell schlecht verarbeitete Psychopatengondel noch ein paar hundert Kilometer mehr gefahren, sie wäre ihr vermutlich sowieso komplett vom Chassis gefallen. Aber ein Protest, den niemand bei (Mark Zuckerbergs) Instagram mitbekommt, ist der überhaupt einer?
Vertrauen wir einfach darauf, dass das Leben mit den fiesen Milliardären auf seine banal grausame Weise fertig wird. Wenn Leonardo DiCaprio auftaucht, ist Jeff Bezos für seine eigene Verlobte auch nur ein glatzköpfiger Opa. Und Elon Musk? Produziert so lange Kinder, bis wenigstens eines ihn mal mag.
Und wir Boykotteure? Ja, vielleicht bestelle ich heldenhaft Prime ab – aber erstmal guck ich "Yellowstone" zu Ende. Ich muss jetzt auch mal an mich denken.