Genau genommen waren es nicht die großen Fickbilder, die 1998 in der damals angesagtesten Galerie in SoHo hingen. Es war vielmehr das Kleid, das Cecily Brown trug, als 1999 im Brooklyn Museum of Art die als solche angelegte Schau "Sensation" eröffnet wurde, das ihr den Durchbruch bescherte. Ein Outfit, das mehr aus- als anzog und einzig mit jenem zu vergleichen sei, welches Cher zur Oscar-Verleihung 1987 getragen habe, schrieb das "Flash Art Magazine", das so eine Art "Bunte" der Kunstwelt ist und insofern eine Instanz für Auf- und Abstiege.
Die New Yorker Kunstszene feierte ihr erstes It-Girl. Nicht so abgerissen und durchgeknallt wie die Londoner Skandalschlampe Tracey Emin, sondern eine sexy gestylte Alpha-Frau aus dem britischen Bürgertum mit Rock-'n'-Roll-Attitüde, deren farbgesättigte Öl-auf-Leinwand-Orgien und glamourösen Auftritte auf Promi-Partys ein einziges erotisches Versprechen darstellten. Ein Must-have - was gleichermaßen für die Frau wie für ihre Bilder galt.
Nun, zehn Jahre später, ist sie unter der Haube. Hat den Architekturkritiker der "New York Times", Nicolai Ouroussoff, geheiratet und steht kurz vor der Niederkunft ihres ersten Kindes. Und dann wird sie auch noch 40. Zeit, sich ein paar Gedanken zu machen. Überhaupt scheint es, als bestünde ihr Leben vor allem aus dem Glück des passenden Augenblicks. Was läge jetzt näher, als das europäische Publikum mit einer "Mid-Career Retrospective" zu gewinnen, einer Überblicksausstellung auf halber Wegstrecke zum ewigen Ruhm - ausgerichtet von den Hamburger Deichtorhallen.
"Total geschockt"
"Mein Leben hat sich in jüngster Zeit ganz schön verändert. Bevor ich Nicolai traf, hatte ich nicht mehr erwartet, noch Mutter zu werden. Ich liebte mein Leben, konnte Tag und Nacht arbeiten und machen, was ich wollte - und auch noch von meiner Kunst leben. Das ist so unglaublich privilegiert! Um ehrlich zu sein: Ich bin immer noch total geschockt von der ganzen Sache."
Brown streift die schwarzen Biker-Boots ab. Das ärmellose schwarze Shirt gibt schlanke, muskulöse Oberarme frei und schmiegt sich eng um den Kugelbauch. Durch die Fensterfront ihres Ateliers an der 16. Straße westlich des Union Square scheint die Frühlingssonne auf den riesigen, mit Katalogen, Briefen, Skizzen, Kaffeebechern und Zeitungen überhäuften Tisch. Mittendrin steht eine Flasche Bio-Ketchup.
Mit ihren pornografischen Gemälden stieß Cecily Brown vor gut zehn Jahren in eine Marktlücke, die auch andere New Yorker Maler ausgemacht hatten: Rita Ackermann, Lisa Yuskavage, John Currin und Richard Phillips eroberten die Wände der neuen Superreichen, die nach gesellschaftlicher Aufmerksamkeit lechzten. Die Kunstmessen zwischen Basel und Miami Beach, die Vernissagen und Auktionen der völlig überdrehten Kunstwelt bereiteten das Parkett.
Jetzt, da der Kunstmarkt darniederliegt, erweisen sich viele der einstigen Trendkunstwerke als unverkäuflich. Die Sammler von Cecily Brown dagegen haben offenbar auf die Richtige gesetzt. Hinter dem zur Schau gestellten Hedonismus wuchs und reifte eine Künstlerin, die nicht nur mit der triebhaften Energie eines Workaholics ans Werk geht, sondern auch eine gute Geschichte zu erzählen hat. Brown: "I have a story to tell."
Ein Atelier und Kellnerjobs
Dass sie die uneheliche Tochter von David Sylvester ist, eröffnete ihr die Mutter, die renommierte englische Schriftstellerin Shena Mackay - selbst ein Cover-Girl der intellektuellen Boheme im London der 60er Jahre - erst nach dem 21. Geburtstag. Sylvester, der Dean der englischen Kunstkritik, führte die Kunstakademie-Absolventin in die Szene New Yorks ein, wo sie sich 1994 ein Atelier gesucht hatte und mit Kellnerjobs über Wasser hielt. Nur ein Jahr nachdem sie bei Jeffrey Deitch Projects überdrehte Bilder von Hasen ausgestellt hatte, überraschte sie das Publikum mit Pornogemälden. Von nun an ging's bergauf.
"Das passierte zu einer Zeit, als in New York der Rummel um Kunst und Mode ausbrach", sagt Brown. "Es gab plötzlich ein großes Interesse der Mainstream-Medien an der Kunstwelt. Um die Jahrtausendwende erschien das allen auf einmal glamourös." Sie war glamourös. Mit ausgefallenen Schuhen - "Sind die nicht von Christian Louboutin?", fragte sich etwa der Reporter der Londoner "Sunday Times" - und knappen Outfits stöckelte sie durch das Nachtleben der Stadt, und alle Welt konnte es später auf den People-Seiten von "Vogue" oder "Vanity Fair" nachlesen. Die Lordsiegelbewahrer der Kunstwelt schäumten: "Wie gut ist Cecily Brown? Lang nicht so gut wie der Hype um sie. Egal, wie sehr sich der Betrachter bemüht, er kommt zu keinem Ergebnis. Welche Geheimnisse auch immer es seien - der Sex, die Landschaft, die versteckten Objekte -, sie sind es nicht wert, entdeckt zu werden, denn es gibt hier nichts Lohnenswertes zu entdecken", schrieb Englands einflussreichster Kritiker, Adrian Searle, 2005 im "Guardian".
Was war passiert? Brown hatte sich mit ihren großen, gestisch-abstrakten Leinwänden und fleischlichen Darstellungen auf ein Terrain gewagt, das bislang ausschließlich den Super-Machos der Kunst vorbehalten war: ein bisschen Willem de Kooning, etwas Jackson Pollock und von der Haltung her 100 Prozent Julian Schnabel. Die Leinwand als ein Schlachtfeld für körperliche, aktionsgeladene Exzesse - und dann auch noch die coolen Fotos, das verlotterte Atelier, das hedonistische Ego. Ein Sturmangriff auf den männlichen Führungsanspruch!
"Zehn Jahre zuvor hätte ich es wieder und wieder gelesen, hätte geweint und wäre sehr deprimiert gewesen", erinnert sich Brown. Auf einem riesigen Wandregal ihres Ateliers stapeln sich die Highheels in der untersten Etage. Der Neun-Monats-Bauch fordert stabileres Tragwerk. Auf der mittleren Ebene lagern Puzzlekartons, auf der oberen kleinformatige Leinwände. Um die 20 unvollendete Bilder hängen überall an den Wänden, lehnen am Boden und auf Staffeleien. Alle in fleischlichen Rot- und Rosétönen. In der Mitte ein großes Bett mit vielen Kissen. "Bis vor zwei Wochen habe ich noch gemalt. Nun bin ich viel zu müde, meistens liege ich hier und betrachte meine Bilder."
Ein anderes Leben
Der explizite Sex ist aus den Gemälden verschwunden. Und die hochschwangere Frau aus den Klatschseiten der Magazine. "Hm, vielleicht bin ich ein wenig erwachsen geworden? Ich würde nicht sagen, dass die Bilder autobiografisch waren - aber wie anders war doch mein Leben, damals, als sie entstanden. Manchmal überfällt mich Panik, ich denke, mein Gott, was habe ich getan, da geht sie hin, meine Freiheit!"
Cecily Brown betont, wie ernst es ihr ist mit der Malerei. "Ich will eine erotische Spannung im Bild haben, aber subtiler, ohne sie direkt beschreiben zu müssen. Es geht um Schichten von Andeutung und Bedeutung. Um alles auf einmal. Das Risiko dabei ist natürlich, am Ende gar nichts zu haben."
Wie stand die Instanz David Sylvester zu ihrer Malerei? "Das Letzte, was er sah, war 2000 meine erste Show bei Larry Gagosian in New York. Er konnte kaum fassen, dass ich bei einer so glamourösen Galerie ausstellen durfte. Er spielte das mir gegenüber immer sehr herunter. Aber nachdem er 2001 gestorben war, sagten seine Freunde, oh mein Gott, er war sooo stolz auf dich. Lustigerweise glaube ich, er würde nicht mögen, was ich gerade tue. In seinen Essays aus den 50er Jahren schrieb er sehr herablassend über die britischen Abstrakten. Sie sollten entweder abstrakt sein oder die verdammte Figur malen. Und ich bin der klassische Typ, der immer beides haben will. Vielleicht dreht er sich gerade im Grabe herum: ‚Mal jetzt einfach diese Figur!‘"
Darauf muss der selige Sylvester noch eine Weile warten. Mit dem Kind beginnt der Kampf um die Zeit und Kraft zum Malen. Eine Neuerfindung als Künstlerin und Mutter ist fällig. Highheels und transparente Kleider fallen diesmal aus. Als die Fotografin Taryn Simon vorschlägt, sie nackt zu fotografieren, lehnt Brown ab. Wir schauen auf ein Porträt der Künstlerin als Ex-It-Girl. Der erste Schritt ist getan. Und es sieht so aus, als hätte sie mal wieder den richtigen Augenblick dafür gewählt.
Ausstellung: Deichtorhallen Hamburg, 25. April bis 30. August. Parallel dazu läuft eine Schau mit Bildern des Österreichers Herbert Brandl.