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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Bitte kein zweites 2020 – Impfpflicht jetzt!

Micky Beisenherz über die Impfpflicht
Um zu verhindern, dass sich das Lockdown-Jahr 2020 wiederholt, muss jetzt die Impfpflicht her
© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild / DPA
Die Inzidenzen galoppieren davon, die Krankenhäuser füllen sich, die Toten mehren sich. Um zu verhindern, dass sich der Herbst 2020 wiederholt, muss jetzt die Impfpflicht her, findet Micky Beisenherz.

"Sagen Sie, wann machen Sie denn morgen auf?" Eine Gaststätte bei mir um die Ecke. Ich sitze draußen zwischen den Menschen, die diesen schönen Herbstnachmittag genießen, mit Bier auf das Leben anstoßen. Draußen auch, weil es drinnen keine Plätze mehr gibt. "Ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt aufmachen. Wir haben seit Wochen kein Personal", ächzt die Geschäftsführerin.

Ein Satz, den man in Gastronomien zuletzt häufiger gehört hat. Im besten Falle wartet man länger auf sein Getränk. Nicht selten aber werden ganze Teilbereiche des Lokals nicht geöffnet oder die Bar gleich komplett geschlossen, weil nun mal niemand da ist, der servieren kann. Das gastronomische Äquivalent zu den gern genannten Intensivbetten, die auch dann mehr als nur statistischen Wert haben, wenn auch jemand dran steht und sich kümmert.

Auch im Service fehlen Zehntausende. Einer der Hauptgründe: Die Ungewissheit. Wer damals vom Lockdown betroffen war, kehrt im Herbst nicht zurück. Alle schauen zunächst, was passiert. Ob nicht doch wieder alles dicht gemacht wird. Wundersame Zeitumstellung. Plötzlich ist es wieder Oktober 2020. Klar, wir haben jetzt einen Impfstoff. Andererseits ist da Delta (nein, das ist nicht der neue Name von Facebook, auch wenn es da durchaus Parallelen gibt.), höhere Ansteckungen und vermehrte Fälle von Impfdurchbrüchen. (Bei denen sich alle unisono nicht ausmalen mögen, wie schlimm es ihnen ohne Impfung ergangen wäre).

Gruselige Neuinfektionsdynamiken

Die Inzidenzen galoppieren davon, die Krankenhäuser füllen sich, die Toten mehren sich. Wir erreichen Neuinfektionsdynamiken, die, als uns die Kanzlerin das damals vorrechnete, gruselig waren. Und jetzt sitzen ich da und ärgere mich, dass das mit dem Bier so lange dauert. Ich muss mich bei meinem Arzt melden. Letzte Woche rief er an wegen der ausstehenden Booster-Impfung.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Ich bin seit Juni genesen. Im August nachgeimpft. Jetzt soll ich geboostert werden. "Lassen Sie sich boostern!" So hat es auch Jens Spahn gesagt. Zwar klingt das ein wenig sloganhaft, fast, als hätte der scheidende Gesundheitsminister bereits für seine Anschlussverwendung bei einem Finanzdienstleister geübt, aber: Er hat ja recht.

Um nicht wieder in diese traumatisierende Zeit zu rutschen, wie wir sie vor einem Jahr hatten, müssen wir wohl oder übel die alte Impflogistik wieder hochfahren. Gefühlt ist es doch so: Ist die Gesellschaft ein Schiff, fängt es hinten am Heck schon wieder mächtig an zu rosten, während wir vorne am Bug eigentlich die Champagnerflasche klirren lassen wollten.

Booster-Impfung ist nötig

Wer im Januar doppelt gegen das Virus imprägniert wurde, hat es langsam wieder nötig. Diejenigen, deren Arme noch jungfräulich sind, sowieso. Deshalb: Zentren wieder aufmachen, Personal einstellen und zusätzlich zur Aufklärungskampagne: Ein Ende des Impfangebotes. Ab jetzt sollte es ein Impfgebot geben. Wir können uns diese Nachlässigkeit schlichtweg nicht mehr erlauben. Wenn ein Profifußballer ungeimpft ist, dann ist das schon einigermaßen verwunderlich, aber: ungeimpfte Pflegekräfte? Tote im Seniorenheim nach Corona-Ausbruch? Ja, wollen wir den ganzen Scheiß jetzt noch einmal durchspielen!

In einer besseren Welt würde die noch geschäftsführende Bundesregierung schnell die Impfpflicht durchboxen, diese unpopuläre Entscheidung auf sich nehmen. Was gäbe es groß zu verlieren? In England gehen die Leute sogar auf die Straße gegen Coronamaßnahmen, die es gar nicht mehr gibt. Man würde am Ende doch nur das Vertrauen in die Politik derer enttäuschen, die ohnehin keines mehr haben. Wir sind halt nicht Portugal, wo man durch eine kluge Kommunikation eine nahezu flächendeckende Durchimpfung geschaffen hat. Vielleicht taugen wir Teutonen einfach nicht zu dieser Art der sanften Erinnerung.

M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Bitte kein zweites 2020 – Impfpflicht jetzt!

Die Impfpflicht wäre auch kein Novum, so wie zum Beispiel die gesetzlich vorgeschriebene Vakzinierung gegen Pocken zwischen 1949 und 1975. Weltmeister sind wir damals trotzdem geworden. Ja, möglicherweise würden viele Leute auf die Straße gehen, der Wendler sich an die Quadriga ketten, die viel beachteten Querdenker ausflippen. Das tun sie allerdings auch schon für weniger. Und sie könnten sich beim Protestieren wenigstens einen Cappuccino im Café nebenan holen, weil der Laden, nun ja, halt eben noch geöffnet wäre. Psychologisch wäre die Impfpflicht sogar eine echte Chance.

Macht die Impfzentren wieder auf

Da, wo der Shot verbindlich ist, ist auch der Impfverweigerer vor dem Gesichtsverlust vor seiner Peergroup geschützt. Wenn es der Gesetzgeber vorschreibt, muss auch der Skeptiker den Gang zum Arzt nicht mehr rechtfertigen. Es würde uns auch befreien von den entsetzlichen Impfdebatten, die nicht selten ins Pastorale abdriften, wenn die private Impf-Entscheidung eines Nationalspielers in die Öffentlichkeit gezerrt wird und sich zwischen Angela Merkel und Uwe Seeler öffentlich alle um die Antikörper des Mannes sorgen dürfen. "Bundesregierung hofft auf Kimmich-Impfung". Wann kommen die Blauhelmtruppen?

Wie so jemand nach dem zweifellos vorhandenen öffentlichen Druck noch glaubwürdig sagen soll "Ihr habt mich überzeugt, ich lass mich jetzt impfen." ist mir absolut schleierhaft. Es ist gut jetzt. Macht die Impfzentren wieder auf. Verpflichtet die Leute zur Immunisierung. Wir alle haben es kommunikativ versaut. Jetzt ist Ende der Debatte, Pragmatismus angesagt. Und sei es nur, damit ich morgen in diese Kneipe kann.

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