Schon von Weitem ist es zu vernehmen. Das bedrohliche Klickerdiklack auf Asphalt. Im Gleichschritt näher kommend. Eine menschliche Raupe aus purem Spandex, die sich an mir vorbei bewegt und selbstzufrieden an einem Fünfertisch niederlässt. Etappenglück.
Wenn eines das deutsche Stadtbild nachhaltig geprägt hat, dann Mittfünfziger in genitalwürgenden Radlerhosen, die in Klickschuhen vorm Eiscafé sitzen und mit Fahrradhelm auf an ihrer Kugel Malaga lecken. Vor nicht allzu langer Zeit wurde für eine ganz besondere Spezies Großstadtmensch eine schöne Bezeichnung gefunden: Die MAMILs. Middle-aged Men in Lycra.
Unter diesem Akronym versammeln sich – ja, es sind wirklich ausschließlich – Männer, in der Blüte- , bzw Kunstphase(r) ihres Lebens, in der sie sich spielerisch gegen den Verfall stemmen. Mit einer an Realitätsverweigerung grenzenden Leidenschaft und jungenhaftem Wettbewerbseifer holen sie während ihrer Touren Kilometer aus Städten heraus, die die geografisch eigentlich gar nicht hergeben. Das alles in Kleidung, mit der man problemlos bei den Avengers anheuern könnte und so eng anliegend, dass man bei der Vorsorgeuntersuchung beim Urologen nicht einmal ablegen müsste.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
So viel Hingabe ist schon auch rührend. Du fühlst dich wie pneugeboren. Da wird getrampelt, gepumpt, das alles getrackt und – logo! – mit allen Mitmännern im Internet verglichen. Prachtvolle Daten, die dem Zahnarzt mit ergrauendem Schamhaar hoffnungsstiftend davon künden, dass mit 56 eben doch noch was geht. Höhenmeter. Trittfrequenz. Sauerstoffsättigung im Blut.
Gegen das, was in so mancher Einfamilienhausgarage an Optimierungseifer zu beobachten ist, ist das Formel 1-Konstrukteursteam von Mercedes Benz ein Haufen desinteressierter Millenials. Im Vergleich zum Autorennstall ist der semiprofessionelle Radler allerdings vergleichsweise spendabel.
Zweiräder im Wert eines Mittelklassewagens
Haben Männer sich damals damit beschieden, mit dem Hollandrad vom lokalen Händler am Wochenende ins Ausflugslokal am Kanal zu fahren, werden heute Zweiräder gekauft im Wert eines Mittelklassewagens. Marie-Sophie kann leider nicht studieren gehen, weil Papa sich von dem neuen Carbon-Rahmen einen Durchbruch auf der Bergetappe verspricht.
Da ist dieser eine Typ aus Uruguay, der ihn mit seinen Sensationsdaten in der App so stresst. Der muss doch zu schlagen sein! Da wird dann geschraubt, neue Schaltungen installiert, die Ernährung umgestellt und sicherheitshalber sogar auf ermüdenden Sex verzichtet, um auch noch das letzte Quantum High Performance aus dem dehydrierten Körper zu wringen.
Es ist der perfekte Sport für große Kinder mit ausreichendem finanziellen Spielraum, die am Ende einer langen Alkoholisierungsphase dem Leben nochmal etwas Leidenschaft abtrotzen wollen. Die früher so herrlich dumme Saufinsel Mallorca ist im Grunde genommen unpassierbar geworden, seitdem ganze Rotten dieses mobilen Spandex-Kalifates auf den Höhenmetern zwischen Palma und Pollença die Straßen blockieren. Mehr Ärsche in hautenger Kleidung findest du nur Deutschrapvideos.
Dabei gibt es kaum befriedigendere Gerüche als der in Fahrradläden. Dieser unverwechselbare Duft von Gummireifen, Schmierfett und frisch entwichener Pumpenluft. Steigt einem dieses Aroma in die Nase, fühlt man sich sofort wieder zurückteleportiert in die Zeit, in der man als Zehnjähriger mit Mama bei Zweirad Sümpelmann stand, um vom Kinderfahrrad langsam mit sieben Gängen höher zu schalten ins Jugendlichendasein. Natürlich nur, sofern man als Kind nicht dazu verdammt war, das Fahrrad des älteren Bruders zu secondhantieren oder – wie meine Frau – als Kind iranischer Flüchtlinge auf einem reichlich betagten BMX-Rad zu lernen.
Radtouren als Kindheitserinnerungen
Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen zählen die Radtouren mit meinem Vater zum Modellflugplatz, nur wenige Kilometer von zu Hause entfernt, zwischen Wäldern und Feldern. Für meinen Papa die ideale Beschäftigung mit dem Kind. Du machst etwas mit dem Nachwuchs, was bedeutend weniger nervig ist als z.B. gemeinsam basteln, kannst dabei als Mann aber auch irgendwie für dich sein und musst dir Dank des komfortablen Abstands zum kleinen Sohn noch nicht einmal die ganze Zeit das Pennälergebrabbel anhören. Herrlich.
So wie ich es memoriere, sind wir jede Woche zu dem Flugfeld geradelt, aber wenn meine Mama richtig liegt, dann waren es in der kompletten Kindheit maximal zwei Touren. Naja. Die Erinnerung radelt gern die güldenen Pfade entlang.
So sehr ich es auch verabscheue, heutzutage Menschen zu beobachten, die sich an kalten Novembertagen mit Gore-Tex-Poncho durch regennasse Straßen kämpfen, so sehr liebe ich das florentinische Flanieren durch sommerlich flirrende Szeneviertel. Doch, Obacht! Zwischen Naben und Narben liegt nicht nur ein R, sondern oft auch nur eine kleine Unachtsamkeit.
Diese Hotels in Österreich lieben Radfahrer

Plötzlich königlich
Im ehemaligen Jagdschloss schläft man königlich. Umgeben von den Bergen des Nationalparks Gesäuse, ist zwischen Wald und Schlosspark auch der Helm ein gern gesehener Dresscode. Gekrönt mit der Bett+Bike-Zertifizierung.
Weitere Infos: hotel-kassegg.at
Gerissene Bänder, gebrochene Schlüsselbeine, geprellte Rippen
Der Teufel will es, dass der passionierte Pedalist immer genau dann verunfallt, bevor er die perfekte Runde fährt. Gerissene Bänder, gebrochene Schlüsselbeine und geprellte Rippen künden von der dann leider doch allzu menschlichen Verwundbarkeit von Peter Panikherz. Dass es dafür aber weder professionellem Equipment, noch rasenden Ehrgeizes bedarf, dafür bin ich selbst das beste Beispiel.
Vor wenigen Wochen radelte ich, ich einem leichten Sommeranzug gewandet von Café zu Café, als eine unglückliche Bewegung mein Rad sekundenschnell so heftig eiern ließ, dass klar war: Im nächsten Moment fliegst du. So kam es dann auch. Die Bremsen packten, der Hinterreifen hob sich, und mit der Eleganz eines Jean Paul Belmondo (oder doch eher Louis de Funès?) flog ich über den Lenker, rollte mich geschickt ab und kam auf dem Asphalt auf. Das alles in Zeitlupe. Ich war auch vorher schon nicht allzu schnell.
So saß ich dann da. Verstaubt, den Anzug voller Laub, mit am Knie aufgescheuerter Hose und, wie ich später erfahren sollte, gebrochenem Ellenbogen. Die Kaffeefahrt als Todesfalle des Großstadtlackels. Sollten Sie sich also eingangs gefragt haben, warum dieser Text so hasserfüllt ausgefallen ist: Ich brauche nicht einmal eine knappe Radlerpelle, um mich auf dem Velo zum kompletten Idioten zu machen. Auch 'ne Leistung.