Das berühmte Lauffeuer entzündet sich für gewöhnlich an einem Satz wie diesem: "Das ist eigentlich Top Secret. Aber dir kann ich es ja erzählen – so ganz im Vertrauen." Einer weiß etwas und droht über die Vertraulichkeit zu explodieren wie ein Kugelfisch mit Blähungen.
Was nutzt das schönste Geheimnis, wenn man es nicht teilen kann?
Ungewöhnliche Tage waren es, als sich die drei Ampel-Parteien zu Sondierungen zurückzogen und, oh Wunder, tatsächlich nichts nach außen drang. Die Gespräche waren hermetisch abgeriegelt. Förmlich eingetuppert wurden die Sondierungen, und die Journalisten machten Gesichter, so lang wie der Geschäftsführer der Grünen. So was haben wir ja noch nie erlebt!
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Schnell wurde "mangelnde Transparenz" beklagt, wo es doch einfach nur ärgerlich war, nichts Erregendes berichten zu können. Dabei ist doch gerade der Tratsch, na ja, nicht gerade der gesellschaftliche Kitt, der uns zusammenhält, aber doch eine wichtige Kraft.
Er erinnert uns daran, dass die Karten immer wieder neu gemischt werden können. Das Leben ist meist recht überraschungsarm. Die Abläufe sind vertraut, fast langweilig, die Rollen klar verteilt. Es sei denn: Jemand weiß da etwas.
Für so etwas sind Menschen früher auf den Markt gegangen. 200 Gramm Salami. Ein Bund Möhren. Ein saftiges Gerücht über Dr. Schlüter aus der Ackerstraße. Danke. Bitte.
Der Geheimnisverrat, so schrecklich er für die verratene Person sein mag, schafft Raum zur Neusortierung. Als hätte man in der Kommode eine neue Schublade entdeckt, in die man die jüngst entblößte Person stecken kann. Wie hilfreich!
"Was sind das für Chats zwischen Sebastian Kurz und seinen Vasallen?"
"Hat Söder wirklich über Scholz 'Der soll nicht so schlumpfig grinsen!' gesagt?"
"Und meint der Spahn einfach: 'Sorry, ich habe gerade ein Duplo im Mund.'"
Solche Sätze verfangen eher als ein Referat über die Mietpreisbremse. Wir Menschen sind einfach gestrickt. Da, wo alles immer komplexer wird, ist eine Indiskretion eine schöne Orientierungshilfe.
Tratsch ist wie saurer Regen, der das Denkmal vom Sockel ätzt
Mit dem Aufstieg der sozialen Netzwerke begann für einige der Abstieg. Hashtags und Memes sind zum Botenstoff unangenehmer Wahrheiten und Lügen geworden, die sich zu gut lasen, um unwahr bleiben zu dürfen. Welcher Star hat wen betatscht? Wer war zum Servicepersonal gemein? Manchmal wird über neun Insta-Storys hinweg etwas angedeutet, ein Vorgang, von dem wir jetzt bitte schön wissen wollen!
Hallelujah. Wir sind in unserer Jämmerlichkeit nicht allein.
Tratsch ist wie saurer Regen, der das Denkmal vom Sockel ätzt. Wir erkennen durch ihn: Die anderen sind genauso wurstig wie wir.
Ich selbst bin ein guter Geheimnisträger. Mein Herz ist eine Sickergrube. Womöglich bin ich einfach nur zu selbstzufrieden, um mich über die unerwünschte Entblößung anderer selbst zu erhöhen. Zum Geheimnis gehören ja immer zwei. Der Enttarnte, der von nun an völlig neu bemessen wird. Und natürlich der Verschwiegene a. D., der mit diesem exklusiven Wissen endlich beweisen konnte, dass er eben doch ein bisschen besonderer ist als Otto Normalwissender.
Das ist ja das Schicksal des dampfkochtöpfigen Geheimnisträgers: Würde er schweigen, könnte niemand erfahren von seiner exklusiven Stellung. Klar, dass sich diese Position kaum mit zu viel Diskretion verheimlichen lässt.
Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und wenn doch, kann ich es ja twittern.
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