Vor wenigen Tagen hatte ich den vielleicht schönsten Moment des gesamten Jahres. Wenig überraschend in der Nähe von zu Hause. Ich saß in einem Park, gleich bei mir gegenüber. In einem dieser großen Elefantensessel, die mancherorts für Flaneure wild auf die Wiesen gestellt werden. Mit einem Buch in der Hand und der Märzsonne im Gesicht wurden nach ein paar Seiten des Lesens meine Lider sehr schwer. Weil die Pandemie nun auch nicht zwingend ein Beschäftigungsbooster ist, döste ich einfach weg. Regelrechte Großvater-Vibes.
Nichts tun, schlafen. Keine Termine. Was für ein Glück. Der kleine Urlaub, sozusagen.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Ich glaube, das Nickerchen ist in den Neunzigern in mein Leben getreten, als ich ein Teenager war und mich während eines Dänemark-Urlaubs für ein paar Minuten auf die Couch legte. Aus dem Kopfhörer kam Phil Collins oder ähnlich Unaufdringliches, und so döste ich eine gute halbe Stunde vor mich hin. Klingt seltsam, aber ausgerechnet das Schlafen war eine Art Erweckungserlebnis. Danach habe ich das "Powernapping" selbst auf der Couch im Oberstufenraum meines Gymnasiums praktiziert, wenn nicht gerade Mathe oder das Lumumba-Machen mittels Wasserkocher auf mich warteten.
Ein ordentliches Nickerchen will gelernt sein. Anfänger machen gern den Fehler, den Raum vollständig abzudunkeln. Manche legen sich sogar ins Bett. Und schlafen bis zu zwei Stunden. Wenn man dann wieder aufwacht, weiß man weder wo man ist noch wer man ist, und fühlt sich so gerädert, als hätte die mexikanische Mafia einen von der Straße in einen dunklen Van hineingezogen und vermöbelt. Das bringt natürlich nichts. So eine knappe halbe Stunde. Das ist perfekt.
Sie machen sich keine Vorstellung davon, welch unbändiges Glück ich schon empfunden habe, wenn mir auf dem Weg zu einem Termin klar wurde, dass zwischen Ankunft am Zielort und Beginn des Meetings noch ungefähr 23 Minuten Puffer liegen. Nicht selten habe ich die auf einer Raststätte kurz weggeschlafen. Sitz zurück und "die Akkus aufladen".
Powernapping als geheime Superkraft
Jetzt ist es meine geheime Superkraft, dass ich wirklich überall schlafen kann. So habe ich mal schlummernd an Deck einer Fähre Richtung London gesessen. Ganz vorne am Bug. Auf einem klapprigen Plastikstuhl, in der spritzenden Gischt, halb nass und selig dösend. Ja, das muss man auch wollen.
Womöglich ist es auch die Erinnerung an die wunderbaren Momente, in denen man als Kind nach einem langen Tag am Strand auf der Rückfahrt in seinem Kindersitz eingeschlafen ist, den Fahrtwind im blonden Haar, dazu die Nachmittagssonne, die das Gesicht wärmt. Bilder, die ich als Vater heute vom Fahrersitz aus nach rechts schauend genieße.
Die kleine Flucht in die gnädige Tatenlosigkeit ist ein Energielieferant. Die Energie kommt in kleinen Dosen – und damit sind nicht die gemeint, die man aus Österreich beziehen kann. Betrachten wir es als kurze, effiziente Impfung gegen den Stress eines langen Tages. Im asiatischen Raum zum Beispiel ist es völlig normal, in der U-Bahn oder S-Bahn um sich herum schlafende Menschen zu sehen. Was in einer extrem leistungsorientierten Gesellschaft nicht weiter verwunderlich ist – ist dieses Zeitfenster doch die einzige Möglichkeit, einmal kurz abzuschalten.
Manchmal sieht man ein bisschen dümmlich dabei aus. Aber sollte einen das hindern? Nein. Ich mein, lächerlich habe ich mich auch schon in wachem Zustand gemacht.
Und danach war ich alles andere als erholt.