Wenn das doch so Glücksgefühle auslöst - wieso guckt der Typ, als würde er gerade rostige Nägel pinkeln? Dieses "Runners High", von dem so viele reden, das habe ich, glaub ich, noch nie so wirklich erlebt.
Aber vielleicht muss man dazu auch aussehen wie Klaus of Pain, der mir gerade entgegenläuft und so wirkt, als sei er Christian Bale, der sich gerade auf 'ne Oscar-Rolle als Thomas Tuchel vorbereitet.
Nein, ernsthaft, derzeit läuft irgendwie alles. Also, schief.
Es ist noch nicht so lange her, da hat man sich Laufschuhe angezogen und ist einfach - nun, ja - gelaufen. Gut, sicher, man konnte vorm Schuhkauf in Sportgeschäften eine intensive Laufanalyse machen lassen, die im Grunde genommen immer ergeben hatte, dass es Gott bei der Erschaffung der eigenen Füße tatsächlich lediglich bei einem Klumpen Lehm belassen hatte. Da wurde das Selbstbewusstsein mit den eigenen Senk- und Spreizfüßen getreten. Das war es dann aber auch.
Mittlerweile aber ist das Joggen zu einer grenzphilosophischen Selbsterfahrung im Nasa-Gewand verkommen. Was an sich nur halb so peinlich wäre, wenn man das Ganze nicht auch noch mit der Welt teilen würde. Stichwort "Runtastic". Wer genau hat sich das ausgedacht?
Niemand, aber auch wirklich niemand will eure Laufzeiten wissen. Vor allem dann nicht, wenn diese mantraartig wieder und wieder gepostet werden. Wem soll das nützen - außer vielleicht einer usbekischen Einbrecherbande, die jetzt weiß, dass Genosse Spandex jeden Montag, Mittwoch und Freitag zwischen 8 und 8 Uhr 43 an der Elbe entlang eiert. Davon abgesehen: Sechs Kilometer in 1 Stunde 03?! Was soll das sein? Ein öffentlicher Schrei nach Hilfe?
Mittlerweile posten Menschen schon die Zeiten, in denen sie SPAZIEREN waren! Warum denn nicht gleich die fünf Meter von der Couch zum Klo!
"Laufen ist Haltung. Laufen ist Respekt. Laufen ist Demut."
Das eine sind Zahlen. Viel schlimmer sind ja diejenigen, die lang und breit darüber philosophieren, bzw. kolumnieren. Jaja, das gibt es. Mal abgesehen vom großartigen Achim Achilles. Der ist ja super. Aber wo bitte sind die falsch abgebogen, die anfangen, regelmäßig glückskeksgescheite Texte zu verfassen, in denen es plötzlich heißt: "Laufen ist Haltung. Laufen ist Respekt. Laufen ist Demut"? Und sich nicht einmal entblöden, dem Laufen eine geradezu politische oder gar weltverändernde Kraft zuzuschreiben. Als könne man einen wie Björn Höcke mit einer Trab-Runde um die Alster gesinnungstechnisch umdrehen - zumal, wenn der seine Goebbels-Parodie konsequent durchzieht, ist Joggen eh nix für den.
"Laufen ist Demut. Laufen ist Haltung. Laufen ist Respekt." Sonst noch was? Nein! Laufen und Fresse halten!
Ich gehe rennen, um keinen fetten Arsch zu kriegen. Ganz einfach. Ganz ohne intellektuellen Ansatz. Und auch ohne den Drang, den Ivan Drago rauszukehren und einem hilflosen Publikum unter die Nase zu reiben, dass Captain Fantastic heute morgen um fünf schon wieder "entspannte 30 km" hinter sich gelassen hat.
Für solche Leute habe ich früher meine Couch zuhause frei geräumt.
Nein. Ich bin 39. Ich war gestern Bier trinken. Also muss es heute raus. So einfach ist das.
Beim Laufen kommen meist die besten Gedanken
Nur, dass wir uns nicht missverstehen: Laufen kann Spaß machen. Es ist für den Normaltrainierten mehr ein Automatismus als echte Anstrengung. Beim Laufen kommen mir meist die besten Gedanken. Wie beim Rasenmähen. Oder beim Kacken. Es ist übrigens nicht empfohlen, alle drei Sachen gleichzeitig zu machen. Obwohl es witzig aussähe.
Während einer Laufrunde erfreue ich mich an den vielen Eindrücken, die ich gewinne. Kulturelle Unterschiede regionaler Natur. Im Ruhrgebiet grüßen sich Läufer. Mehr noch. Du wirst - wie dort üblich - von jedem passierenden Oppa angelabert. "Wieviel musse noch?". Oder, wenn mit Hund unterwegs: "Wer gewinnt?!" In Hamburg wiederum würde der entgegenkommende Traber lieber den direkten Weg in die Alster nehmen, als den Gegenverkehr eines Grußes zu würdigen.
In Berlin hängen sie eigentlich alle nur mit dem Kopf über ihrem Smartphone an der Spree und fangen Pokemon. Die Spree. Der Rhein. Die Elbe. Ich liebe es, am Wasser entlang zu sprinten. Die Alster ist zum Beispiel ein toller Ort für eine zünftige Runde. 7,5 km. Perfekte Strecke, um sich fitzuhalten und Leute zu gucken.
Es gibt im Sommer so vieles zu sehen. Der Fernsehmoderator, der den Kinderwagen so lange um das Gewässer schiebt, bis sich endlich einer erbarmt, ein Selfie mit ihm einzufordern. Die Stand-Up-Paddler, die parallel zur Laufstrecke mit einem halben Knoten über das seichte Wasser zittern. Die Segway-Fahrer der Binnenschifffahrt. Liegefahrradfahrer, die den Weg kreuzen. Liegefahrrad - wie kann man sich selbst nur so hassen.
Die Kleidung der Mitläufer. Da! Ein Mann mittleren Alters macht mich durch seine enge Radlerhose zwangsweise zu seinem Urologen. Eiersalat auf links. Wie schön.
Ab und zu zieht auch an mir jemand vorbei
Wirklich erstaunlich, was die Raumfahrttechnologie im Bereich der Funktionskleidung für Breitenspurter geleistet hat. Im Grund genommen ist nunmehr jeder Zweite gekleidet wie irgendeine Figur aus dem Marvel-Universum oder Arjen Robben (ohne hinzufallen). Alles förmlich aufgesprüht. Das ist natürlich genau mein Ding.
Gerade eben überhole ich langsam, aber sicher den nächsten. Ich genieße das gute Gefühl, viele hinter mir zu lassen und offenkundig zum oberen Viertel der Gewohnheitswetzer zu gehören, Ja, klar. Ab und zu zieht auch an mir jemand vorbei. Das ist kurz unangenehm. Zum Glück trägt so jemand meistens ein Shirt von irgendeinem Marathon oder Triathlon.
Oft in einer Stadt, deren erwähnenswerteste Qualität die ist, dass man sie so schnell wie möglich hinter sich gelassen hat. Kiel oder so. Das weist den Träger als Halbprofi aus. Ich wiederum mach das ja nur so nebenbei. Außerdem: Menschen, die ein Marathon-Zielfoto als Profilbild bei Facebook haben, denen gönne ich das kleine Glück. Die haben ganz andere Probleme.
Regelrecht unverschämt allerdings fand ich neulich die drahtige Mittvierzigerin, die es wagte, mich arroganten Schrittes zu überholen. Eine Frau. Über 40! Überholt mich!
Ich war fassungslos vor Wut. Noch am selben Abend sollte sie bei Elite-Partner wieder auf Normalmaß gestutzt werden, was ich irgendwie fair finde. Denn, was diese Frau noch lernen muss: Laufen ist Haltung. Demut. Respekt.
So läuft das.
