ESC 2023 in Liverpool Drei Tipps, drei Fragezeichen – und warum Lord of the Lost nur gewinnen können

  • von Ingo Scheel
ESC Lord of the Lost
ESC 2023: Lord of the Lost treten für Deutschland an
© Rolf Vennenbernd / DPA
Mit dem zweiten Halbfinale ist die Endrunde des Eurovision Song Contests komplett, kurz vor dem Startschuss zum großen Finale ein letzter Blick aufs Teilnehmerfeld. Unsere Prognose: Alles drin für Deutschland.

Geht es nach den Buchmachern, dann ist die Nummer eigentlich schon durch, selten war man sich in den Büros der Bookies so einig wie in diesem Jahr: Satte 45 Prozent sehen Loreen und ihr "Tattoo" vorn, ein Sieg Schwedens beim diesjährigen ESC scheint also jetzt schon dingfest zu sein. Während Finnlands Käärija mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 21 Prozent auf dem zweiten Platz "Cha Cha Cha" tanzt, wird es dahinter schon um einiges ungewisser. Die Ukraine, Frankreich und einige mehr pendeln sich zwischen 3 und 8 Prozent ein. Das kann man natürlich alles so sehen. Wir schauen – und hören – unmittelbar vor dem Startschuss zur Liverpool-Sause noch einmal ganz genau hin.

Hier sind unsere drei völlig subjektiven Tipps, dazu drei Außenseiter und die hoffnungsvollen Lords, die am Ende (hoffentlich) nicht allzu 'lost' dastehen.

ESC 2023: Die Tipps

Voyager – "Promise" (Australien)

Sänger Danny Preston sieht zwar aus, als hätte er sich beim Friseur kurzzeitig umentschieden, doch abgesehen von seinem etwas fragwürdigen ReKuSoLa (rechts kurz, sonst lang) kommt der Dampfhammer-Pop aus 'down under' doch ziemlich entschlossen daher. Ein Umhänge-Keyboard – Hallo, Uwe Fahrenkrog-Petersen! – gibt immer Punkte, dazu der dezente Kleinwagen als Stage-Accessoire, Prestons Jugend in Buchholz in der Nordheide, das macht alles einen sehr soliden Eindruck, lediglich am Plosiv-Laut im Refrain müsste Pppprrreston noch etwas arbeiten.
Prognose: Top-5

Pasha Parfeni – "Soarele și luna" (Moldau)

Heute hauen wir auf die Pauke: Er ist in den letzten Jahren etwas zu kurz gekommen, der EthnoFolkDanceFaschingspop der östlichen Republiken. Dafür hängt sich Pasha Parfeni jetzt umso mehr rein. Sein Lied von der Hochzeit unterm Sternenhimmel ("Sonne und Mond") ist der wahrgewordene feuchte Traum aller Xenia- und Isnogud-Fans: Eine Prise 1000 und eine Nacht, dramatische Kesselpauken, dazu zwei Tänzerinnen, die aussehen, als hätte man die Teletubbies für das M’era Luna Festival zurechtgemacht – man vergisst fast, dass der Track nur auf einer einzigen Melodielinie bollert. Zweimal war Parfeni schon beim ESC vertreten, in Baku 2012 wurde er mit "Lăutar" 11., 2013 landete Aliona Moon mit seiner Komposition "O mie" in Malmö ebenfalls auf dem 11. Platz.
Prognose: 11. Platz

Mimicat – "Ai coração" (Portugal)

"At first I was afraid, I was petrified", so müsste es eigentlich losgehen, nach der kurzen Klavier-Kaskade zu Beginn, aber nichts da – das Mimikätzchen macht ihr eigenes Ding. Kommt im roten Dress daher, schlägt das musikalische Fotoalbum aus den 50ern und 60ern auf und lässt der ganzen postmodernen Konkurrenz mal eben die Luft raus – man nehme "Cabaret"-Schwung, Frolleinwunder und die Tolle von Götz Alsmann, fertig ist der Überraschungshit aus der mondänen Mottenkiste.
Prognose: Pssst! Geheimfavoritin.

ESC: Die Fragezeichen

Let 3 – "Mama ŠČ!" (Kroatien)

Die Auftaktzeile klingt wie "Mama, schau' Dir  meinen Traktor an!" Tatsächlich ist "Mama ŠČ!" jedoch kein agrarisches Chanson zum Muttertag, beim kroatischen Beitrag handelt es sich um ein Antikriegslied. So nachvollziehbar das sein mag, so schräg ist das Outfit – als würden Turbonegro und die Village People nach dem Genuss von drei Eimern "Kleiner Feigling" beim Schlagermove mitmarschieren. Für Fans von Haiducci, Verka Serduchka und Militaria-Fasching sicher das Richtige, Rest-Europa dürfte die Länge des Beitrags nutzen, um den Käseigel nachzufüllen.
Prognose: Im Vorprogramm auf der nächsten HGich.T-Tour

Mae Muller – "I Wrote A Song" (Großbritannien)

Ich hab' ein Lied geschrieben, singt die 25-jährige Londonerin. Hättste das mal mitgebracht, möchte man entgegnen. "I Wrote A Song", zusammen mit Lewis Thompson und Karen Poole geschrieben, also eigentlich "We Wrote A Song", klingt nach einer 90's-Dance-B-Seite aus der ChatGPT, die Startnummer 26 sollte man wohl nicht prognostisch deuten, aber ob es weit darüber hinausgeht? Liverpool wird die Antwort geben.
Prognose: Zweiter Versuch 2026 mit "I Wrote Another Song"

Blanka – "Solo" (Polen)

Am Anfang irgendwie "Coco Jambo"-B-Seite, im Mittelteil J-Lo-Lava mit Britney-Geschmack, zum Schluss wieder trotzköpfiger 90s-Billo-House – wer hier im Vorfeld Siegerchancen sieht, nimmt "Immer wieder sonntags" noch auf VHS auf. Und dann ist da ja auch noch Beinah-Namensvetterin Blanca Paloma am Start. Wer soll sich das alles merken? Gut, dass wir Peter Urban haben, zumindest noch dieses eine Mal.
Prognose: Tja …

Bleiben also Lord of the Lost und die bange Frage: Steht am Ende wieder mal die 25 oder 26 hinterm Bandnamen? Da beißt die Maus keinen Faden ab: Der Trend der letzten Jahre zeigt nicht nur nach unten, der ist völlig am Boden. Es kann also nur bergauf gehen. Metal läuft doch irgendwie immer, eine Prise Drag dazu, etwas Beifutter für die Luftgitarren-Fraktion und die Jungs von Iron Maiden werden sicher auch ein paar Soli-SMSe schicken, immerhin ist man demnächst wieder gemeinsam auf Tour. In diesem Sinne: Hoch die Tassen und die Pommes-Gabeln. Warum sollte es nicht für eine Überraschung reichen? Die linke Tableau-Seite wäre schon ein Gewinn. Auf geht’s.

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