Wenn Helene Fischer im gelben Kleid aus dem Boden der Bühne im Berliner Olympiastadion fährt, geht für Hartmut Holtmann die Sonne auf. Zwölf Mal hat er Helene, das gelbe Kleid und die Nummer mit der Hebebühne schon gesehen – und das allein in den vergangenen zwei Monaten. Insgesamt war Holtmann schon auf über 90 Konzerten von Helene Fischer, die genaue Zahl weiß er nicht mehr. "Es waren zu viele, um da noch mitzuzählen", sagt er.
Früher war Holtmann Beatles-Fan, er mochte die Rolling Stones, Michael Jackson und ABBA. Doch so wie mit Helene Fischer war es noch nie. Als er sie 2006 in der Nähe seiner Heimat Bielefeld zum ersten Mal live gesehen hat, "da war ihre Bühne noch drei Holzpaletten, die jemand gestapelt und ein Tuch drüber gelegt hat". Holtmann war fasziniert von ihrer Stimme, ihrem Aussehen, ihren Tanzkünsten. Heute ist der Rentner mit dem Fanclub bei fast allen Terminen der "Farbenspiel"-Tour: "Das macht Spaß, man lernt Deutschland kennen und man trifft immer wieder dieselben Leute."
Der Fanclub steht im "Inner Circle"

Um ihrem Idol näher zu kommen, sitzen die echten Fans nicht auf einem der 60.000 Plätze, sie stehen im "Inner Circle", einem abgesperrten Bereich für Stehplätze, ganz vorne, umgeben von Helenes Bühne. Alle Fans tragen weiß, die Farbe der Reinheit, sagt Helene Fischer. Während des Konzerts wird der "Inner Circle" mit verschiedenen Farben bestrahlt, rot, gelb, grün. Die T-Shirts der Fans dienen als Leinwand. Passend dazu sollen die Handys der Fans farbig leuchten und sich je nach Klang von Fischers Musik verändern - mit der Helene-Fischer-App. Nur wollte die bei den letzten Konzerten nicht so recht funktionieren.
Der erste Konzertabend in Berlin ist der heißeste der ganzen Tour. Die Besucher dürfen ihre eigenen Plastikwasserflaschen mitbringen, viele wedeln mit Fächern oder ihren Helene-Fanartikeln nach Luft. Sie haben Glück: Das zweite Konzert in der Hauptstadt musste am nächsten Tag wegen eines Unwetters abgebrochen werden.
"Herzlich willkommen zur Bikram-Show!", verkündet sie nach dem ersten Lied. Verhaltener Applaus, außer Fischer selbst weiß wohl kaum jemand hier, was Bikram ist – eine Yoga-Form, die bei bis zu 40 Grad praktiziert wird. Dann eben ein lautes "Yeah", tosender Applaus, "Yeah" versteht jeder. Eloquenz ist eben nicht Helene Fischers größtes Talent, das findet auch Fan-Club-Mitglied Birgit Alsdorf aus Passau. "Moderieren ist nicht ihr Ding. Sie ist so perfektionistisch und beim Spontanen kommt sie ins Stolpern." Alles ist eingeübt, getimt, abgestimmt. "In Gelsenkirchen ist sie bei einem Lied auf den Hintern gefallen", erzählt Alsdorf, "dann hat sie sich wieder hingelegt und gesagt: ist ja eigentlich ganz schön hier unten!" Ein bisschen unbeholfen, trotz perfekter Inszenierung, "das macht sie ja auch menschlich."

"Helene live, das ist wie eine Sucht."
"Ich wünsche mir, dass ihr mit uns eintaucht in eine andere Welt", haucht Helene Fischer nach dem dritten Lied, das Bühnenbild in ihrem Rücken verschwimmt und wird zu einem gigantischen Magnolienbaum. Später wird sie aus einer pinken Lotus-Blüte steigen und eine Ballade trällern. "Helene live, das ist wie eine Sucht", sagt Alsdorf. Mit jeder Tour setze sie wieder einen drauf. Dieses Jahr fliegt sie quer durchs Stadion, über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Alsdorf: "Das ist der Wahnsinn.“
Die Inszenierung der "Farbenspiel"-Show lässt nichts aus. Feuerwerke, Konfetti-Bomben, Helene tanzt zwischen Stelzenläufern, Helene fliegt am Drahtseil durchs Stadion. Ihre Outfits seien in diesem Jahr sehr viel schöner, als in vorigen Touren, sagt Alsdorf, nicht so viel nackte Haut. Insgesamt fünf Mal wechselt sie während der Show ihr Outfit. Die minutenlange Pause, die entsteht, während sie in der Garderobe ist, überbrücken Tänzer und Geigerinnen. Für den normalen Zuschauer im Olympiastadion sind das kleine Ewigkeiten, man setzt sich, schaut auf die Uhr, holt das Handy heraus. Doch der Fanclub jubelt weiter: Wer im Team von Helene mitarbeitet, ist auch ein Star. "Die Tänzer kommen fast alle aus L.A.", erklärt Alsdorf. Sie kennt die Namen, weiß, wer seit wann mittanzen darf und wer berechtigt ist, Frau Fischer an den Hintern zu fassen.
Mit dem Erfolg ist Helene unnahbarer geworden
"Atemlos" ist das letzte Lied der Show, die finale Zugabe. "Dieses Lied hat für mich alles verändert!", sagt Helene Fischer. Nicht unbedingt zum Positiven, findet Holtmann. "Das Atemlos ist ein Quäntchen drüber. Den Ruhm muss sie erstmal verkraften." Seit dem Erfolg im Herbst 2013 sei sie unnahbarer geworden. Sie gibt weniger Interviews, auch die Kommunikation mit den Fans habe abgenommen. Die Fanclub-Leitung organisiert immer wieder Treffen mit der Sängerin, doch in den vergangenen zwei Jahren sahen die Fans ihre Helene immer seltener. "Aber wenn man an sie ran kommt, ist sie total herzlich und nett", sagt Alsdorf. "Das persönliche Treffen mit so vielen Fans ist eben auch ein Sicherheitsrisiko." Außerdem hat sich durch den Erfolg von "Atemlos" auch eine ganz neue Art der Fankultur entwickelt: Die Mallorca-Fans, wie Holtmann sie nennt. "Die kommen hierher und betrinken sich. Letzte Woche hat einer Helene Bier hinterhergeworfen."
Heute, im Berliner Olympiastadion, waren alle Fans friedlich, "die Stimmung im Inner Circle war super", sagt Holtmann nach dem Konzert. Das Feuerwerk sei das größte der ganzen Tour gewesen. "Berlin ist eben immer was besonderes." Auch Alsdorf ist zufrieden. "Helene war heute super drauf. Es gibt ja da immer Schwankungen, sie ist ja auch nur ein Mensch. Aber heute war sie in Topform." Was sie und Helene Fischer noch nicht ahnen: Ein Fan, so wird später vermeldet, kollabierte und starb wenig später im Krankenhaus. Bekümmernde Bilanz des ersten Konzertes in der Hauptstadt.
Nach dem Auftritt sitzt der Fanclub noch bis spät in die Nacht in einem Biergarten. Am nächsten Tag werden sie wieder im Stadion sein, und am Dienstag und Mittwoch ebenso. Mehrere tausend Euro haben sie schon in Tickets und Reisekosten investiert. "Andere spielen Golf oder haben irgendwelche anderen Hobbies", sagt Alsdorf. "Und wir sind eben einfach total helenisiert."