Herr Stadlober, sind Sie verantwortungsbewusst?
Gegenüber Leuten, die mir wichtig sind, bestimmt. Aber gegenüber der Welt wahrscheinlich eher nicht. Ich fliege mit dem Flugzeug und trage Klamotten, von denen ich nicht weiß, ob die vielleicht kleine Kinder in Südamerika zusammengenäht haben. Aber auf meinen kleinen Kosmos beschränkt habe ich schon ein ziemliches Verantwortungsbewusstsein. Teilweise stehe ich mir damit auch im Weg. Oft beschäftige ich mich mit Dingen, über die ich mir keine Gedanken machen müsste. Die Leute tangiert das dann gar nicht so, wie ich es mir in meinem Kopf einbilde.
Bevor Sie vor drei Jahren nach Wien gezogen sind und zusammen mit einem Freund die Plattenfirma Siluh Records gegründet haben, war das noch ganz anders, oder?
Es gab Zeiten, in denen ich nicht unbedingt der Vorzeigehumanist war. Ich habe oft nicht darüber nachgedacht, was ich gerade tue und viel Scheiße gebaut. Aber seitdem ich diese Firma habe, ist es so, dass Entscheidungen, die ich über mein eigenes Leben treffe, gleichzeitig auch andere betreffen. Es gibt jetzt einfach bestimmte Zeiten, in denen ich nicht versumpfen darf, weil ich ins Büro muss. Das hört sich total negativ an, aber es ist auch großartig, weil es meinem Leben eine gewisse Struktur gibt. Es zwingt mich, darüber nachzudenken, ob man mit seiner Zeit nicht vielleicht auch etwas Sinnvolleres anfangen kann, als irgendwo im Park rumzusitzen und Bierdosen aufzumachen. Dieser Umschwung war wohl auch mal nötig.
...gefunden in:
Das Interview mit stammt aus der September-Ausgabe des u_mag. Außerdem im Heft: Heike Makatsch über den Bruch zwischen gefühltem und tatsächlichem Jungsein, Rapperin Sabrina Setlur übers Streiten und wie James Blunt polarisiert
Soll das heißen, Sie haben Ihr Leben jetzt langfristig festgelegt?
Nee, das kann ich nicht. Es ist nicht so, dass ich mir in Wien ein Haus gekauft habe oder anfange, die Wände in meiner Wohnung einzureißen. In drei Wochen könnte ich ausziehen. Und bei mir im Kopf spukt definitiv gerade wieder die Umzugsidee rum. Das ist mittlerweile ein Schema: Ich habe wieder Sehnsucht nach einer Veränderung. Ich weiß nicht, ob das eine Flucht ist, aber ich will eben eine andere Umgebung und andere Sachen erleben, wenn es festgefahren ist. Aber es ist auf jeden Fall klar, dass Wien keine Stadt ist, die ich einfach so verlassen kann. Die Plattenfirma ist ganz klar in Wien verortet. Also kann ich nicht einfach für immer gehen. Irgendwie muss ich da bleiben, vielleicht mit einem kleinen WG-Zimmer.
Stadlobers Karriere
Mit den Filmen "Crazy" und "Engel und Joe" hatte Robert Stadlober 2000/2001 seinen Durchbruch als Schauspieler. Der 25-Jährige ist außerdem Musiker und Sänger der Band Gary und bildet zusammen mit Bernhard Kern das Musikprojekt Escorial Grün. Seit zwei Jahren betreibt er mit Kern das Indielabel Siluh Records in Wien. Derzeit ist er in dem Kinofilm "Schwarze Schafe" zu sehen
Erschreckt es Sie, dass sich Ihre Tage jetzt sehr ähneln? Sie stehen morgens auf, checken zuerst die Mails und öffnen die Post...
Ich fand das eine Zeit lang total toll, bin aber gerade ein bisschen im Zwiespalt. Das mit den Mails finde ich in Ordnung, aber im Moment ist es schon so, dass ich mit diesem wirklich Immer-vor-Ort-sein-Müssen, mit diesem Konkrete-Sachen-machen-Müssen noch immer meine Kämpfe habe. Andererseits will ich das auch so. Ich will nicht mehr die ganze Zeit nur rumlungern. Aber es ist noch nicht so, dass ich jeden Morgen aufstehe und sage: Das ist total super, dass ich jetzt die Post aufmache und Mails bearbeite. Es ist auch nicht so, dass ich das wirklich mache. Pro Woche gibt es schon so zwei oder drei Tage, an denen ich alles ein bisschen liegenlasse. Das ist bei einem relativ kleinem Unternehmen, wie wir es sind, auch nicht so wahnsinnig dramatisch. Wir versuchen noch, eine gewisse Do-it-yourself-Stimmung zu bewahren. Ich möchte nicht, dass es richtig in Büroarbeit ausartet.
Vor Wien haben Sie in Hamburg und Berlin gelebt. Da wäre es mit dem Abtauchen in Normalität wesentlich schwieriger gewesen, oder?
Absolut. In Hamburg klappte das zum Teil auch, aber das war eine ganz andere Normalität. Auf St. Pauli war das für mich eher eine virtuelle Realität. Man hat da zwar das Gefühl, man ist aufgehoben. Aber wenn man sich dann wirklich mal zurücklehnt und sich das genauer ansieht, dann merkt man schon, dass viele Menschen, von denen man denkt, dass sie Nähe und Sicherheit geben, doch nur Tresenbekanntschaften sind. In Wien ist es viel schwerer, Leute überhaupt kennen zu lernen. Wenn man aber wirklich mal zwei oder drei Leute hat, dann hat man auch eine Verantwortung, die ganz anders als in Hamburg ist. Wenn ich in Hamburg am Tresen gelallt habe, dass ich die nächsten fünf Wochen nicht da bin, dann hat mein Gegenüber Prost gesagt, sich noch ein Astra geholt - und wir haben uns fünf Wochen später das nächste Mal gesehen. Ich merke, dass es meine Leute in Wien mehr betrifft, wenn ich länger nicht da bin. Da interessiert die Leute auch wirklich, wo ich in der Zwischenzeit gewesen bin. In Hamburg war das oft nicht der Fall. Da wurde dann gesagt: Ach, toll, biste auch wieder da?
Die Zeit in Hamburg war ja die Zeit nach "Crazy", der Höhepunkt Ihrer Schauspielkarriere. War dieses Abhängen damals nicht total wichtig, um sich überhaupt erst mal selbst zu finden?
Ich glaube schon, dass das alles seinen Sinn hatte. Ich denke nur manchmal in Hinsicht auf unsere Band Gary, wir hätten damals einfach dreimal in der Woche früher aufstehen sollen. Vor dem einen oder anderen Konzert hätte man vielleicht auch proben können. Für den Zuschauer ist es wahrscheinlich nicht so witzig, einfach nur drei besoffene Knalltüten auf der Bühne zu sehen, die die Gitarre nicht mal richtig halten können. Da verstehe ich im Nachhinein natürlich auch, warum Leute uns damals doof fanden. Da kommt so ein Schauspieler daher, kriegt einen Plattenvertrag in den Arsch geschoben, meint aber, die ganze Zeit besoffen sein zu müssen und kümmert sich um nichts.
Haben Sie mit Gary bewusst gegen den Erfolg gearbeitet, weil Sie von Ihrem Image als Teenieschwarm wegkommen wollten?
Absolut, es gab ein bewusstes An-die-Wand-Fahren. Aber ich glaube, es hätte was gegeben zwischen Komplett-an-die-Wand-Fahren und komplettem Verkauf. Ich will ja nicht sagen, dass wir demnächst bei einer neuen Gary-Platte alles mitmachen werden. Es wird immer noch Leute geben, die mich haben wollen, wo uns aber unsere musikalische Sozialisation, unser Indie-Hintergrund daran hindert, solche Sachen zu tun. Aber die Hysterie um mich ist zum Glück auch um einiges abgeschwächt. Es ist nicht mehr so, dass die Leute sich wahnsinnig über mich aufregen. Es gibt nicht mehr diese Polarisierung. Damals haben mich einige regelrecht gehasst. Gleichzeitig gab es auch Leute, die durchdrehten, weil sie mich anfassen wollten. Mittlerweile ist es eher so, dass ich langsam anfange, in einem ausgeglicheneren Segment anzukommen. Man ist da, die Leute können denken, was sie wollen, aber es regt keinen mehr so tierisch auf. Das finde ich eine sehr angenehme Entwicklung.
Als Labelchef musst du heute aber doch bestimmt auch nett zu Leuten sein, die du eigentlich zum Kotzen findest?
Wenn ich jemanden zum Kotzen finde, dann ist der zum Kotzen. Okay, es gibt Kompromisse. Wenn ich mit Radiosendern telefoniere, dann sage ich natürlich nicht: Hey, du Penner, du gehst mir jetzt gerade auf die Nerven. Sondern ich versuche schon, diplomatisch zu sein. Aber es ist nicht so, dass ich Leuten in den Arsch krieche. Das war eine Prämisse von uns: Wir wollen Musik machen, so wie sie uns gefällt, und wenn gewisse Medien Probleme damit haben, dann macht man halt nichts mit denen. Wir wollen nicht auf Teufel komm raus Erfolg haben. Ich versuche bei dem Label auch, meine Person außen vor zu lassen. Das kann den Bands ja auch schaden.
Sie haben doch selbst gerade gesagt, dass sich Ihr Ruf sehr verbessert hat...
Ja, natürlich. Aber ich möchte auch nicht, dass Moritz Bleibtreu mir irgendwas reindrückt. Stell dir vor, der designt Hosen und erzählt überall, dass man die unbedingt kaufen müsse, weil die so geil seien. Ich möchte doch, dass die Hose mir gefällt. Ob die jetzt Moritz Bleibtreu designt hat oder Ulla Kock am Brink, das ist mir völlig schnuppe. So soll es jedenfalls bei unserem Label sein. Ich möchte, dass die Leute diese Musik hören, weil sie die gut finden. Sie sollen ja nicht die Bands hören, weil Robert Stadlober die Bands rausbringt.
Bereuen Sie Dinge, die Sie früher in Interviews gesagt haben? Wollen Sie die Gelegenheit nutzen, um sich bei Til Schweiger zu entschuldigen, über den Sie ja oft und gerne abgelästert haben?
Nö! William Borroughs hat mal gesagt: Sag mir einen Tag, an dem ich nichts bereue, dann schieß ich mir in den Kopf. Natürlich bereue ich Sachen, aber nicht so, dass ich das jetzt im Nachhinein ändern würde. Es geht eher darum zu lernen, anstatt dazusitzen und zu denken: Mann, warum habe ich das denn damals getan? Was ich mit 17 oder 18 gesagt habe, sollte sowieso unter das Jugendschutzgesetz fallen. Irgendwelchen 40-Jährigen ans Bein zu pissen, ist einfach größtenteils unfair. Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass viele Kollegen Fernsehserien einfach machen müssen, um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern. Im Nachhinein schäme ich mich für ganz viele Sachen. Aber das ist eben so passiert. Andere Leute schämen sich für ihre Brillen, die sie auf dem Abifoto tragen, oder für die Frisur, die sie auf dem Foto mit ihrem ersten Mofa haben.
Können Sie sich die Kompromisse der 40-jährigen Kollegen irgendwann auch für sich vorstellen?
Vorstellen nicht, aber rational denken kann ich das schon. Bis zu einem Punkt, an dem man größtenteils nur für sich selber Verantwortung trägt, kann man diese Verweigerungshaltung noch durchziehen. Das ist auf jeden Fall gerade ein Paradies, in dem ich mich befinde. Es wird nicht für immer so bleiben, das ist mir sehr bewusst - außer ich lebe mein Leben komplett kompromisslos und laufe wie der Schriftsteller Jörg Fauser irgendwann auf die Autobahn.
Haben Sie das Gefühl, Ihnen wurde Ihre Jugend gestohlen?
Ich habe ja trotzdem alles gemacht, was dazugehört. Die Erlebnisse wurden mir sicher nicht gestohlen. Ich denke manchmal, dass sie eher potenziert wurden, weil ich Möglichkeiten in meiner Jugend hatte, die viele andere nicht hatten. Ich durfte ziemlich großartigen Blödsinn erleben, den ich nicht erlebt hätte, wenn ich in Herne auf dem Gymnasium gewesen wäre.
Fühlen Sie sich als einer der letzten Ihrer Art, weil die Jüngeren nicht mehr den Mut haben, Leidenschaften wie Musik oder Schauspielerei zu leben? Gibt es wirklich dieses neue Sicherheitsdenken mit streng karrieristischer Lebensplanung?
Ich lese immer, dass das so ist, aber ich treffe solche Leute nicht in meinem Umfeld. Ich kenne zum Beispiel in Wien einen Typen, der für uns die meisten Videos macht. Der ist 17. Zusammen mit einem gleichaltrigen Freund hat er eine Produktionsfirma gegründet, und für die meisten österreichischen Indiebands machen sie im Moment die Videos. Das sind zwei 17-jährige Jungs, die ihre Visionen haben und mit einem unglaublichen Elan dahinter sind. Ich glaube eher, dass die Leute durch MySpace und diesen ganzen Internetkram dazu gepusht werden, Sachen selbst zu machen. Man kann jetzt Musik ins Netz stellen und wird auch wirklich von Leuten gehört. Und dieses Sicherheitsdenken: Die Junge Union gab es vor zehn Jahren auch schon, und heute gibt es sie eben immer noch. Es ist eher so, dass die Leute, die jetzt im Feuilleton angekommen sind, ihr Sicherheitsdenken haben. Das wollen sie auf die jungen Leute projizieren. Sie versuchen, ihr eigenes Leben damit zu rechtfertigen, dass junge Leute sich auch nach einem solchen Leben sehnen. Wir haben auf unserem Label beispielsweise eine Band, deren Mitglieder alle Anfang 20 sind. Die haben keinen Job, die wohnen zusammen in einer Wohnung, machen den ganzen Tag nur Musik, trinken Bier und leben von gar nichts. Ich habe keine Ahnung, wie die sich überhaupt Brot kaufen können. Aber die kommen gar nicht auf die Idee, dass man einen Job machen könnte. Vielleicht liegt es aber auch an meinem Umfeld. Vielleicht gibt es irgendwo Gangs von Spießern, die alle an der Handelsakademie rumsitzen wollen.
Kratzt es an Ihrem Selbstbewusstsein, dass Sie heute deutlich weniger Rollenangebote bekommen als vor fünf Jahren?
Ich glaube, es kratzt eher an der Eitelkeit als am Selbstbewusstsein. Es kratzt gesund an meiner Arroganz. Man fängt an, darüber nachzudenken, und es ist nicht mehr alles selbstverständlich. Es tut mir und meinem Seelenheil eigentlich ganz gut, dass alles nicht mehr so einfach ist, wie es das mal war.
Warum machen Sie es nicht wie Jürgen Vogel, drehen einen mittelmäßigen Film mit hoher Gage und haben dann wieder genug Kohle für Herzensprojekte?
Ich bekomme diese Filme nicht angeboten, bei denen das viele Geld drin ist. Ich weiß, es gibt ja auch diese Hollywood-Weisheit: einen fürs Herz und einen fürs Konto. Aber der fürs Konto, der kommt schon lang nicht mehr. Es geht jetzt nur noch darum auszuwählen, was fürs Herz wirklich wichtig ist.