Wegen Krieg in Gaza Droht dem ESC der Boykott? Österreichs Außenministerin schaltet sich ein

Schon am ESC 2025 gab es Kritik wegen Israel
Schon am ESC 2025 gab es Kritik wegen Israel
© Imago Images
Der ESC steht vor einer historischen Zerreißprobe: Mehrere Länder wollen wegen Israel und des Gaza-Krieges nicht teilnehmen. Österreichs Außenministerin versucht zu beschwichtigen.

Er soll Spaß machen und die teilnehmenden Nationen näher zusammenbringen. In der Vergangenheit hat der Eurovison Song Contest – kurz ESC – das meist geschafft. Aktuell scheint der weltweit größte Musikwettbewerb so umstritten wie selten zuvor. Ausgerechnet der Krieg im Gaza-Streifen stellt ihn vor wie wohl größte Zerreißprobe seiner Geschichte: Acht Monate vor der in Wien geplanten 70. Ausgabe des ESC drohen Spanien, Irland, die Niederlande, Island und Slowenien mit einem Boykott, sollte Israel an dem Wettbewerb teilnehmen. Weitere Länder könnten sich dem anschließen.

In die Debatte hat sich nun Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger eingemischt. Ein zumindest angedachter Boykott als Reaktion auf die Teilnahme Israels würde "die Möglichkeiten für einen wichtigen Dialog zwischen Künstlern und der Bevölkerung verunmöglichen – ohne die Lage vor Ort in Israel und Gaza zu verbessern", schrieb Österreichs Chefdiplomatin an ihre Amtskollegen und -kolleginnen.

Österreichs Außenministerin mahnt bei ESC-Boykott zur Mäßigung

Als Außenministerin des Gastgeberlandes sei sie "zutiefst besorgt über die Gefahr einer Spaltung zwischen den Mitgliedern der Europäischen Rundfunkunion in dieser Frage", so die Ministerin. Der ESC sei das falsche Forum für politische Debatten. Zwar dürften politische Entwicklungen, gerade wenn sie mit humanitärem Leid einhergingen, nicht ignoriert werden. Sie sei aber überzeugt, dass der ESC sich nicht für Sanktionen eigne, so die Außenministerin. Solche Debatten würden in etablierte politische Foren gehören.

Kunst und Kultur könnten hingegen Brücken bauen. Sie halte es deshalb für unerlässlich, den Dialog mit den Künstlern und der Bevölkerung Israels aufrechtzuerhalten, von denen sich viele offen von den Handlungen ihrer Regierung distanzierten, so Meinl-Reisinger weiter.  

ESC-Entscheidung voraussichtlich im Dezember

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) will voraussichtlich im Dezember über den Umgang mit Israel entscheiden. Die EBU in Genf betrachtet den ESC als unpolitisches künstlerisches Ereignis. Kriterium für die Teilnahme sei die Unabhängigkeit der jeweiligen Rundfunkanstalten, die die Künstlerinnen und Künstler entsendeten. Der israelische Sender "Kan" werde diesen Anforderungen gerecht, hieß es zuletzt.

"Wir verstehen die Bedenken und tiefen Überzeugungen hinsichtlich des anhaltenden Konflikts im Nahen Osten", erklärte ESC-Direktor Martin Green. Die Rundfunkunion wirkte allerdings bei den zwei vergangenen ESC-Finals überfordert damit, die Politik vom Wettbewerb fernzuhalten und zwischen den Teilnehmerländern einen Konsens zu erzielen.

Bereits 2024 in Malmö gab es wütende Demonstrationen mit vielen tausend Teilnehmern wegen des Gaza-Krieges. In Basel 2025 war der Straßenprotest im Mai kleiner, aber es gab offene Kritik an Israel und Solidarisierungen mit den Menschen in Gaza. Das unerwartet starke Abschneiden der israelischen Sängerin Yuval Raphael sorgte gar für Manipulationsvorwürfe. Die in der Jurywertung lediglich auf Platz 15 platzierte Israelin gewann völlig überraschend die Zuschauerabstimmung. Dies weckte in vielen Ländern Zweifel daran, dass bei der Abstimmung alles mit rechten Dingen zugegangen war. 

Keine Manipulation für Israel

Die europäische Rundfunkunion EBU fand bisher jedoch keine Hinweise auf Manipulationen. Israel scheint vielmehr von einer aufwändigen Werbekampagne in sozialen Netzwerken profitiert zu haben. Im kommenden Jahr könnte der Unmut über das Vorgehen der israelischen Armee jedoch über Proteste hinausgehen: Bei fünf Ländern scheint der Boykott des Wettbewerbs bei einer Teilnahme Israels bereits definitiv. Neben Spanien, Irland, Island, Slowenien und den Niederlanden sollen noch weitere Teilnahmen wackeln. Belgien etwa brachte bereits nach dem Baseler Finale für 2026 einen Verzicht ins Gespräch.

Spanien zählt zu den leidenschaftlichsten Fans des Wettbewerbs – und auch zu den "Big Five", den fünf großen Geldgeberländern des ESC. Sollte das Land nicht teilnehmen, würden dem kostspieligen Musikwettbewerb neben vielen Millionen Zuschauern auch viel Geld fehlen.

In Deutschland gibt es bisher keinerlei Anzeichen für einen möglichen Boykott, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kritisierte vielmehr die Boykott-Forderungen. Der neuerdings für die ESC-Vorbereitung zuständige Südwestrundfunk arbeitet planmäßig an der Vorbereitung des deutschen Vorentscheids. 

Eine historische Zerreißprobe für den ESC

Der ESC will zwar neutral und unpolitisch sein. Er konnte sich aber nie von der Weltpolitik abkoppeln. In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine darf Russland mittlerweile nicht mehr teilnehmen. 1975 führte der Zypernkonflikt zum Boykott Griechenlands. 1979 verzichtete die Türkei auf die Finalteilnahme aus Protest gegen Israels Vorgehen im Nahen Osten. Im Zuge der Balkankriege ging die EBU insbesondere gegen Serbien mit dessen damaligem Präsidenten Slobodan Milosevic vor. 

In dem Ausmaß wie in diesem Jahr gab es allerdings noch nie Konflikte – es handelt sich um eine echte Zerreißprobe des weltweit am meisten beachteten Musikwettbewerbs.

DPA
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