Kavka auf Myspace "Der letzte Mohikaner, ja, ja"

Von Johannes Gernert
Einst gehörte Markus Kavka zu den unabhängigen Stimmen des deutschen Musikfernsehens. Jetzt kippt MTV auch ihn. Mit stern.de sprach er über den Untergang seines TV-Genres, die eigene Zeigefreudigkeit und seinen persönlichen Bildungsauftrag.

Herr Kavka, Sie waren jahrelang eines der prägenden Moderatoren-Gesichter des deutschen Musikfernsehens. Erst bei Viva, dann bei MTV. Im vergangenem Herbst hat man Sie gewissermaßen outgesourct und Ihre letzte eigene Sendung eingestellt. Sie sind mit ihrem neuen Format "Kavka vs. the Web" zum sozialen Netzwerk Myspace geflüchtet. Außer Ihnen war nach den Abgängen von Christian Ulmen, Charlotte Roche oder Sarah Kuttner aus der Frühzeit des moderierten Clip-TVs sowieso längst niemand mehr übrig.
Der letzte Mohikaner, ja, ja.

Wann genau begann der Untergang des Musikfernsehens in Deutschland?
Es ist schwierig, es genau zu datieren. Aber es gibt ein paar äußere Einflüsse, die dazu geführt haben. Eine Sache: Musikvideos sind längst kein exklusiver Inhalt des Musikfernsehens mehr, sondern im Internet überall zu haben. Außerdem: der Zahn der Zeit. Musikfernsehen war in der bekannten Form ein Kind der späten 80er bis späten 90er.

Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt: Es geht zu Ende?


Es begann sich abzuzeichnen, als dieser Hype um Sendungen wie "Jackass", "Osbournes", "Dismissed" langsam abgeklungen war, die Formate aber in leicht veränderter Form immer wieder neu aus Amerika kamen und damit zunehmende Teile des Programms bestritten wurden. Noch eine Sache natürlich: der Wegfall der Werbeeinnahmen. In den 90ern hatten die Plattenfirmen unglaublich viel Geld, das sie zu nicht unwesentlichen Teilen in MTV hineingepumpt haben. Nun ging es ihnen plötzlich scheiße, und innerhalb sehr kurzer Zeit brach fürs Musikfernsehen der Werbepartner Nummer 1 weg. In der Situation traten die Klingeltöne auf den Plan. Mit einem Mal war Jamba die Firma, die MTV im Prinzip komplett finanziert.

Wenn man so einen Werbepartner hat, kann man nur Gaga-Fernsehen machen?


Du brauchst Geld, um das Programm auf einem entsprechenden Niveau zu halten, um überhaupt eigene Produktionen zu gewährleisten. Auf der anderen Seite holst du dir damit Satan ins Haus. Diesen Flurschaden, der dadurch entstand, den konnte man damals noch nicht ganz erahnen.

2007 schrieben Sie in einer Kolumne, es falle Ihnen zusehends schwerer, Musik zu entdecken, die "mich berührt, begeistert, bewegt". Wäre das schon ein Zeitpunkt gewesen, zu sagen: Danke, MTV, das war's – vade retro, satanas?
Die Aussage war auf meine private Wahrnehmung von Musik bezogen, von MTV eigentlich vollkommen losgelöst. Privat war ich lange auf dem Techno-Minimal-Trip und habe mich damals gefragt, wie das noch minimaler werden soll. Auch andere Musik hat mich gelangweilt. Dann kam aber glücklicherweise ein Moment, wo ich den Eindruck hatte, als wäre meine musikalische Wahrnehmung in den Mixer gekommen und noch einmal neu durchgequirlt worden. Ich habe jetzt wieder eine gewisse Leidenschaft. Vielleicht hatte ich, als ich diese Kolumne schrieb, einen persönlicher Durchhänger, weil ich einfach zu viel Input bekommen hatte, so dass ich irgendwann dachte, ich kann die Spreu jetzt nicht mehr vom Weizen trennen. Vielleicht war das ein kurzer Abfuck.

Ohne Auswirkungen auf die Arbeit?


Eine Sendung, die zu 100 Prozent meinen musikalischen Vorlieben entsprach, habe ich ohnehin zum letzten Mal 2005 gemacht mit "MTV Spin". Daraus wurde "Rockzone", wo ich nur noch die Hälfte der Sachen richtig prickelnd fand. Es ging für mich von da an eher darum, aus journalistischer Perspektive zu erkennen, ob eine Band eine Chance hat, ob wir deren Video spielen sollen. Insofern habe ich mich eher als Filter verstanden, Sachen aus dem Überangebot herauszupicken und sie an den Zuschauer weiter zu geben.

Als Filter sind Sie jetzt ausgebaut worden.
Einmal in der Woche mache ich ja auf MTV noch "Brandneu". Da darf ich noch ein bisschen filtern. Mein Festvertrag wurde zum Ende des Jahres aufgelöst. Ich habe jetzt einen Vertrag als freier Moderator für 2009.

Unter anderem Myspace hat MTV als eine der wesentlichen Musikplattformen abgelöst. Jetzt machen Sie dort eine Sendung. War das ein seltsamer Schritt, zu sagen: Nun gehe ich zu den Leuten, die mein Sendeumfeld zerstört haben?


Daran, dass MTV sich in einer schwierigen Situation befindet, ist der Laden in erster Linie selbst schuld. Wenn man eine Marke wie MTV hat, die seit Jahren zu den drei erfolgreichsten Brands weltweit zählt und trotzdem an einen Punkt gelangt wie diesem jetzt, muss man sich fragen, ob man zu gewissen Zeitpunkten nicht total gepennt hat. MTV könnte heute so etwas sein wie Youtube, Myspace, plus Fernseh-MTV, alles unter einer Dachmarke.

Ihre Arbeit hat sich verändert. Früher haben sie eingesandte Tapes gesichtet, jetzt beantworten sie Freundschaftsanfragen von Bands auf Myspace.
Ich kriege wahnsinnig viel zugeschickt. Unter den 100 Freundesanfragen am Tag sind 50 Musiker, und immer eine Handvoll, wo ich sage: gut!

Jede Woche wird in "Kavka vs. the Web" eine Band vorgestellt, die auf Myspace gefunden wurde, und ein Myspacer der Woche, der irgendwie auffällt. Ist das Ganze nicht einfach eine bessere Myspace-Werbesendung?


Ich hätte mich nie auf die Sache eingelassen, wenn ich nicht Myspace seit zweieinhalb Jahren aktiv genutzt und für gut befunden hätte. Es hätte nicht als Auftragsarbeit funktioniert, im Sinne von: Hier ist der Typ, der bei MTV moderiert, der macht jetzt eine Sendung bei uns, dafür kriegt er soundsoviel Kohle, egal ob er einen Myspace-Account hat oder nicht. Wenn das nicht mehr als eine komplette Myspace-Selbstbeweihräucherung wäre, wäre es ja nicht glaubwürdig. Bei dem Myspacer der Woche gucken wir schon, dass wir Leute auftun, die einen gewissen Mehrwert für die Sendung haben – als Person oder durch ihr auffallendes Profil.

Digitale Exhibitionisten.


Ich finde ganz schlüssig, was Rita von Halen, unsere Myspacerin der Woche, in der ersten Sendung, sagt: Wenn ich schon einen Myspace-Account habe, dann haue ich aber auch auf die Kacke! Diese Rita ist Anfang 20 und macht das Profil mit den entsprechenden Fotos, weil sie ein bisschen ans Licht will. Jetzt ist sie so in dieser Sendung gelandet. Sie ist Modedesignerin, Studentin und präsentiert da ihre Sachen. Rita von Halen kann sich berechtigt Hoffnung machen, dass jemand kommt und sagt: Ich mache auch Mode, lass uns doch zusammen ein Label gründen. Für andere ist es eine ganz unmittelbare Möglichkeit, so ein bisschen Ruhm zu bekommen, auch ohne eine große, kreative, künstlerische Eigenleistung. Einfach durch den Umstand, dass man sein Privatleben öffentlich macht.

Sie haben den Ruhm schon, machen Sie ihr Privatleben trotzdem öffentlich?
Ich hatte da kurioserweise immer wenig Hemmungen. Lange bevor ich online war, war ich ja in meinen Interviews und Moderationen sehr offen und habe viel Privates erzählt. Ich hatte nie Angst, Dinge von mir preiszugeben.

Sie rasieren sich die Hoden, das kann man auf Youtube in einem Sendungsschnipsel erfahren.


Ich habe gemerkt, dass einem das auch den Arsch frei hält. Je mehr man den Leuten aufrichtig und ehrlich von sich vor die Füße wirft, um so weniger läuft man Gefahr, dass irgendein Scheißdreck zusammengebastelt wird. Was will man noch groß an Scheißdreck in die Welt setzen, den ich noch nicht selber erzählt habe.

Das Internet bleibt jetzt Ihre neue Heimat?


Es ist gut möglich, dass ich Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahres beim ZDF arbeite. Mir liegt daran, Informationen weiterzugeben, junge Leute zu erreichen. Ich habe immer durchscheinen lassen, dass ich nicht finde, dass ARD und ZDF ihren Grundversorgungsauftrag richtig wahrnehmen. Das hieße nämlich auch, jüngere Zuschauer ernsthaft anzusprechen. Mein Genörgel hat sich jetzt bezahlt gemacht und die haben beim ZDF gesagt: Ehe der Kavka ewig meckert, soll er den Scheiß doch selber machen. Wir drehen am 21. April einen Piloten im Berliner Club Watergate, der auch im ZDF-Infokanal live ausgestrahlt wird. Sollte das Ding nicht da schon vor die Wand gefahren worden sein, wollen wir uns ein halbes Jahr Zeit geben, um das Format zu entwickeln, so dass es im Spätherbst auf Sendung gehen könnte. Das ist der Plan. Arbeitstitel der Sendung ist "Kavka". Das Ding wird auch von mir zusammengehalten. Ein Thema soll aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, sozial, privat – mit Reportagen, Beiträgen und mit einem Gast. Es soll am Ende auch einen popkulturellen Teil geben, der dem nicht unähnlich ist, was ich auf MTV gemacht habe. Musik und andere Kultur.

Interview: Johannes Gernert

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