Schwer zu ertragende Bilder brennen sich für immer in mein Gedächtnis ein. Trotzdem muss ich hinsehen, jedes Mal, wenn etwas Schlimmes passiert. Wenn Autos ineinander krachen, zum Beispiel. Oder wenn der Wendler etwas tut. Ich kann nicht anders, als einen Blick zu riskieren – in dem Wissen, dass mich die Bilder mein Leben lang verfolgen werden. So wie das neue Video zum Wendler-Song "Einer liebt immer mehr".
"Wie lange hält so was an oder geht es vorbei? Geht man damit zum Arzt, so mit Krankenschein?", philosophiert der Unterhemd tragende Wendler darin und bringt auf den Punkt, was ich mich auch gerade frage. Noch weiß ich nicht genau, was es mit dem Wendler-Virus auf sich hat, der seit Jahren tausende Menschen befällt. Der Wendler polarisiert. Und das nicht erst, seitdem er eine 28 Jahre jüngere Freundin hat, die bis vor Kurzem noch zur Schule ging. Auf Facebook finden sich sowohl Wendler-Hass- als auch Fangruppen. Die Kommentarspalten unter Wendler-Artikeln quellen über. Immer wieder wird der Sänger auch verteidigt. Vielleicht ist es die Bewunderung für jemanden, der sich als Marke etabliert hat, ohne etwas Erkennbares zu können, zu wissen oder sonderlich gut auszusehen.
Ernst nehmen kann ich diesen eher durchschnittlichen Mann mit diesem sehr überdurchschnittlichen Selbstbewusstsein zwar nicht, aber "The German King of Pop Music" (Zitat der Wendler) ist eine gut laufende Marke. Schon seit 19 Jahren (also so viele Jahre wie seine Freundin alt ist) macht Michael Skowronek, mittlerweile Norberg, unter dem Namen Michael Wendler Musik.
Sie weilen unter uns: Menschen, die den Wendler lieben
Er ist erfolgreich damit, hat Gold- und Platin-Alben und sogar Echo-Nominierungen eingesackt. Und sie scheinen tatsächlich unter uns zu weilen: die unironischen Wendler-Fans. Menschen, die den Wendler verehren, ja sogar lieben. Darauf zumindest lassen Personen schließen, die freiwillig auf Wendler-Konzerte gehen, Wendler-Fan-Gruppen auf Facebook und die Tatsache, dass es Wendler-Fan-Fahrten zu buchen und Wendler-Fan-Artikel zu kaufen gibt. Hoodies, auf die "Wendler 72" gedruckt ist, Tassen, Kissen und Mousepads mit dem Wendler. Wie kann das sein?
Meiner Meinung nach ist der Wendler durchaus als Vorbild geeignet. Allerdings eher als Mensch-gewordenes Mahnmal, das zeigt, was aus einer Person wird, die jede Form der Kritik als vermeintlichen Neid an sich abprallen lässt. Das hat er in einer älteren Folge der Vox-Sendung "Goodbye Deutschland" sogar selbst zugegeben. So ähnlich zumindest.
Denn laut dem Wendler gibt es nur zwei Arten von Menschen auf der Welt: Menschen, die den Wendler mögen und Menschen, die neidisch auf den Wendler sind. "Ohne mich geht es nicht in Deutschland. Schlagzeilentechnisch", weiß der Wendler und hält verbittert fest: "Deutschland vernichtet seine Helden." Und wenn Sie sich nun fragen, welche Helden der Wendler damit meint: den Wendler natürlich.

Wir Deutsche hätten Helden wie ihn, "the Wendler" (Englisch für der Wendler), vernichten wollen und so hätte er seinem Land den Rücken gekehrt und den Neubeginn in Florida gewagt. Ein klassischer Widerstandskämpfer eben. Sein Schicksal verglich er damals mit dem Donald Trumps. Vielleicht ist es auch dieses Selbstbewusstsein, dem jede Basis fehlt, das the Wendler so … nennen wir es besonders macht.
Ich klicke mich durch Wendler-Videos und erreiche einen Zustand zwischen Schockstarre und Lachanfällen
"Ist das normal, wenn man gar nichts mehr checkt?", singt the Wendler. Und schon wieder ist es, als könnte er meine Gedanken lesen.
Und doch sind sie nicht nur den Wirrungen seines Gehirns entsprungen, die Wendler-Fans. Auf meine, wie ich finde, sehr nachvollziehbare Frage an die Fans einer Facebook-Gruppe, was sie an dem Wendler mögen würden, antwortet mir nur ein einziger Fan. Aber nein, die Dame möchte nicht interviewt, auch nicht namentlich genannt werden. Wendler-Fan zu sein, das ist ganz offensichtlich auch etwas Peinliches. "Als Fan feiert man seine Musik", lautet die schlichte Antwort.
Die Musik also. Ich beschließe, dem Wendler eine zweite Chance zu geben. Vielleicht habe ich bisher nur die weniger geglückten Wendler-Werke zu Ohren bekommen. Youtube schlägt mir neben der logischen Schlussfolgerung "Wie soll ein Mensch das ertragen" (Danke, Philipp Poisel) auch "Warum Männer nie weinen" vom Wendler als weiterführendes Video vor. Darin düst the Wendler mit Depri-Miene und Lederjacke auf einem Motorrad über die kargen Straßen Floridas.
"Gut, dass Männer nie weinen. Wir sind so hart wie Stein. Uns fehlt einfach das Gen", singt the Wendler. Stimmt, es gab ein Gen fürs Weinen. Wie heißen die Menschen noch mal, die das haben? Ach ja, Frauen. Ich klicke mich weiter durch Wendler-Videos und erreiche einen merkwürdigen Zustand zwischen Schockstarre und Lachanfällen.
Pure plumpe Wendler-Wahrhaftigkeit
Der Wendler steuert ein Speedboot, der Wendler fährt Motorrad, der Wendler wäscht Pullis bei 90 Grad – natürlich, denn er ist ein Mann und Männer wissen doch gar nicht, wie man Wäsche wäscht! Das alles schreit dermaßen nach "Ich möchte wie ein sehr männlicher Mann rüberkommen", dass es weh tut.
Vielleicht ist es genau das, was den Wendler so erfolgreich macht. Bei ihm gibt es keine Zwischentöne, nichts zu interpretieren, sondern nur pure, plumpe Wendler-Wahrhaftigkeit. Klischees, so weit das Auge reicht. Ein Macho im Unterhemd, für den das Höchstmaß an Männlichkeit immer noch darin besteht, Reifen zu schleppen, Motorrad zu fahren, keine Ahnung von Waschmaschinen zu haben und eine nicht einmal halb so alte Brünette mit großer Oberweite seine Freundin zu nennen.
Und die junge Frau, die findet das auch noch toll und macht mit. Es ist ein bisschen so, als wäre Macho-Wendler in einer Zeitmaschine zu uns in die Zukunft gereist und hätte ein paar tausend Fans mitgenommen. Das alles könnte man schulterzuckend so hinnehmen, wäre da nicht die junge Freundin des Wendlers, die er so schamlos für seine Zwecke benutzt und zum Sexobjekt stilisiert, der er für Videos in den Ausschnitt filmt und die er in TV-Sendungen vor laufender Kamera begrapscht und andere Anwesende dabei fragt: "Willst du auch mal?"

Vielleicht ist es tatsächlich diese Plumpheit, die den Wendler so beliebt macht
Wer so etwas sieht, dem wird sofort klar, warum es Anti-Wendler-Gruppen auf Facebook, nicht aber warum es Wendler-Fans gibt. Doch Schlagerfans sind anscheinend sehr loyale Wesen, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Genauso wie der Wendler, der sich den Hass auf ihn und seine Laura im "Sommerhaus der Stars" so erklärte: "Wir werden aus dem Nichts angegriffen. Nur weil ich lebe."
Vielleicht ist es tatsächlich diese Plumpheit am Wendler, die ihn so beliebt macht. Der Wendler ist einfach zu verstehen, seine Songtexte sind so schlecht, dass seine vom Leben frustrierten Fans sie selbst in besoffenem Zustand noch fehlerfrei mitsingen können. Das Geheimnis des Wendlers könnte darin bestehen, dass er gar keines hat. Seine Fans verzeihen ihm offensichtlich alles. Sogar eine 28 Jahre jüngere Freundin.
Bleibt nur noch zu hoffen, dass seiner Freundin Laura irgendwann bewusst wird, wen und was sie da eigentlich unterstützt und aus der Wendler-Zeitmaschine aussteigt. Oder um es in den Worten des Wendlers zu sagen: "Wenn du dich eine so lange Zeit zwischen Dummen aufhältst, nimmst du die gleiche Struktur an. Auch ein ganz intelligenter Mensch wird zwischen Dummen dümmer."