Man sollte nicht so dumm sein, darüber nachzudenken, weshalb er das alles noch macht. Lieder schreiben und singen, nach etlichen Rolling-Stones-Platten und bald 40 Musikerjahren nun sein viertes Soloalbum aufnehmen: Man sollte das alles schnell vergessen, wenn Mick Jagger vor einem steht. Laut, ungeduldig und konzentriert zugleich, sich bei jedem Satz lachend durch die paar grauen Haare fahrend, die in die Stirn fallen. »Goddess in the Doorway« heißt das Album, das er nach der Stones-Tournee 1999 in seinem Haus in Frankreich aufgenommen hat. Es ist eine Art Jagger-und-Freunde-Werk: Bono, Lenny Kravitz und »Who«-Gründer Pete Townshend spielen mit. Trotz betagter Besetzung ist es ein erstaunlich frisches Album mit Rock-Elementen, lustigem Soul-Pop und Gospel-Splittern, »man kann aber jeden Song auch mit Gitarre in der Küche spielen«, sagt Jagger gelassen.
Mr Jagger, viele Ihrer Kollegen haben in diesen Wochen Angst zu fliegen. Sie selbst sind heute in Köln, dann in Paris, dann in London ...
Ich habe keine Angst, das sind eher die Amerikaner. Wissen Sie, warum? Weil sie fürchten, nicht wieder nach Hause zu kommen. Das ist ein amerikanischer Komplex, immer in Panik, der heimische Flughafen könnte schließen.
Sie haben ein Appartement in New York. Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis die Stadt sich von den Folgen des 11. September erholt hat?
Sehr lange. Ich habe vor zwei Wochen bei diesem Benefizkonzert in New York gespielt. Da hat man gemerkt, wie tief der Schock sitzt, alles war deutlich leiser als sonst. Durch die Anschläge wurde eine Gesellschaft, die aus Individuen bestand, zu einer Gemeinschaft zusammengeschmiedet. Das verändert alle Schichten, egal, ob reich oder arm. Was jetzt stattfindet, ist eine soziale Reorganisation, und das wird dauern.
Im Song »Hideaway« träumen Sie davon, zu verschwinden, sich die Haare abzuschneiden und das Handy wegzuwerfen.
Das träumt jeder, der unter Druck steht. Das sieht man, wenn Leute Urlaub machen und zu anderen Menschen werden, sich betrinken und benehmen, wie sie es sonst nie täten. Wir alle haben Ausbruchsfantasien.
Möchte Mick Jagger manchmal nicht Mick Jagger sein?
Das ist nicht das Problem - Mick Jagger würde nur manchmal gern ein anderes Leben führen. Ohne Druck und ohne Verantwortung für all die Menschen, mit denen ich arbeite und die mit mir Geld verdienen. Aber nicht ich selbst zu sein geht nicht. An Halloween habe ich mir eine Maske aufgesetzt und bin in den Pub gegangen. Keiner hat mich erkannt, war lustig.
Sie haben Ihr viertes Soloalbum gemacht. Was kann einer wie Sie mit den Rolling Stones nicht singen, allein aber schon?
Eine ganze Menge. Die Stones haben eine Persönlichkeit, sie sind wie ein Tier, etwa wie ein Löwe. Und als Löwe muss man sich immer wie ein Löwe aufführen, sonst sind die Leute enttäuscht. Solo zu arbeiten heißt dagegen, nicht an den Löwen zu denken und mit Freunden einfach nur Musik zu machen. Außerdem muss ich nicht jeden Ton und jede Zeile mit der Band diskutieren. Demokratie in der Musik ist nicht immer eine großartige Angelegenheit.
Neben Ihren Soloprojekten sind Sie als Film-produzent tätig. Wie schwer fällt es Ihnen, andere Menschen mit Ihrem Geld arbeiten zu lassen ?
Sehr leicht, weil ich selbst keinen Pfennig Geld investiert habe, im Gegenteil, ich hoffe, für meine Arbeit bezahlt zu werden. Ich habe den Film »Enigma«, ein Kriegs-Thriller nach dem Roman von Robert Harris, produziert. Der Film hatte jetzt in England Premiere und großen Erfolg. Aber sehen Sie, Produzent sein heißt nicht viel, das kann bedeuten, dass Sie Geld investieren oder zufällig mit der Hauptdarstellerin verheiratet sind oder sonst was. Mein Job war einfach: Ich habe die Rechte am Buch gekauft und Geld besorgt, mehr nicht. Ich war nicht mal oft bei den Dreharbeiten.
Im nächsten Jahr haben die Stones 40-jähriges Jubiläum. Bedeutet Ihnen die Zahl etwas?
Eine Menge. Es gibt ja viele Leute, die werden depressiv, wenn sie 40 werden. Mir ging das nicht so, und ich habe in die Band nie so viele Emotionen investiert, dass ich jetzt die Traurigkeit des Alters haben könnte. Es ist Geschichte, Band-Geschichte, und ich fühle mich ganz wohl darin.
Aber es wird eine Jubiläumsfeier geben?
Ich hoffe schon, aber bei den Stones weiß man nie so genau. Außerdem haben wir unsere Zweifel, ob es wirklich schon 40 Jahre sind. Ich werde das noch mal nachrechnen.
Interview: Jochen Siemens