Mit 20 wollte Mutya Buena plötzlich nicht mehr süß sein. Da war sie bereits sechs Jahre lang Mitglied in Englands erfolgreichem Pop-Export. Songs wie "Overload", "Round Round" oder "Push the Button" landeten verlässlich in den Top-Ten-Charts - nicht nur auf der Insel. Doch es gab Zoff im Candyland. Mit den Kolleginnen war nicht mehr gut Kirschenessen. Mutya Buena wollte weg vom Image der Zuckerpüppchen. Und ging. Es dauerte nur wenige Stunden, da wurde sie auch schon durch Sängerin Amelle Berrabah ersetzt. Im Musikbiz fackelt man halt nicht lange.
Die Robbie Williams unter den Girlgroups
Das ist lange her. Eine Ewigkeit. Zumindest in der Zeitrechnung der Popwelt. Zwei Jahre nach den Sugababes bringt die heute 22-Jährige ihr erstes Soloalbum heraus. "Real Girl" heißt es und steht ab sofort in den Plattenläden. Mutya ist weiß Gott nicht das erste Pop-Girlie, das sich von ihrer erfolgreichen Band lossagt, um es alleine zu schaffen. Und sie wird auch nicht die Letzte sein. Aber sie hat die besten Voraussetzungen, an den Erfolg der Sugababes anzuknüpfen.
Ja, die Mutter der mittlerweile zweijährigen Tahlia könnte es schaffen. Mutya Buena war schon zu Sugababe-Zeiten die coole Braut der Band, die Robbie Williams unter den Girlgroups. Ihre Mitstreiterinnen Keisha Buchanan und Heidi Range sang Mutya glatt an die Wand. Sie war der Hingucker und die Stimme. Einzigartig, aber alles andere als artig. Mit ihrer Guiness getränkten Stimme, die sie von ihrer irischen Mutter geerbt haben muss, gab sie den Songs den Rotz und den Wiedererkennungswert, den sie brauchten, um nicht in die Mittelmäßigkeit abzudriften. Sie entnahm ihnen die Zuckerwatte, die zwischen den Zeilen klebte. Trotzdem, der Sugababes-Sound war einfach nicht Mutyas Ding. Zu glatt, zu perfekt, zu viel Pop statt R'n'B, zu viel Miau statt Grrrr.
Bisschen weniger Sugar, bisschen mehr Babe
Authentisch, mit Ecken und Kanten - so sollte ihr Soloalbum werden. Bisschen weniger Sugar, bisschen mehr Babe. An dem Sound, der während spontanen Sessions entstand, durfte nicht herumgeschliffen werden. Das war Mutyas Wunsch. Der Albumtitel "Real Girl" unterstreicht, worauf die junge Britin beharrt: auf ihre Echtheit und Individualität. Ein klassisches Bandaussteiger-Syndrom. Das Konzept geht jedoch nicht ganz auf. R'n'B, Rock, Pop, Elektro, Soul und sogar Motown? Mutya fehlt bei ihrem Debüt der Mut zum eigenen Stil. Ihre Erklärung dafür klingt etwas an den Haaren herbeigezogen: "Ich hatte einen Bruder, der auf HipHop stand, einen Bruder, für den Jungle alles bedeutete, einen, der auf Garage-Sounds abging, und dann kam ich, die immer R'n'B und funky House-Musik hörte. Insofern liegt doch auf der Hand, warum ich mich ohne Probleme zwischen den musikalischen Stilen bewegen kann." Eine nette Umschreibung, wenn man sich nicht festzulegen traut.
Mit der Liebenswürdigkeit einer Straßengöre
Aber Mutya Buena hat auch einiges richtig gemacht - und darauf kommt es an: Für ordentlich Bums und Groove sorgen die illustren Kollaborationspartner, die sie sich für ihr Solowerk ins Boot geholt hat. Allen voran Amy Winehouse. Dass die zwei früher oder später gemeinsame Sache machen würden, war abzusehen: Neben ihrem Faible für Piercings, Tattoos und schwarzen Kajalstift teilen sie die Vorliebe für das Londoner Nachtleben. Dass Winehouse eine Schnapsdrossel ist, ist hinlänglich bekannt. Laut Yellow-Press brach sich nun auch Buena vor einigen Tagen bei einem Saufgelage in London die Hand. Aber die Mädels dürfen sich ruhig feiern. Immerhin haben die Bad Girls mit dem Charme zweier Straßengören zusammen den coolsten Song des Albums aufgenommen - einen Ronettes-Klassiker. Aus dem Dirty-Dancing-Hit "Be My Baby" wurde "B Boy Baby" und die zwei Ladys grooven mit so viel Soul in der Stimme, das man sie heilig sprechen möchte.
Mächtig Powackel-80er-Dance-Sound kommt auch bei Track Nummer drei auf, bei dem Groove Armada ihre Finger mit im Spiel haben. Die ersten Beats von "Out Of Control" (Song 4 Mutya)" läuten eine funky Elektro-Hymne ein, wie man sie sich von dem charismatischen Stimmwunder erhofft. Die Armada-Masterminds Tom Findlay und Andy Cato verstehen ihr Handwerk. Würde "Real Girl" nur aus letzteren beiden Songs sowie dem Opener "Just a little bit" und dem Ohrwurm "Real Girl" bestehen, wäre es definitiv der perfekte Soundtrack zum Sommer geworden. Auch das melodische "Strung Out" und der Motown-Song "Suffer For Love" haben durchaus ihre Daseinsberechtigung und dürften auf dem Silberling bleiben. Ebenso wie "It's Not Easy", Mutyas Hymne an ihre Tochter.
Aber dann ist da noch George Michael. Bereits 2006 sang Mutya mit ihm das Duett "This Is Not Real Love". Eine fade Popnummer, die sie sich hätte schenken können. Aber wer sagt schon "nein", wenn der Urvater der Boygroups (Wham!) ruft? Nur drei Sängerinnen wurde bisher die Ehre zuteil mit Michael zusammen zu arbeiten: Aretha Franklin, Whitney Houston und Mary J. Blige. Und jetzt Mutya Buena. "This Is Not Real Love" wurde mit einem schnelleren Beat aufgemöbelt und gehört jetzt halt zusammen mit "Wonderful" zu den zwei schwächeren Nummern des Albums. Songs, bei denen man hört, dass Miss Buena irgendwie doch immer noch 'ne Süße ist. Charmant, jedoch mit dem Drive eingeschlafener Füße versehen.
Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist
Die erste Singleauskopplung des Debüts sagt alles über die Ziele des Ex-Girlies aus: "Real Girl" basiert auf Lenny Kravitz' Welthit "It ain't over 'til it's over". Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist, denkt sich wohl auch Mutya Buena und setzt alles daran, dass ihre Musikkarriere jetzt erst richtig losgeht. Das Zeug dazu hat die stimmgewaltige Britin ja, aber wie soll man ihre Leistungen als Solokünstlerin bewerten, wenn Hitgaranten wie George Michael und Lenny Kravitz ihr den Rücken frei halten? "Ein zukünftiger Klassiker", lobt das britische Musikmagazin "New Musical Express" in höchsten Tönen. Jedoch: Die größten Hits der Platte sind nicht auf Buenas Mist gewachsen. Sowohl "Out of Control" als auch "B-Boy Baby" sind echte Kracher - dank Groove Armada und Amy Winehouse. Dafür sollte das Ex-Sugababe beim nächsten Pub-Besuch mehr als nur eine Runde springen lassen.