Houston, wir haben kein Problem!
Mal ehrlich: Was am wenigsten interessiert, an diesem nächsten Comeback des Jahrzehnts, ist doch letztlich die Musik. Ob die nun eher housig oder soullastig geraten ist, ob die großen Balladen da sind oder fehlen, die Stimme ein wenig kratzt oder immer noch in den letzten Winkel der obersten Oktaven gelangt – Pustekuchen! Whitney ist zurück – das ist die gute Nachricht. Die Crackpfeife ist vom Badezimmerschrank verschwunden, die einst wässrig-müden Augen haben fast wieder den alten Glanz und Bobby Brown, der schlimme Finger, ist auch endlich dort, wo der Pfeffer wächst. Bahn frei für Frau Houston und ihr neues Album. Das heißt "I Look To You" und mag vielleicht kein nächster "One Moment in Time" sein. Es ist vielmehr ein in Maßen edel, auf Länge mehr als okay geratenes Album einer Sängerin, die Michael Jacksons Abschiedscredo "Das war's!" unter Ausschluss der Öffentlichkeit eigentlich schon in die Tat umgesetzt hatte. Und jetzt doch wieder da ist.
Gut, es gab 2004 noch die "Soul Divas"-Tour, mit der Whitney versuchte, es sich frühzeitig auf dem Altenteil des US-Soul, zwischen Natalie Cole und Dionne Warwick, bequem zu machen. Aber hey, Whitney Houston mit 40 Jahren bereits auf dem Sprung in die Groove-Geriatrie, präsentiert von Tchibo? Dazu sage ich "Nein". Und fünf Jahre später, anno 2009, könnte der Zeitpunkt kaum besser sein. Pop-Amerika (ebenso wie der Rest der Welt) hat sich die Jacko-Trauer so langsam aus den Klamotten geklopft, was könnte da tröstlicher sein, als dass mit Whitney Houston eine Über-Figur aus den 80ern und 90ern auf die Bühne zurückkehrt, die man bereits abgeschrieben hatte. Und die eben nicht – so scheint es jedenfalls, und wir klopfen dreimal auf Holz, dass es stimmen möge – abgeschmiert ist. Ob Britney oder Mariah, Knorpelgöttin Madonna oder die stündlich mehr nervende Lady Gaga - alle beiseite getreten, die Mehrheitsverhältnisse im female Pop könnten sich noch einmal ändern. Der nächste Superbowl, die nächsten Olympischen Spiele, Inaugurationen oder Mandela-Geburtstage kommen bestimmt. Welcome back, Whitney.
Die Ära der großen Diven ist längst vorbei
Wir wollen kurz mal einen Whitney-Houston-Erinnerungstest mit Ihnen machen. Sind Sie bereit? Okay, los geht’s! Schließen Sie die Augen und denken Sie an Whitney Houston – was sehen und hören Sie da? Ein ausgemergeltes Drogenwrack. Nein, stopp. Wir meinen: Whitney, die Sängerin. Also, noch einmal. Augen zu! Sie sehen eine junge, dauergelockte, hübsche Frau. Sie lächelt und zeigt ihre blendend weißen Zähne. Jetzt hören Sie eine balladige Gospel-Orgel klimpern. Und darüber segelt eine warme Soul-Stimme mit Leichtigkeit durch die Oktaven. Die Musik ist jetzt nur noch Nebensache, die Stimme überleuchtet alles, weil sie die Wärme des Gospels hat und die Virtuosität einer Opern-Sängerin.
So haben wir Whitney Houston in Erinnerung. Ist doch schön. Und es hätte auch so bleiben können, wenn sich die inzwischen 46-jährige Whitney Houston nicht für ein Comeback entschieden hätte. Nach sieben Jahre Pause erscheint jetzt ihre neue CD "I Look To You". Es soll das Pop-Ereignis des Jahres werden. Natürlich wird sich die CD ein paar Millionen Mal verkaufen, vielleicht sogar auf Platz eins landen, weil es noch jede Menge nostalgische Whitney-Fans gibt, aber ein Dauerbrenner oder gar Klassiker wird "I Look To You" nicht werden. Das Dilemma ist: Whitney Houston steht für die Ära der Super-Diven wie auch Mariah Carey, deren Zeit aber längst vorbei ist. In jeder Castingshow werden ihre Songs von Zahnarzthelferinnen aus Celle nachgeträllert. Eine Superstimme ist kein Gottesgeschenk mehr, sondern nur ein Ausdruck von Disziplin und Technik. Was also tun? Whitney Houston hat sich die besten Songwriter geholt: Alicia Keys, R. Kelly, Akon und Diane Warren. Das Produkt Whitney Houston wurde grunderneuert. Statt Gospel-Orgel jetzt Euro-Dance-Beats, statt lieblichen Oktaven-Sprünge jetzt rau-stimmige Drogen-Beichten. Das mag in die Zeit passen, aber es passt nicht zu Whitney Houston. Es gibt nur einen Whitney-Houston-Moment auf dieser CD. Bei Minute 25. Im Song "I Didn’t Know My Own Strength". Da schimmert kurz die alte Klasse dieser Ausnahmesängerin durch. Für ein Comeback ist das aber leider zu wenig.