Frau Ono, das Werk von John Lennon ist hinreichend dokumentiert und zugänglich. Warum jetzt eine derart aufwendige Neuveröffentlichung?
Ich betrachte es als meine Aufgabe und Verantwortung, mich um Johns Werk zu kümmern. Dazu gehört auch die Aufbereitung seiner Songs. Ich hoffe, dass jüngere Leute entdecken können, wie gut John war. Und ich wünsche mir, dass die Menschen Kraft und Inspiration aus seiner einzigartigen Begabung ziehen.
"Double Fantasy", die letzte gemeinsame Veröffentlichung vor Lennons Tod, haben Sie neu abgemischt.
Als abgespeckte Version, zusätzlich zum Original. Wir haben ein paar Instrumentalspuren weggenommen, damit man Johns Stimme klarer hört. Das Album hat eine spezielle Bedeutung für mich. Musikalisch und persönlich. Persönlich ist es schwierig, denn da ist dieser Song drauf: "Starting Over". Und davon hat er erzählt: vom Neuanfang, vom Wiederdurchstarten. Er war so voller Energie. Und drei Wochen später war er tot.
Zu dem Jubiläums-Projekt gehört auch unveröffentlichtes Material.
Aus meinem Archiv. Aber das steht nicht im Mittelpunkt. John war ein unglaublicher Künstler mit unglaublicher Energie. Seine Texte sind zeitlos und wahrhaftig. Darum geht es.
Sie haben mehrere Platten gemeinsam aufgenommen. Wie war die Zusammenarbeit?
Meistens haben wir Johns Songs zuerst aufgenommen. Und meine immer erst um 2 Uhr morgens. Aber bei "Double Fantasy" war das anders. Er ging sehr sorgfältig mit meiner Arbeit um. War kreativ mit ihr. Das hat mich überrascht.
Sie waren sehr unterschiedlich in Ihrer Kunst. Gab es oft Auseinandersetzungen?
Nein. Ich habe seine Arbeit sehr respektiert. Wir haben uns gegenseitig bewundert. Das brachte viel positive Energie. Wir haben nicht gegeneinander gekämpft und uns verschwendet. So dumm waren wir nicht. Unsere Arbeit basierte auf Liebe zueinander und aus Liebe zu dem, was wir tun. Wir waren sehr glücklich damit, weil wir das wirklich fühlten. Alles, was wir machten, sollte einen Ausdruck haben. Manchmal war das für Außenstehende schwer zu verstehen. Wir haben gemeinsam gearbeitet, aber einzeln.
Was heißt das?
Wir waren politisch auf einer Linie, aber wir haben nicht zusammen Songs geschrieben. In der Gegenwart des anderen ja, aber nicht gemeinsam. Jeder hatte seine Eigenheiten. Er war ein sehr unabhängiger Songschreiber und ich auch. Wir haben uns gegenseitig inspiriert, aber wir hingen nicht voneinander ab.
Von außen betrachtet wirkte Ihre Beziehung selbst wie ein politisches Statement. Lange Zeit haben Sie sich ums Geschäft gekümmert, John um den Haushalt.
Ja. Aber das ist doch keine Politik.
Aber es war sehr emanzipiert. Eine sehr gleichberechtigte Beziehung. Oder?
Gleichberechtigt, ja. Aber ich habe uns in der Beziehung nicht als besonders "gleich" gesehen. Ich denke nicht, dass Frauen so sind wie Männer. Sie sind viel belastbarer und stärker. Frauen sollten nicht versuchen, so zu sein wie Männer. Sie sollten ihre eigenen spezifischen Stärken ausleben und entfalten. Wenn Frauen versuchen, wie Männer zu sein, beschränken sie sich. Es reduziert sie.
Sie haben sich immer für die Rechte der Frauen eingesetzt, mit Songs wie "Sisters, o Sisters" zum Beispiel. Und sind selbst Opfer eines Dämonisierungsprozesses geworden. Sie waren die "Hexe", die die Beatles zerstört hat.
Ich war kein Opfer. Weil ich mich selbst nie als Opfer gesehen habe. Ich wusste immer: Wenn Leute mich attackierten, dann kannten sie mich entweder nicht sehr gut oder sie waren eifersüchtig. Ein Opfer ist eine Person, die sich selbst als Opfer betrachtet. So habe ich nie von mir gedacht.
Aber bis heute widersetzen Sie sich der Begnadigung von Mark Chapman.
Ja. Der Mörder meines Mannes soll im Gefängnis bleiben. So ist es.
Yoko Ono
Getty Images Sie ist eine der unbeliebtesten Frauen der Musikgeschichte: Lange Zeit wurde Yoko Ono für das Auseinanderbrechen der Beatles verantwortlich gemacht. Die 1933 in Tokio geborene Avantgarde-Künstlerin lernte John Lennon 1966 kennen, als dieser ihre Ausstellung in London besuchte. Drei Jahre später heirateten die beiden. Das Paar arbeitete gemeinsam an künstlerischen wie politischen Projekten. 1975 brachte Ono den gemeinsamen Sohn Sean auf die Welt. Seit Lennons Ermordung 1980 verwaltet sie sich um den Nachlass ihres Mannes. Unter ihrer Aufsicht kommt nun eine Neuauflage von Lennons Solowerk auf den Markt.