Wer ihn nur als harten Kommissar Bukow aus dem "Polizeiruf" kennt, wird überrascht sein. Der Schauspieler Charly Hübner zeigt in der MDR-Produktion "Bornholmer Straße", dass er auch wunderbar bräsig in die Kamera starren kann. Groß, breit und etwas tumb spielt er einen Mann, der 1989 eher unfreiwillig Geschichte geschrieben hat.
Oberstleutnant Harald Jäger ist eigentlich ein linientreuer DDR-Grenzer. Er bewacht mit seinen Männern den Übergang Bornholmer Straße in Berlin. Selten geschieht etwas Aufregendes. Der illegale Grenzübertritt eines streunenden Hundes ist schon das höchste an Aufregung für die bizarre Truppe. Doch am Abend des 9. November 1989 wird alles anders. Die Grenzer sehen fassungslos im Fernsehen die legendären Pressekonferenz mit Günter Schabowski und hören den zentralen Satz "Privatreisen nach dem Ausland können ab sofort ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden." Wenig später stehen die ersten Ostberliner vor dem Grenzübergang und wollen in den Westen. Was tun? fragen sich die überforderten Grenzer. Sie wissen von nichts. Nach ein paar Stunden ist die Schar Ausreisewilliger zu einer Masse Mensch geworden, die - beflügelt von den Worten eines SED-Bonzen - endlich in die Freiheit will.
Entscheidung nach inneren Kämpfen
Dramatische Stunden beginnen. Jäger und seine Truppe warten auf Entscheidungen ihrer Vorgesetzten. Doch die bleiben aus. Keiner will für das, was eventuell passiert, die Verantwortung übernehmen. Die Grenzer sind in dieser historischen Nacht ganz auf sich gestellt. Und die Gruppe ist auch noch gepalten. Es gibt Hardliner, die schießen wollen. Und andere, die einfach nur abwarten möchten, bis irgendein Befehl kommt. Aber es kommen keine Befehle. Selbst die Stasi schweigt.
Harald Jäger muss sich entscheiden. Denn die Lage droht zu eskalieren. Der Druck der Ausreiseiwilligen wird immer größer, die Stimmung zunehmend aggressiver. Auch Schaulustige aus dem Westen stehen inzwischen auf der anderen Seite der Grenze. Kamerateams dokumentieren live die Ereignisse. Hier wird Weltgeschichte geschrieben. Und Harald Jäger ist der Mann, der jetzt handeln muss. Und er tut es. Nach quälenden Stunden und großen inneren Kämpfen öffnet er schließlich den Schlagbaum, und die Osterberliner strömen in den Westen. Ausgerechnet ein Oberstleutnant der Grenztruppen hat die Mauer geöffnet. Harald Jäger wird zum Helden und läutet das Ende der DDR ein.
Dialogwitz und skurriles Personal
Der Regisseur Christian Schwochow erzählt diese von Nico Hofmann und Benjamin Benedict produzierte Geschichte als Tragikomödie mit viel Dialogwitz und skurrilem Personal. Neben Charly Hübner sind unter anderen Milan Peschel, Rainer Bock, Max Hopp, Ludwig Trepte, Jasna Fritzi Bauer, Frederick Lau und Ulrich Matthes zu sehen. Das Drehbuch stammt von Heide und Rainer Schwochow. Sie alle haben einen wirklich guten Job gemacht und aus dem zeitgeschichtlichen Stoff einen sehenswerten, unterhaltsamen und trotzdem packenden Film gemacht. Jäger und seine Truppe hocken inmitten ihrer Grenzbefestigungen wie von Indianern belagerte Cowboys in einem Western. Draußen toben die nach Freiheit dürstenden Massen, und drinnen glotzen die Grenzsoldaten auf Bildschirme und diskutieren Befehlsketten.
Vor allem Hübner spielt grandios. In seinem Gesicht spiegelt sich all die Hilflosigkeit, all das Zweifeln und Zaudern. Man sieht, wie es in ihm arbeitet, wie er sich grämt und quält. Fühlt seinen Wunsch, dass doch bitte eine höhere Macht ihm die Entscheidung abnehmen möge. Schließlich siegt der gesunde Menschenverstand. Das mitzuerleben ist großes Fernsehen.
Das Erste zeigt "Bornholmer Straße" am Samstag, 3. Oktober, um 20.15 Uhr als Wiederholung.