Achtung: Dieser Text verrät Inhalte der aktuellen achten Staffel von "Game of Thrones" und aus allen bisherigen Staffeln. Wer noch nicht alle Folgen gesehen hat und sich lieber überraschen lassen möchte, sollte hier aufhören zu lesen.
Toll anzusehen, jede Menge Action, aber leider selbst für Fantasy-Verhältnisse vollkommen unlogisch: Das war das Fazit der siebten "Game of Thrones"-Staffel. Anderthalb Jahre hofften die Fans, die Drehbuchschreiber würden die lange Pause nutzen, sich zusammenreißen und in der letzten, achten Staffel wieder auf die alten Tugenden der Serie zurückbesinnen. Doch nach vier von sechs Folgen muss man leider sagen: Chance vertan.
Die Drehbücher der achten Handlung sind schludrig geschrieben, die Figuren mitunter zu Witzfiguren verkommen. Der stehengelassene Kaffeebecher ist da noch das kleinste Übel der "Game of Thrones"-Macher. Die letzte Staffel hat einige fundamentale Probleme.
Aus Weisheit wurde ein Witz
Das Besondere an “Game of Thrones” waren immer die ambivalenten Charaktere. In Westeros war niemand eindeutig gut oder böse, die Motivation der Figuren war stets nachvollziehbar. Doch mittlerweile sind viele zu Abziehbildern geworden, die überhaupt nicht mehr zum ursprünglichen Charakter passen.
Beispiel Tyrion: Er beeindruckte in den früheren Staffeln mit seiner Intelligenz und Schlagfertigkeit. Zu Jon Schnee sagte er einmal: "Ich will dir mal einen Rat geben, Bastard. Vergiss nie, was du bist, der Rest der Welt tut's auch nicht. Trage es wie eine Rüstung, dann kann man dich nie verletzen.“
Spulen wir vor zur Eröffnungsszene der achten Staffel. Tyrion und Varys sind im bitterkalten Norden angekommen, und der Gnom sagt zum Eunuch: "Ihr könnt euch glücklich schätzen. Wenigstens frieren euch nicht die Eier ab." Ein billiger Kalauer ohne Tiefe, ohne Wortwitz, der Tyrion überhaupt nicht würdig ist.

Teeniegefühle in Westeros
Nicht würdig, das war auch die Inszenierung von Jaimes und Briennes Liebesnacht. Über die letzten Jahre konnten wir mit ansehen, wie beide eine tiefe, von gegenseitigem Respekt geprägte Freundschaft aufbauten. Dass daraus irgendwann eine Freundschaft Plus wird, war abzusehen. Aber musste es so sein? Nach einem billigen Trinkspiel, "Sie ist noch Jungfrau"-Gehabe und einem plumpen "Puh, ist das heiß hier, ich ziehe das mal aus"-Aufreißerspruch von Jaime samt Teenie-Ausziehszene vorm lodernden Feuer? Die Nacht der beiden hätte ein schöner Moment sein sollen. Leider war er so dilettantisch geschrieben, dass man kaum hinsehen wollte.
Emotionen scheinen ohnehin nicht mehr die Sache der "Game of Thrones"-Macher zu sein. Als Jon endlich seinen Schwestern Arya und Sansa seine Herkunft offenbart, erwartet man einen emotionalen Moment, schwelt dieser innere Konflikt in Jon doch seit vielen Jahren. Doch dann schaut Jon zu Bran, "Sag es ihnen" - und Schnitt. Man bekommt nicht einmal die Gesichter der Stark-Schwestern bei der vielleicht folgenreichsten Enthüllung der Serie zu sehen. Eine Enttäuschung.
Cersei wiederum scheint jede Vielschichtigkeit abgestreift zu haben und ist nur noch böse. Nun rächt sich, dass sie nach dem Tod des Nachtkönigs zwar die Oberbösewichtin ist, aber kaum Bildschirmzeit eingeräumt bekam. An ihrer Seite: Euron Graufreud, dessen einzige Motivation es ist, die Königin ins Bett zu kommen. Dafür besorgt er ihr eine riesige Armee und tötet eigenhändig einen Drachen. Wenn dieser Mann ernsthafte Absichten auf den Thron hätte, er würde dort vermutlich schon seit der vierten Staffel sitzen.
Das macht keinen Sinn!
Dass die Serie schon seit einiger Zeit nicht mehr auf der brillanten Buchvorlage basiert, merkt man nicht nur anhand der fehlenden Charakterentwicklung, sondern auch am schludrig geschriebenen Drehbuch. Es gibt Logiklücken, soweit man schaut. Vier Beispiele aus der jüngsten Episode:
- Cersei heuert Bronn an, um ihre Brüder zu töten. Sie verspricht ihm ein Vermögen dafür. Doch als Tyrion dann plötzlich direkt vor Cersei steht, mit zwei Dutzend Bogenschützen an ihrer Seite, lässt sie von ihm ab. Warum?!
- Der Showdown war spektakulär in Szene gesetzt und eine Anspielung an die zweite Staffel, als Daenerys mit ihren ausgehungerten Dothrakis vor den Toren von Qarth steht. Nur: Warum liegt Königsmund plötzlich mitten in einer flachen, sandigen Gegend und nicht zwischen Meer und begrünten Bergen wie sonst?
Weil den Machern klar war, dass das einigen Fans auffällt, haben sie Königsmund im Intro kurzerhand ein paar Meter ins Landesinnere verlegt. Entweder wurde durch das Ende des Nachtkönigs der Klimawandel in Westeros stark beschleunigt, oder die Autoren feierten sich so hart für ihre Qarth-Anspielung, dass sie leider völlig übersehen haben, dass sie keinerlei Sinn macht. - Und dann ist da noch der Tod des Drachen. Überraschend, keine Frage, auch wenn Euron Graufreud für meinen Geschmack ein bisschen zu oft plötzlich aus dem Hinterhalt auftaucht. Doch sehen wir einmal davon ab, wie er überhaupt unerkannt mit einer derart großen Flotte dahinsegeln konnte, und lassen wir auch mal seine unfassbare Präzision beim Schießen der XXL-Armbrust außen vor (drei Treffer in Folge, nicht schlecht). Warum fliegt Daenerys nicht einfach an den Booten vorbei und zerstört sie von hinten? Denn selbst wenn die Skorpion-Armbrüste umgedreht werden, würden Eurons Mannen ihre eigenen Segel und Masten zerstören.
- Wir wissen, dass Bron ein erfahrener Kämpfer ist. Aber wie konnte er mit einer tödlichen Armbrust im Anschlag schnurstracks durch Winterfell direkt in das Zimmer mit zwei der mächtigsten Männer von Westeros laufen? Und warum glaubt er überhaupt Cersei ein Wort? Aber eigentlich ist es auch egal, weil alles in dieser Serie egal zu sein scheint. Nach einem kurzen Dialog verkündet Bron übrigens, dass seine Tage als Kämpfer vorüber sind und er sich nach dem Krieg bei den Brüdern melden werde. Und so wurde eine weitere Figur schlecht aus der Show geschrieben.
Schauwert statt Storytelling
Das Spektakel scheint in "Game of Thrones" mittlerweile wichtiger zu sein als gutes Storytelling. So wurde aus einer intelligenten Fantasy-Serie eine Art "Desperate Housewives" mit Drachen. Massenkompatibel, aber weit weg von dem, was sich George R.R. Martin in jahrzehntelanger Arbeit überlegt hatte.
Man sehnt sich nach den alten Zeiten zurück, als man nur kurz stutzte, warum da eigentlich Ed Sheeran am Lagerfeuer herumlungert. Doch mittlerweile will man nur noch wissen, wer am Ende auf dem Eisernen Thron sitzt.
