Seit die Folgen der Corona-Pandemie aufgearbeitet werden, diskutiert man über die neue Einsamkeit der Jungen. Hat eine ganze Generation in Zeiten von Lockdown, Homeoffice und Social-Media-Stubenhockerei das gemeinsame Leben verlernt? Im "Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen" ermitteln die Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) wegen des Fundes einer jungen Frauenleiche.
Warum hat niemand Nelly Schlüter vermisst? Wie oft kommt es vor, dass in Deutschland Menschen tot aufgefunden werden, auf die offenbar niemand wartete? Und ist es ein Gefühl oder wissenschaftlich bewiesen, dass sich die Jugend von heute einsamer fühlt?
Worum geht es?
Die Leiche der jungen Nelly Schlüter (Bayan Layla) wird zufällig beim Brand in einem Mietshaus entdeckt. Die Feuerwehr musste ihre Wohnungstür aufbrechen. "Atypisches Erhängen" wird als Todesursache festgestellt. Einiges weist darauf hin, dass sich Nelly vor Monaten im Sitzen mit einem Strick das Leben nahm. Oder hat jemand nachgeholfen?
Lannert und Bootz treffen auf schockierte Eltern (Robert Kuchenbuch und Idil Üner), den Ex-Freund (Malik Blumenthal) und die ehemals beste Freundin (Trixi Strobel) der Toten, die mit ihrem Mann (Louis Nitsche) ein Baby bekommen und sich stark ins Private zurückgezogen hatte. Wie kann es sein, dass keiner dieser Menschen über Monate nachgefragt hat, wie es Nelly geht?
Worum geht es wirklich?
Einsamkeit ist ein Thema, dass Drehbuchautorin Katrin Bühlig schon öfter in eindringlichen "Tatort"-Folgen thematisierte. Zuletzt im Kieler Fall "Borowski und das hungrige Herz" (2022) über Sexsüchtige oder auch im Bremer Fall "Im toten Winkel" (2018), der von einem Pflegedienst und seinen Patienten erzählte. Auf den ersten Blick ist es ein unglaubwürdiges Szenario, dass eine junge, attraktive Frau über Monate von niemandem vermisst wird.
Im Zuge der Ermittlungen klingt Nellys Geschichte dann aber doch erschreckend logisch: Wegen Homeoffice und wechselnder Freiberuflichkeit vermisste sie kein Arbeitgeber. Auch eine feste Partnerschaft hatte sie zuletzt nicht. Von den befragten Männern, mit denen sich Nelly zuletzt über eine Dating-App traf, hört man, sie sei sehr anhänglich gewesen – was die "Dating Dudes" offenbar nervte. Und die Eltern? Tatsächlich kennt man heute einige Menschen, die über Wochen und Monate nicht mit ihrem Kind oder den Eltern reden, die vielleicht in einer anderen Stadt leben. Und das geht sogar ganz ohne Streit.
Wie viele Leichen werden pro Jahr auf diese Weise gefunden?
Besonders in Großstädten und Ballungsräumen treten regelmäßig Fälle auf, bei denen Menschen längere Zeit in ihren Wohnungen lebten und irgendwann tot aufgefunden werden, ohne dass sie vermisst wurden. Diese sogenannten "stillen" Todesfälle entstehen häufig durch Einsamkeit. Betroffen sind meist Senioren und andere sozial isolierte Personen. Weil in den meisten Fällen keine kriminalpolizeilichen Ermittlungen nötig sind, werden diese Leichenfunde statistisch nicht gesondert erfasst.
Schätzungen gehen davon aus, dass mehrere hundert bis über tausend Fälle pro Jahr in Deutschland vorkommen. Offiziell darf ein Verstorbener hierzulande nur bis zu 36 Stunden zu Hause bleiben, bevor er in eine Leichenhalle oder ein Bestattungshaus überführt werden muss.
Ist die neue Einsamkeit der Jungen wissenschaftlich erwiesen?
Mehrere Studien haben in den letzten Jahren festgestellt, dass der Anteil junger Menschen, die sich einsam fühlen, seit den 2000-er Jahren ansteigt. Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (2023) fand heraus, dass vor allem die Corona-Pandemie das Gefühl der Isolation verstärkt habe. Das Fachmagazin "Psychologische Rundschau" kam zum gleichen Ergebnis, als man 2022 Analysen und Metaanalysen zu dieser Fragestellung verglich.
Die JETZT-Studie des Forschungsnetzwerks "Jugend in Deutschland" (2020) hob hervor, dass Jugendliche und junge Erwachsene eher Einsamkeit erleben als früher, insbesondere während der Pandemie, aber auch im Vergleich zu früheren Jahren. Die Studie weist auf den Einfluss der sozialen Medien und digitalen Kontakte hin, die echte Kontakte oft nicht vollständig ersetzen.
Wie geht es beim Stuttgarter "Tatort" weiter?
Der nächste "Tatort: Ex-It" aus Stuttgart kommt bereits am Sonntag, 18. Januar. Es geht um ein ehemaliges It-Girl (Kim Riedle), das nicht in der neuen Welt der Influencer angekommen ist. Ihre Ehe – Hans Löw spielt den Mann – und Selbstwertgefühl geraten völlig aus den Fugen, als eines ihrer Kinder umkommt und das andere entführt wird. Das Drehbuch stammt von Wolfgang Stauch, inszeniert wurde der Krimi von Friederike Jehn. Das Duo hat 2020 bereits den Stuttgarter "Tatort: Du allein" rund um die erpresserische Mordserie eines Snipers erschaffen.