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Die Medienkolumne Die Große Show der Arbeit - das letzte Tabu

Das Fernsehen berät seine Kunden in allen Lebenslagen: beim Erziehen, Essen, Wohnen und Tanzen. In Shows und Ratesendungen winken Preise in Form von Geld ("Wer wird Millionär?"), einem Karriere-Start ("Big Boss") oder gar neue Karrieren ("DSDS"). Aber noch umkreist die TV-Unterhaltung ehrfürchtig ein Tabu: die Arbeit.
Von Bernd Gäbler

Was ist ein Tabu? Sobald in der verquasselten medialen Sphäre eine Moderation ankündigt, sich nun aber einem "Tabuthema" zu widmen, darf man getrost annehmen, dass das Gegenteil der Fall ist. Gemeint sind meist prickelnde Schaulust, Voyeurismus oder biografische Wendepunkte. Siegmund Freud, der nach Innen-Gucker der modernen Wissenschaft, nennt es in "Totem und Tabu" eine fast heilige Scheu, die das Unberührbare umgibt: darum müssen sich Verbote von Inzest oder Kannibalismus nicht weiter erklären. Furchtbar wären Gesellschaften, in denen alle Tabus geschliffen wären. Freud spricht deswegen von der "Übereinstimmung im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker." Tabulosigkeit ist Wildheit. Das Fernsehen dagegen rennt meist nur wild längst offen stehende Türen ein und verspricht sich davon ein wenig Aufmerksamkeit. Meint man mit "Tabu" einfach das, was normalerweise im Fernsehen nicht vorkommt, so wären dies nicht Perversionen, Sadismus oder Mord, sondern grammatikalisch korrekte Schachtelsätze oder gute Lyrik.

Kann Arbeit ein Tabu sein?

Das Fernsehen versteht sich zu Recht und zuerst als Unterhaltungsmedium. Darin hat es zu Vielfalt und facettenreichen Formaten gefunden. Als Generaltendenz lässt sich gegenwärtig eine "Entfiktionalisierung" feststellen. Der Fernsehfilm spielt eine geringere Rolle als früher. Dafür werden die Lebenswelten der Zuschauer zahlreich bespielt. Das ist günstiger als teurer Spielfilm und wird dankbar konsumiert. Unter der Hand wird das Fernsehen so zur Sozialisationsinstanz.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei VOX ("Sports-TV"), bei SAT.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Mit RTL und Hape Kerkeling lernen wir Tanzen und Deutsch. Die Super-Nanny vermittelt Hartz-IV-Land Basiswerte der Erziehung; andere helfen, der Schuldenfalle zu entrinnen oder Partner zu finden. Günther Jauch fragt flexible Allgemeinbildung ab. Es gibt Casting-Shows, Quiz und vielfältige Wettbewerbe. Noch zu den Zeiten von Peter Frankenfeld wurde der Geldpreis am Ende fast schamhaft überreicht, stets mit der Versicherung, dass es darum aber nicht gehe. Inzwischen ist Geldgier als lauteres Motiv anerkannt.

Nur der Erwerb eines Arbeitsplatzes als Ziel eines Spiels oder einer Show darf noch nicht sein, obwohl es bei besonderen Arbeitsplätzen auf dem Laufsteg oder auf der Bühne, also bei "Germany's Next Top Model" oder "DSDS" längst auch darum geht. Obwohl also die Arbeit als das gesellschaftliche Problem Nr. 1 identifiziert wird, fassen die Fernsehmacher es nur mit spitzen Fingern an. Warum? Weil Arbeit etwas Ernstes ist; strikt geschieden von der Sphäre der Freizeit. Weil die Couch-Potatoes angeblich in der Freizeit nicht auch noch etwas von Arbeit hören wollen. Tatsächlich ist diese Trennung Vergangenheit. Längst ist Arbeit beweglich geworden, verzahnt mit Freizeit, kombiniert mit Lernen oder Hartz IV. Aber dennoch bleibt es heikel, Show und Arbeit zu kombinieren. Unweigerlich wirkt die Idee sozialdarwinistisch inmitten einer sozialdemokratischen Gesellschaft.

Arbeit und Show.

Einspielfilme und Reportagen in den Magazinformaten der großen Privatsender darf man stets auch als Testfeld ansehen. Aus einzelnen Beiträgen können Formate werden. Beliebt sind gerade Reportagen über Deutsche, die fern der Heimat Arbeit und Glück suchen. Es gibt aber auch noch direktere Bezüge zur Arbeit. Drei Mädchen konkurrieren um den Job als Helferin beim Tierarzt. Ihr Probetag wird dokumentiert. Ein Arbeitsloser schafft es zum Hotelportier. Dabei verändert er sich, legt Schüchternheit ab, wird selbstbewusst. Noch wird mehr dokumentiert als inszeniert.

Sie wird kommen - die große Show der Arbeit. Es gibt schon "die große Show der Naturwunder". Da kann man nur staunen, nichts verändern. Arbeit ist das glatte Gegenteil von "Natur" und "Wunder". Arbeit ist organisierbar. Und an Arbeit herrscht Mangel. Also gibt es ein Bedürfnis. In anderen Ländern gibt es längst auch im Fernsehen, was sich das sozialdemokratisch-pietistische Deutschland versagt: Shows zur Arbeit - wie stets: bessere und schlechtere. In Südamerika sieht das ziemlich dumpf aus. In den Niederlanden gab es Kämpfe um einen Job, jetzt schon nicht mehr. In Schweden ist eine solche Show stark mit Ideen und Erfinden verbunden und sieht ein wenig aus wie manche Wette in "Wetten, dass ...?".

Man kann solche Unterhaltungssendungen simpel sozialdarwinistisch aufziehen: Kandidaten kämpfen, der Sieger bekommt einen Job. Nach dem Wettschwimmen wird einer Bademeister, nach dem Boxkampf Türsteher. Der künftige Arbeitgeber sitzt in der Jury. Man kann es aber auch ganz anders machen: mit Elementen von Qualifizierung und Erfindergeist, besonderen Fertigkeiten und interessanten Menschen statt der üblichen Knallchargen. Das alles womöglich gar in Zusammenarbeit mit Job-Centern. Öffentlich-rechtliche Unterhaltungsabteilungen wären gefordert. Sie wird kommen: die große Show der Arbeit. Bevor die Dummen wieder zuschlagen, müssten allerdings die Klügeren mutig sein.

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