Samuel Koch geht es schlechter als erhofft. Am Samstagabend verkündete Thomas Gottschalk noch zur allgemeinen Erleichterung der Zuschauer, dass der bei "Wetten, dass..?" schwer gestürzte Kandidat ansprechbar und nicht gelähmt sei. Am Sonntag dann die Schock-Diagnose: "Der 23-Jährige hat eine komplexe Verletzung an der Halswirbelsäule", teilte Wolfgang Raab, ärztlicher Direktor der Uniklinik Düsseldorf, mit. Koch habe Prellungen am Rückenmark und kleine Knochenbrüche an der Wirbelsäule erlitten, am Sonntagmorgen seien plötzlich Lähmungserscheinungen aufgetreten, nach einer Notoperation befände sich Koch in einem künstlichen Koma. Zwar bestehe keine Lebensgefahr, der junge Mann sei aber in "ausgesprochen kritischem Zustand".
Das ist schlimm. Für Samuel, seine Familie, seine Freunde, und auch für die Mitarbeiter von "Wetten, dass..?", die unmittelbar an der Wette beteiligt waren. Für den Sender ist der Vorfall äußerst unangenehm. Nach fast 30 Jahren wurde erstmals eine "Wetten, dass..?"-Sendung abgebrochen, noch unangenehmer aber: Statt Lob für die spektakulären Wetten und ein ansehnliches Promi-Aufgebot einzuheimsen, sieht man sich in Mainz nun kritischen Fragen ausgesetzt: Sind bei der Wette die nötigen Sicherheitsstandards eingehalten worden? Gingen die Macher der Show ein zu hohes Risiko ein, getrieben von einem bizarren Quotenkampf mit der privaten Konkurrenz?
"An konkreter Wettkampfsituation getestet"
Das ZDF dementiert das. Für die Wette von Samuel habe es bereits bei den beiden zurückliegenden Sendungen Proben gegeben, das sei bei "schwierigen Wetten üblich", um die Bedingungen in "konkreten Wettkampfsituationen zu testen", so ein ZDF-Sprecher. Im Fall der Unglückswette sei die Anlaufbahn aus Sicherheitsgründen ausgetauscht worden, und das Bühnenlicht so eingerichtet, dass Samuel bei seinen riskanten Salto-Einlagen nicht geblendet werden würde. Der Stunt sei in "enger Absprache mit dem ZDF geprobt worden", und erst nach intensiver Begutachtung von Redaktion, Produktion und einem Sicherheitsingenieur des ZDF freigegeben worden. Formal also alles richtig gemacht, so der Tenor.
Doch ganz so einfach ist es nicht: Selbstverständlich waren dem Team um Gottschalk die Trainingsstürze bekannt, von denen Samuel nur einen Tag vor dem Sturz in der "Badischen Zeitung" gesprochen hatte ("Ich bin noch skeptisch, der Wettteil klappt noch nicht."). Ein internes ZDF-Papier, das "Spiegel Online" vorliegt, zeigt ferner, wie hoch der Kandidat das Risiko selbst einschätzte. Und wie ist die Aussage von Christoph Koch, Samuels Vater zu deuten, der ebenfalls der "Badischen Zeitung" sagte, dass "ZDF (habe) an der Wette gefeilt, um sie für das Publikum attraktiver zu machen."? Wie stark wurde die Wette durch die Fernsehmacher tatsächlich zugespitzt? Welche Änderungen gab es, im Vergleich zu dem Konzept, mit dem sich Samuel bei der Show beworben hatte? Antworten gab es am Sonntag dazu nicht, das ZDF war nicht zu erreichen.
Selbstverständlich liegt bei einem Show-Konzept wie "Wetten, dass..?" die Verantwortung zunächst einmal beim Kandidaten selbst. Wer teilnimmt, muss wissen, worauf er sich einlässt, wo die eigenen Grenzen liegen. Und tatsächlich schien Samuel wie gemacht für den großen Auftritt: Schauspielstudent in Hannover, nebenbei als Akrobat und Stuntman tätig, aktiver Kunstturner, ein Modellathlet. Doch der junge Mann wird auch als besonders ehrgeizig beschrieben, einer der sich gern viel vornimmt. Laut Gottschalk mussten ihn die Mitarbeiter zunächst sogar überzeugen, bei den gewagten Sprüngen überhaupt einen Helm zu tragen. Doch diese Selbstverständlichkeit sagt nichts darüber, ob Samuel in seinem Ehrgeiz mehr hätte gebremst werden müssen. Traf hier ein Heißsporn auf ein paar Fernsehmacher unter Quotendruck, denen die Risikobereitschaft ihres Kandidaten nur recht war?
"Wir hätten ihn vor sich selbst geschützt"
"Wenn bei uns der Eindruck entstanden wäre, er hätte sich mit seinem Wett-Angebot übernommen, hätten wir ihn vor sich selbst geschützt", sagt Gottschalk im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". "Doch er war aber physisch und psychisch so stark, dass wir keinen Grund hatten, an ihm oder der Wette zu zweifeln." Der Showmaster selbst mag sich daher nichts vorwerfen. Vielmehr sei er im Team dafür bekannt, "unnötigen Druck" und "unnötige Dramatik" aus den Wetten zu nehmen, und das liest sich schon reichlich scheinheilig, wenn man mitbekommen hat, wie eifrig das Moderatorenduo Gottschalk/Hunziker die Wette von Samuel in der Show als "wirklich besonders gefährlich" angepriesen hatte. Druck rausnehmen geht sicher anders.
Gottschalk hat für seine Reaktion am Samstagabend nach dem Sturz zu Recht Beifall bekommen. Der 60-Jährige hat besonnen und souverän reagiert, obwohl man ihm die Betroffenheit über den Vorfall deutlich ansah. Und selbstverständlich war es die richtige Entscheidung, die Show abzubrechen. Nur den Vorwurf, unter Konkurrenzdruck eine unverantwortliche Wette ins Programm genommen zu haben, will er nicht auf sich sitzen lassen und verweist auf zahlreiche riskante Wetten in der Vergangenheit. "Natürlich wird man jetzt überlegen müssen, ob das so bleiben kann. Auch das hängt selbstverständlich davon ab, wie schnell es unserem Kandidaten besser geht."
Höchste Quoten, als das Unglück bekannt war
Tatsächlich bleibt momentan nicht viel mehr als die Hoffnung, dass sich der junge Samuel schnell wieder berappelt, vor allem keine dauerhaften Schäden davonträgt. Beim ZDF will man den Vorfall weiter gründlich untersuchen, auch über mögliche Konsequenzen nachdenken. Dass die Wetten künftig risikoärmer werden, ist nicht zu erwarten. Nicht in einer TV-Landschaft, in der derjenige die Gunst der Zuschauer bekommt, der am lautesten schreit und das größte Spektakel bietet. Die Quoten von Samstagabend sind bezeichnend: Sie erreichten beim ZDF nämlich ihren Höhepunkt, als sich die Nachricht vom Sendungsabbruch und Samuels schweren Sturz herumgesprochen hatte.