Gottschalk talked bei "Maybrit Illner" Lieber Fasching im Puff als im Altersheim

  • von Mark Stöhr
Maybrit Illner hatte sich einiges vorgenommen: Um nichts weniger als die Zukunft der Fernsehunterhaltung sollte es gehen. Dass der Runde um Thomas Gottschalk kaum mehr als blumige Appelle einfiel, lag auch an der Gastgeberin. Die blockte ab, sobald es ihrem Sender an die Wäsche ging.

Zwei Anläufe unternahm Giovanni di Lorenzo, um aus Geplapper ein Gespräch werden zu lassen. "Ich bin als überzeugter Anhänger des öffentlich-rechtlichen Fernsehens daran interessiert", begann er den ersten, "dass dieses Fernsehen anders ist und eine Zukunft hat. Und ich frage mich, warum es ihm seit Jahrzehnten nicht gelingt, neue, erfolgreiche Formate zu haben."

Ein dunkle Wolke zog über Maybrit Illners Gesicht. Sie sagte: "Wir beantworten die Frage gleich, ich schwöre es."

Die Unterhaltung über die gute Fernsehunterhaltung versickerte wieder in Seitenkanälen, bis sich der Chefredakteur der "Zeit" abermals räusperte und seine Frage schärfer fasste: "Warum ist in den letzten zwanzig Jahren das einzige innovative Format, das hierzulande entstanden ist, Schlag den Raab - wohlgemerkt im privaten Fernsehen - obwohl wir zwei riesige Apparate haben, nämlich ZDF und ARD?" Di Lorenzos Frage traf ins Mark des Problems. Sie traf auch ins Mark der Moderatorin, die dem Angriff mit den bewährten öffentlich-rechtlichen Mitteln begegnete: ausweichen und aussitzen. Dann war die Show vorbei und eine weitere Stunde nutzlos versendet.

Gottschalk gibt sich aufgeräumt

Einmal mehr zeigte sich, dass das Fernsehen nicht über sich selbst sprechen kann. Die Privaten kämen ohnehin nie auf die Idee, und die Staatlichen lassen jede Form der Selbstreflexion nur bis zu dem Punkt zu, ab dem es weh tun könnte. Das war schon vor gut zwei Jahren so, als sich Thomas Gottschalk zum Geriatrie-Gipfel mit Marcel Reich-Ranicki traf nach dessen Wutausbruch bei der Fernsehpreis-Verleihung. Man einigte sich damals auf den offenbar nicht vermittelbaren Konflikt zwischen Unterhaltung und Bildung. Mehr kam gestern auch nicht heraus.

Immerhin präsentierte sich Thomas Gottschalk in aufgeräumter Stimmung. Seinetwegen wurde die Runde mit di Lorenzo, Mathieu Carrière und der Fernsehproduzentin Ute Biernat einberufen. Der Aufhänger selbstverständlich: Gottschalks angekündigter Rücktritt von "Wetten, dass..?" Dass dieser nur wegen des gleichzeitigen Abgangs von Ägyptens Präsident Mubarak am Wochenende nicht noch höhere Wellen schlug, zeigt, dass dem ZDF ein solch angeranztes Format wie die Wett-Show fast als einziges Versprechen für die Zukunft gilt.

Gottschalk gab sich betont gelassen ("Es ist ja kein Drama, wenn ein Moderator nach 24 Jahren sagt: Jetzt ist gut") und amüsierte sich über die Nachfolgediskussion ("Wenn es gar nicht geht - ich bin ja nicht aus der Welt"). Er bekannte aber auch, dass die Quotenlast stetig zunahm und er in den letzten Jahren immer mehr zum Getriebenen vom großen RTL-Rivalen "Deutschland sucht den Superstar" wurde ("Mir sind die 13- bis 39-Jährigen nicht gefolgt"). Die Casting-Kultur sei auch Stück für Stück in seine Show gesickert. Kandidaten wie dem verunglückten Samuel Koch habe es nicht mehr genügt, nur Wettkönig zu werden. "Die dachten, wenn du einmal das Richtige tust, bist du für den Rest des Lebens ein Star."

Dschungelcamp so complex wie die Mondlandung

Einer, der nach einer Achterbahnfahrt durch den Verdauungstrakt vielleicht irgendwann im Enddarm des Fernsehens landet: im Dschungelcamp. Wie Mathieu Carrière. Der Schauspieler war schon immer nah am Wahnsinn gebaut. Die Maden im australischen Urwald sind ihm aber offenbar direkt vom Kelch in den Kopf gestiegen. Für ihn ist "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" eine Art Telekolleg für zehn Millionen Zuschauer zu Themen wie: "Was ist Mobbing? Was ist Toleranz? Was ist Kooperation? Was ist ein Migrationshintergrund?" Eine sehr exklusive Lesart der Dinge. Aber der 60-Jährige hatte noch einen wirren Geistesblitz im Köcher. Das Dschungelcamp, delirierte es aus ihm heraus, sei das "brillanteste und komplexeste Format" derzeit auf dem Markt - "so komplex wie die Mondlandung oder eine Herztransplantation."

Da verrutschten selbst Ute Biernat für einen Moment die Gesichtszüge. Die Produzentin, verantwortlich für die Achse des Fernseh-Bösen von "Das Supertalent" über "X-Factor" bis zu "DSDS", legte ansonsten eine souveräne Vorstellung hin. Jede Kritik perlte ab an ihrem Panzer aus Pragmatismus ab. Die Vorführung der Kandidaten bei "DSDS"? Nach acht Staffeln wisse jeder, worauf er sich einlasse. Rambo Bohlen? Der mache einen Super-Job. Das Fernsehen der Zukunft? Spiel- und Wissensshows.

Wie pathetisch und plörrig klangen dagegen die Appelle der Anwälte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Reißt die Studiotüren auf! Habt Vertrauen in die Kreativität! Wagt das Experiment! So als stünde das Fernsehvolk schon am Fuße des ZDF-Lerchenbergs und fordere die Ablösung der TV-Mubaraks.

Maybrit Illner, das talkende Gesicht der Programm-Betonierer, hatte da die Moderation schon längst an Thomas Gottschalk übergeben. Und der fing die Schillersche Freiheitslyrik auf seine ganz eigene Art wieder ein: "Natürlich ist der Fasching im Puff lustiger als im Seniorenheim der Caritas, nur: Es muss ihn auch geben."

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