Dass der Gast in einer Fernsehsendung seine eigene Meinung wiedergibt und nicht zwingend die des Senders, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und dürfte jedem Zuschauer bekannt sein. Dennoch sah sich der ORF zu einer klaren Distanzierung genötigt, nachdem Satiriker Jan Böhmermann in der Sendung "Kulturmontag" aufgetreten war. Nach dem Ende der Aufzeichnung tritt die Moderatorin vor die Kamera und sagt mit ernster Miene: "Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns." Was ist der Grund für diese harsche Reaktion?
Am vergangenen Wochenende hatte der 38-Jährige in Graz die Ausstellung "Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich" eröffnet. Darin thematisiert Böhmermann den Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit. In dem Interview in der Sendung "Kulturmontag" wird Böhmermann gleich zu Beginn mit einem Zitat des Schriftstellers Thomas Bernhard konfrontiert, der die Österreicher einmal als "sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige" bezeichnet hatte. Darauf erwidert der Satiriker: "Das Rad der Zeit dreht sich weiter: Inzwischen sind es acht Millionen Debile."
Jan Böhmermann schießt gegen Kanzler Kurz
In dem Ton ätzte der Deutsche weiter in Richtung seines Nachbarlandes. Über den österreichischen Regierungschef Sebastian Kurz sagte er: "Ein 32-jähriger Bundeskanzler ist übrigens nicht normal." Vom Moderator wollte er wissen: "Ihren Versicherungsvertreter mit dem ganzen Haargel - haben Sie da niemanden Besseren?" Angesprochen auf die am 26. Mai stattfindende Europawahl sagte Böhmermann: "Für alle Leute, die die FPÖ wählen, am 27. Mai."
Die Distanzierung des ORF von diesen Provokationen eines Satirikers ist ein beispielloser Vorgang. Er kann als Ausdruck einer gewissen Nervosität interpretiert werden, die in der Alpenrepublik derzeit herrscht. Schon um den ORF-Moderator Armin Wolf tobte ein wochenlanger Streit: Nach einem kritischen Interview mit dem FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky forderte der frühere Partei-Chef gar, Wolf solle eine Auszeit nehmen. Ein Angriff auf die Pressefreiheit. Und nun distanziert sich der ORF von einem Studiogast. Ein entspannter Umgang mit der freien Meinungsäußerung sieht anders aus.
Mittlerweile hat sich auch der Sender zu dem Vorgang geäußert. ORF-TV-Kulturchef Martin Traxl beteuerte am Dienstag, es habe "keinerlei Druck von innen oder außen" dazu gegeben. Der ORF habe sich 2002 angesichts eines Gerichtsurteils verpflichtet, sich von unsachlichen Äußerungen Dritter in seinen Sendungen zu distanzieren - entweder in Form einer unmittelbaren Entgegnung des Moderators oder durch eine Texttafel am Ende der Sendung. Deshalb sei die Reaktion der Moderatorin "eine professionelle und rechtskonforme, redaktionsinterne Entscheidung" gewesen.
Quelle: "Die Presse"
