Meinung Antisemiten vs. Zionazis: Warum Jan Böhmermann krachend gescheitert ist

  • von Moritz Hackl
Jan Böhmermann
Keiner will für ihn singen: Nachdem Jan Böhmermann den Rapper Chefket ausgeladen hat, haben zahlreiche Künstler ihre Teilnahme an der Reihe "Die Möglichkeit der Unvernunft" im Haus der Kulturen der Welt (HKW) abgesagt
© Soeren Stache / DPA
Jan Böhmermann allein zu Haus: Nach der Ausladung des Rappers Chefket wegen Antisemitismus-Vorwürfen sagen auch alle anderen Musiker ihre Auftritte ab. Die notwendige Debatte fällt aus.

Das tragischste an dieser Geschichte ist wahrscheinlich der Slogan, unter dem sie sich abspielt: "Die Möglichkeit der Unvernunft". Das ist der Titel der Veranstaltungsreihe, die Jan Böhmermann derzeit für das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) kuratiert – oder es zumindest versucht. Denn wenn hier tatsächlich Raum für die Möglichkeit der Unvernunft geschaffen worden wäre, stünde Böhmi jetzt nicht vor einer leeren Bühne. Doch das tut er.

Ursprünglich war geplant, dass der Deutschrapper Chefket am 7. Oktober im Rahmen dieser Ausstellung ein Konzert spielt. Aber dann entdeckte Julian Reichelts "Nius" zwei Instagram-Posts von ihm, auf denen er T-Shirts mit der Aufschrift "Palestine" trug. Und dem Umriss des israelisch-palästinensischen Gebiets, bloß ist der Staat Israel auf dem Print nicht eingezeichnet. Da stand der Vorwurf schnell im Raum: Chefket sei ein Antisemit und als solcher sei er nicht geeignet, ausgerechnet am 7. Oktober ein Konzert zu spielen. 

Jan Böhmermann gibt klein bei

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer teilte mit, er empfinde das als Provokation, es dürfe kein Antisemitismus geduldet werden. Die "Bild" setzte noch einen drauf, der Rapper sei "für das Zurschaustellen extrem antiisraelischer Motive bekannt". Claudius Seidl von der "Süddeutschen Zeitung" kommentierte flink, Chefket leugne das Existenzrecht Israels. Am Montag gab Jan Böhmermann klein bei und lud Chefket aus. 

Und dann purzelten die Absagen aller anderen Künstler ein, deren Konzerte für die Dauer der Veranstaltungsreihe geplant waren: Das Duo Blumengarten, die Sängerin Mine, die Rapperin Wa22ermann. Alle schrieben Statements, in denen sie in etwa das Gleiche sagten: Sie fühlten sich mit der Situation nicht wohl, die Lage in Gaza sei entmenschlichend, der Umgang mit diesem Konflikt sei vom HKW schlecht gehandhabt.

Jetzt können die berufsmäßig Erregten die Korken knallen lassen, die Musik ist aus und die Menschen bei "Nius" und "Bild" können sich dafür feiern, Antisemitismus bekämpft und ihrem liebsten Feind Böhmermann eins ausgewischt zu haben.

Stellt Chefket das Existenzrecht Israels infrage?

Aber stimmt das auch? Ging es hier wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus? Oder konkret gefragt: Ist der Rapper Chefket wirklich für das Zurschaustellen extrem antiisraelischer Motive bekannt?

Wenn man sich seine Musik anhört, klingt das nicht so. "Juden, Christen, Muslime / Alle sagen Amen / Bei allen geht's um Liebe / Shakehands in Gottes Namen", rappte er etwa 2015 in dem Song "Wir". Immer wieder sprach er sich öffentlich gegen Antisemitismus aus, gegen Rassismus und für humanistische Werte, worauf auch schon Jens Balzer von der "Zeit" hinwies.

Keine Frage: Eine Karte von dem israelisch-palästinensischen Gebiet ohne Israel ist infam. Und es ist naheliegend, dem Träger eines T-Shirts mit so einem Print zu unterstellen, er stelle das Existenzrecht Israels infrage. Das sind Dinge, die man klären sollte. Bloß: Geklärt wird in diesem Konflikt überhaupt nichts.

Was denkt der sich dabei?

Statt dass man sich überlegt: Der Chefket, das war doch immer ein Rapper, der sich für Zusammenhalt einsetzt, für Werte, die die meisten Demokraten für sich beanspruchen würden, er hat in seinen Liedern eigentlich immer auf das gedrängt, was uns verbindet, weniger auf das, was uns trennt – wäre es nicht interessant, was dieser Mensch sich dabei denkt, wenn er sich so ein Shirt überstreift?

Möglicherweise wäre man dann auf die Erkenntnis gestoßen, dass auch kluge Menschen zu dummen Entscheidungen neigen, wenn sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden. Wenn es mit Argumenten nicht klappt, dann wird man lauter, wenn einem dann noch niemand zuhört, wird man extremer und irgendwann verselbstständigt sich diese Dynamik. Dann ist man so sehr gegen das Leid der Menschen in Gaza, dass man zu einem krassen, antiisraelischen Symbol greift. Und zwar aus Verzweiflung.

Statt dass man aber das tut, was eine Demokratie so stark macht, nämlich den Streit suchen, wirft man sich bei jeder Gelegenheit nur noch Beleidigungen an den Kopf: Die einen sind die Antisemiten, die anderen Zionazis. So ermöglicht man kein Gespräch. So macht es sich jeder nur auf seiner Position gemütlich, in der absoluten Gewissheit, richtig zu liegen. 

Wie steht es um die Möglichkeit der Unvernunft?

Dabei ist es doch so: Auf Schuldvorwürfe, die so extrem sind, kann man nicht entspannt reagieren. Man verfällt automatisch in die Defensive. Für eine Diskussion ist das Gift, weil ein Austausch darauf fußt, dass man dem anderen zumindest mit so viel Wohlwollen begegnet, dass er auch Gründe für seine Meinungen hat, dass er sich Gedanken macht. 

Vielleicht wäre es das Beste, wir würden etwas vorsichtiger mit Antisemitismus-Vorwürfen hantieren. Auf jeden Fall sollten wir sie in der Schublade lassen, solange wir noch nicht einmal das Gespräch mit dem Gegenüber gesucht und uns bemüht haben, die Perspektive des anderen zu verstehen.

Und damit wären wir wieder bei der Möglichkeit der Unvernunft. Wäre es nicht schön, wenn wir uns das gegenseitig einräumen könnten: dass wir alle dazu neigen, bei Themen, die so emotional aufgeladen sind, die Nerven zu verlieren? Es wäre ein erster Schritt. Den ist Jan Böhmermann leider nicht gegangen. Und somit ist er mit seiner Kuration krachend gescheitert.

PRODUKTE & TIPPS