Moderatorencheck Ich Tarzan, Du Jane, Wir Langeweile

Von Michael Rossié
Hugo Egon Balder, der schon seit Jahrzehnten Maßstäbe am unteren Ende der Skala setzt ("Tutti Frutti", "Genial daneben") und eine dreiköpfige Jury suchen seit gestern Abend die beiden Hauptdarsteller für das Musical "Ich Tarzan, Du Jane". Wer dachte, Deutschland hätte genug Castingformate, hat nicht mit Sat.1 gerechnet.

Der Hauptvorteil dieses Formates gegenüber der Konkurrenz ist der, dass eine Folge nicht geschlagene 135 Minuten wie Germany's next Topmodel dauert, son-dern inklusive Werbung nur 60 Minuten. Außerdem gibt es bei Sat1 jede Menge Waschbrettbäuche für die weibliche Zielgruppe, die wir bei der Modelsuche auf Pro7 bisher vermisst haben.

Ansonsten ist alles wie gehabt: Unbegabte Menschen werden vorgeführt und lächerlich gemacht. Die Jury, die in Zeitlupe zu dramatischer Musik hereinschreitet, ist nur eine Nuance netter als die Konkurrenz ("Du singst echt Scheiße!"). Dazu die bekannten Stilblüten bei den gelaberten Statements ("Wir sitzen hier mit unserer Zeit"). Wenigstens das endlose Dehnen der Entscheidung ersparen sie uns. Im Gesicht von Pia Douwes sieht man sofort, was ihr gefällt und was nicht.

Die Kandidaten sind natürlich "zu ALLEM bereit" und selbstverständlich sucht man nichts weniger als Menschen, die "perfekt" sind und "in der Weltliga spielen". Unter allem ein bombastischer Klangteppich.

Schlappe Quoten

Die erste Ausgabe der neuen Sat.1-Castingshow "Ich Tarzan, Du Jane!" ist beim Publikum durchgefallen. Bei den 14- bis 49-Jährigen erreichte das mit hohen Erwartungen gestartete Format gerade einmal einen Marktanteil von 9,4 Prozent. Insgesamt wollten nur 1,54 Millionen Zuschauer die Sendung sehen - selbst RTL 2 holte am Freitagabend mehr Menschen vor den Bildschirm.

Die Rampensau wird losgelassen

Es ist schon ziemlich gemein, eine Britney-Spears-Imitation, die sich schon jetzt auf die Paparazzi freut, gegen singende und schauspielernde Profis antreten zu lassen. Oder eine selbsternannte Rampensau. Oder eine 39-jährige Mutter ("Ich bin Hausfrau und Schauspielerin"), die "hoch und niedrig singen" kann. Die Behauptung, sie könne "Leute zum weinen singen" bekommt nach der ersten Kostprobe eine doppelte Bedeutung. Und warum fliegt die Mutter dann doch raus? Richtig: Sie hat "die falsche Einstellung".

Die Produzenten kennen keine Hemmungen. Wenn eine 46-Jährige, die "Lust auf wilde Männer" hat, sich fit genug fühlt, die zwanzigjährige Jane zu spielen, lässt man sie natürlich vor die Kamera. Grotesk: Anschließend regt sich ein Jurymitglied "tierisch darüber auf", sich die Ungeeigneten ansehen zu müssen (Er müsste doch gar nicht!). Außerdem lässt man Kandidaten, die auf keinen Fall in Frage kommen, posen und selbstverliebt von ihren Killerqualitäten erzählen oder Tarzanschreie imitieren. Das soll witzig sein.

Musicaldarsteller müssen sehr viel können

Das kann man ihnen nicht einfach bis Oktober beibringen. Das wissen diejenigen, die gut singen und tanzen können, genau. Wer weiterkommt, ist also nicht total überrascht, und so gibt es selten Freudentränen. Dafür lässt man auch ein paar Paradiesvögel weiterkommen, die sicher keine Chance haben. Aber die freuen sich doch so schön.

Was allerdings Hugo Egon Balder bei der ganzen Sache macht, bleibt mir unverständlich. Weniger gelangweilt als bei "Genial daneben", aber immer noch staubtrocken, sitzt der liebe Onkel Hugo in Zwischenschnitten auf einem Stuhl - und sagt - Sätze - in Bruchstücken - auf, erklärt uns, dass Tarzans nicht auf Bäumen wachsen (oder waren es Tarzane), zieht oberwichtig die Stirn in Falten und sorgt dafür, dass die Zuschauer vor allem eines tun: anrufen - für 50 Cent die Minute. Außerdem versucht er, als Off-Sprecher die Jury und die Kandidaten durch den Kakao zu ziehen, wobei seine bissigen Kommentare auch nicht im Ansatz witzig sind. Eine übergewichtige Kandidatin beschreibt er so: "Das Auge isst mit. Ein Fest für die Sinne." Selten so gelacht.

Außerdem macht Balder so ziemlich alles falsch, was ein Sprecher falsch machen kann: Die Satzmelodie wechselt zwischen Monotonie und dem Singsang einer Stewardess, mindestens alle vier Worte macht er eine bedeutungsvolle Pause, und der zweite und dritte Teil einer Aufzählung werden mit einem stark betonten "und" eingeleitet.

Ja, und warum sollten wir uns jetzt die nächsten Folgen ansehen, wenn dann alle Nieten draußen sind und wir nichts mehr zu lachen haben? Richtig geraten. Wir sehen noch mehr Nieten. Das war erst das erste Massencasting, und man wird uns noch viele, viele Menschen zeigen, die schon keine Chance hatten, als sie zur Tür hereinkamen. Wenn Sie an so etwas Spaß haben, dann verbringen Sie in den nächsten Wochen den Freitagabend ab 20.15 Uhr mit Sat.1.

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