Der Mond scheint über den alten Mauern des Elite-Internats. Im Schwimmbad treibt ein toter Schüler im Wasser. Stephan musste sterben, wie sonst nur überflüssige Kätzchen aus einem großen Wurf entsorgt werden, weil er seine Mitschüler Viktoria (Nora von Waldstätten) und Max (Florian Bartholomäi) wegen heimlicher Finanzgeschäfte auffliegen lassen wollte. Eingewickelt in einen Bettbezug haben sie ihn ertränkt.
Der Plan ist so kühn wie kaltblütig: Den Bezug lassen sie verschwinden, an den Beckenrand stellen sie eine Wodkaflasche und ein leeres Tablettenröhrchen. Die Schwimmhalle sperrt Max von innen ab und mischt sich am nächsten Morgen unbemerkt unter seine schockierten Klassenkameraden. Alle glauben an den Selbstmord eines Außenseiters, der an Liebeskummer litt. Lediglich die "Tatort"-Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) bleiben skeptisch.
Es beginnt ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel, wie wir es aus US-Thrillern bestens kennen: Der Zuschauer kann verfolgen, wie die Ermittler den Mördern immer näher rücken, die wiederum alle Spuren verwischen und dabei auch nicht davor zurückschrecken, belastende Zeugen aus dem Weg zu schaffen.
Internatsroboter ohne Nestwärmer
Dabei befinden wir uns nicht in der Bronx, sondern am Bodensee, in einer Schnösel-Schule, in der die Sprösslinge reicher Familien untergebracht sind. "Kaschmir-Bubis und -Barbies" nennt sie Kommissarin Blum. In dieser Welt zwischen Wikipedia und Weimarer Klassik herrscht Gefühlskälte wie in einem rumänischen Waisenhaus. Nestwärme haben diese armen reichen Kinder nie erfahren. Sie sind traumatisiert durch Scheidungskriege ihrer geld- und karrieregeilen Eltern. Oder sind selbst rücksichtslose Narzissten wie Max, der sich zum Geburtstag einen Porsche wünscht und beim Sterben seiner Freunde zusieht. Gegen Emotionsausbrüche schlucken die Internatsroboter Downer-Pillen. Wer nicht das ganz dicke Konto seines Daddys im Rücken hat wie die Vollwaise Viktoria, wird zur eiskalten Killerin, die mit analytisch-scharfem Kalkül über Leichen geht und deren makellos-glattem Gesicht keinerlei Gefühlsregung anzusehen ist, wenn sie Mitschüler ertrinken lässt.
Unaufgeregt erschafft Regisseur Ed Herzog in "Herz aus Eis" diese künstliche Scheinwelt, diesen goldenen Käfig für pubertierende Luxusgeschöpfe, die ihren Eltern lediglich als Statussymbol dienen. So dicht und spannend er inszeniert, spart er das Innenleben der Hauptfiguren weitgehend aus. Den Zuschauer lässt er nicht den Hauch von Sympathie, ja nicht einmal Verständnis, für seine Protagonisten empfinden. Allein das weinkrampfgeschüttelte Millionärstöchterlein Olga (Rosali Thomass) erregt noch ein Zipfelchen Mitleid.
Schwarzweißmalerei und stereotype Charaktere in Enid-Blyton-Manier
Drehbuchautorin Dorothee Schön hat offensichtlich in ihrer Jugend mehr "Hanni und Nanni"- und "Burg Schreckenstein"-Bücher verschlungen als Werke wie Musils "Verwirrungen des Zögling Törless" oder Kästners "fliegendes Klassenzimmer", so holzschnitthaft böse und als klischeehafte Stereotypen zeichnet sie ihre Hauptfiguren. Dabei gäbe es literarische Ergüsse zuhauf über das Leben zwischen Mitternachtspartys, Schulstreichen, wilden Aufnahmeritualen, Außenseitern und Anführern. Gute Autoren beschwören sowohl die romantische Seite einer eingeschworenen Gemeinschaft unter Gleichaltrigen als auch die Schattenseiten: Einsamkeit, Drogenexzesse, die verzweifelte Suche nach einer Ersatzfamilie.
Statt eines starken Statements zur Wohlstandsverwahrlosung beschränkt sich "Herz aus Eis" auf einen - zugegeben - spannenden Thriller. Man staunt über Killer-Kalkül und hofft, dass Max und Viktoria ihre Todesmission nicht beenden können. Aber der "Tatort" kann eigentlich mehr als die platte Botschaft "Geld allein macht nicht glücklich" in 90 packende Minuten zu gießen.