In nur vier Wochen vom zeitgemäßen Psycho-Schocker zu Opas Fernsehen und zurück ins TV des 21. Jahrhunderts: Der "Tatort" führt den Zuschauer derzeit durch ein Wechselbad der Gefühle. Testete die ARD mit der hervorragenden Kölner Folge "Franziska", wie viel Nervenkitzel sich mit dem "Tatort"-Label verträgt, lieferte der Bodensee-"Tatort" zwei Wochen später in biederste Krimikost, bei der die Ermittler unmotiviert herumstanden und den Fall mittels langatmige Befragungen lösten.
Welch ein Quantensprung dagegen die aktuelle Dortmunder Folge "Auf ewig Dein". Der Fall (Regie: Dror Zahavi, Buch: Jürgen Werner) zeigt, dass zeitgemäßes Fernsehen auch in Deutschland möglich ist - und muss keine leidigen Vergleiche mit amerikanischen oder skandinavischen Fernsehserien scheuen. Die horizontale, also folgenübergreifende Erzählweise des Ruhr-"Tatorts" findet hier ihren Höhepunkt. Und - das ist zu befürchten - wohl auch seinen Abschluss.
Grausamer Beginn
Zunächst scheint es sich um einen gewöhnlichen, wenngleich besonders grausamen Fall zu handeln. In einem Wald wird die Leiche eines Mädchens gefunden. Als kurz darauf eine weitere 13-Jährige vermisst gemeldet wird, ist klar, dass es sich um einen Serientäter handelt. Schnell stoßen die Kommissare auf eine Verbindung: Beide Male spielt die gleiche Reinigungsfirma eine Rolle.
Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) bekommt derweil weiter anonyme Briefe mit neuen Details über den Tod seiner Frau und seiner Tochter auf den Schreibtisch gelegt. Wer hat unbemerkt Zutritt in die Büros des Kommissars? Antwort: das Personal der Reinigungsfirma. Und so ist schon bald klar: Der Tod von Fabers Familie und die Fälle der verschwundenen Mädchen hängen zusammen.
Der Täter scheint schon bald festzustehen - nur kann man ihm nichts nachweisen. Markus Graf (Florian Bartholomäi), Mitarbeiter der Reinigungsfirma, ist der Sohn eines Sexualstraftäters, den der Kommissar vor vielen Jahren überführt hat und der sich später im Gefängnis das Leben nahm. Dafür nimmt Graf Rache - erst eliminierte er Fabers Angehörige, nun möchte er den verhassten Ermittler zum Selbstmord treiben. Mit einem perfiden Trick: Zwei Mädchen hat er bereits getötet, ein drittes lebt aber noch. Wenn Faber freiwillig vom Hochhaus springt, verrät er den Aufenthaltsort des Mädchens.
Grandiose Schauspielkunst
Und so endet alles an dem Ort, wo der Dortmunder "Tatort" vor 17 Monaten begann: auf dem Dach eines Hochhauses. Damals stand Faber schon einmal oben und blickte in den Abgrund. Nun ist er wieder dort, diesmal jedoch nicht allein. Der Mann, der sein Leben zerstört hat, steht bei ihm.
Dieser Fernsehkrimi ist dicht, hochdramatisch und voller intensiver Momente. Die Schauspieler Hartmann und Bartholomäi liefern sich ein Duell auf allerhöchstem Niveau: Beide Charaktere sind tief traumatisiert, sie haben einander das Liebste auf der Welt genommen und wollen dafür Rache nehmen. Doch sie beherrschen sich: Ihren Gesichtern ist anzumerken, wie es in ihnen brodelt. Kleine Gesten verraten, welche Spuren der Schmerz hinterlassen hat. Das ist ganz große Schauspielkunst. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Bodensee-Darsteller Eva Mattes und Sebastian Bezzel könnten das sicher auch zeigen. Nur stehen sie in derart verstaubten Inszenierungen herum und bekommen so langweilige Texte auf den Leib geschrieben, dass es keiner merkt.
Etwas überfrachtet
Dass es der Dortmunder "Tatort" angesichts dieser dichten Handlung überhaupt schafft, auch noch aus dem Leben der anderen Ermittler zu erzählen, spricht einerseits für die hohe erzählerische Ökonomie dieser Folge. Andererseits, und das ist die einzige Kritik an dieser ansonsten herausragenden Folge, ist sie mit den vielen Parallelsträngen tatsächlich überladen. Die Geschichte von Kommissarin Bönisch (Anna Schudt), die von einem Callboy erpresst wird, ehe ihn Faber mit einer wohl dosierten Prise Wahnsinn in die Flucht schlägt, lockert den ersten Fall da noch für ein bisschen auf.
Dagegen wird die ungewollte Schwangerschaft von Nora Dalay (Aylin Tezel), die mit ihrem Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske) in den vergangenen Folgen wild rummachte, auf einem Soap-Niveau abgehandelt. Diese Episode wäre nicht nötig gewesen.
In jedem Fall scheint Fabers private Geschichte nun abgeschlossen, er kann endlich beginnen zu trauern. Es bleibt die Befürchtung, dass er zu einem "normalen" Ermittler wird und seine Fälle in 90 Minuten erzählt werden. Man mag es sich kaum vorstellen: Wird Peter Faber eines Tages so langweilen wie Blum und Perlmann am Bodensee?