Wann hat es das zuletzt gegeben? Auch am zweiten Tag nach der Ausstrahlung ist der Kölner "Tatort" vom Sonntag noch in aller Munde. Wer "Franziska" zur außergewöhnlichen Sendezeit um 22 Uhr nicht gesehen hat, holt es möglichst rasch nach. Die Begeisterung hält unvermindert an: "Bin atemlos" oder "sehr, sehr beeindruckend!", heißt es in den via Twitter versendeten Reaktionen.
"Franziska" soll eine Ausnahme bleiben
Dem WDR ist offenbar jener "Tatort" gelungen, auf den (fast) alle gewartet haben: spannungsgeladen, fesselnd, atmosphärisch dicht erzählt, eine überraschende Story, ausgezeichnete Schauspieler - und vor allem auf Augenhöhe zur hochgelobten Konkurrenz aus Großbritannien oder Skandinavien. Ausgerechnet dieses Glanzstück lief aber erst um 22 Uhr. Schade, wenn auch aus Gründen des Jugendschutzes zumindest nachvollziehbar. Der "Tatort" müsse halt seit jeher den "Spagat zwischen Krimi-Erzählung und familientauglichem Abendprogramm" schaffen, begründete WDR-Programmchef Gebhard Henke die Entscheidung vor der Ausstrahlung - und stellt in den Presseinformationen zur Episode fest: "'Franziska' bleibt eine Ausnahme am Sonntagabend im Ersten."
Doch warum eigentlich? Was zunächst als wunderliche Ausnahme erschien, hat sich doch als Glücksfall und erfolgreicher Test erweisen. Die Reaktionen auf "Franziska" sind überschwänglich. Und interessanterweise nennt auch Henke die häufige Kritik an der angeblichen Piefigkeit vieler "Tatort"-Folgen ungerecht: "(Ich) kann (...) die Haltung mancher Kritiker nicht nachvollziehen, die angesichts der expliziteren Thematisierung von Gewalt in amerikanischen, britischen und skandinavischen Krimi-Serien und -Reihen konstatieren, dass wir in Deutschland beim 'Tatort' noch nicht so weit und gewissermaßen zurückgeblieben sind", schreibt er. Die meisten der hochgelobten ausländischen Krimis müssten nach Maßgabe der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) nach 22 Uhr gesendet werden.
Neue Reihe statt neue Ermittler
Heißt im Umkehrschluss: Müssten die "Tatorte" nicht zur familientauglichen Zeit um 20.15 Uhr laufen, könnten sie auch so spannend und gut sein wie die ausländische Konkurrenz (mal abgesehen davon, dass beispielsweise ein "Inspektor Barnaby" auf britische Art ebenfalls zutiefst piefig ist). "Franziska" hat jedenfalls bewiesen, dass die "Tatort"-Macher es können. Glänzende Quoten hatte das Stück auch. Wenn es also nur um den Sendetermin geht: Wieso nicht auf diesem Weg weitergehen?
Einzuwenden gibt es dagegen eigentlich nur, dass der übliche Kuschel-"Tatort" nach der "Tagesschau" trotz aller Kritik und Unkenrufe nach wie vor ein Millionenpublikum hat - und zudem eines der letzten "Lagerfeuer" des deutschen Fernsehens ist. Doch statt immer wieder neue Ermittlerteams zu erfinden und sie in einer weiteren deutschen Mittelstadt zu installieren, könnte die ARD eine zusätzliche "Tatort"-Reihe ins Leben rufen: Arbeitstitel "Tatort-Thriller", Sendezeit: 22 Uhr. Auch Programmchef Henke hat die geänderte Erwartungshaltung, "insbesondere bei jüngeren Zuschauern", registriert. Es wäre eine Chance, dem Rechnung zu tragen.