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"Tatort"-Kritik Ein fulminanter Abschied mit Happy End

Warum nicht gleich so? Im letzten Fall dreht das Leipziger "Tatort"-Team um Simone Thomalla und Martin Wuttke so richtig auf. Mit einem Fall voller Abgründe, Witz und Wahnsinn.
Von Carsten Heidböhmer

20 Folgen lang suchte das Leipziger "Tatort"-Team nach seinem speziellen Sound, seiner Identität - mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In der 21. ist man endlich fündig geworden. Leider zu spät: Es ist der letzte Auftritt. Dass man Keppler (Martin Wuttke) und Saalfeld (Simone Thomalla) dennoch in guter Erinnerung behalten wird, hat einen Grund. Zum Finale durfte endlich ein Könner ran: Das Drehbuch hat Sascha Arango verfasst (Regie: Claudia Garde), der bereits fünf großartige Borowski-"Tatorte" geschrieben hat.

Arango bereitet den beiden Ermittlern den Boden für einen grandiosen Abschied, in dem er ironisch auf die Kritiken eingeht, die dieses ungleiche Gespann von Beginn an begleitet haben: Hier der tiefgründige Theaterstar, da die Schmonzetten-Spielerin - wie soll das zusammengehen?

Thomalla darf die Zimtzicke geben

Anstatt sie auszuräumen, betont "Niedere Instinkte" diese Klischees sogar noch: Während Thomalla nach allen Regeln der Kunst die eifersüchtige Zimtzicke geben darf und genügend Gelegenheiten hat, ihre berühmte Schnute zu ziehen, bekommt Martin Wuttke gleich zu Beginn einen bühnenreifen Auftritt. Der vom epischen Theater Brechts geschulte Schauspieler watet durch das knietief in seiner Pension stehende Wasser und spricht das Publikum direkt an: "Was ist der Sinn des Lebens? Die Frage ist doch: Soll das Ganze ein Scherz sein - oder mehr eine Tragödie?" Fast wähnt man sich in einem Wiesbadener "Tatort", in dem Ulrich Tukur seinen munteren Wahnsinn verströmt.

Doch der Fall verlässt diesen Pfad und entwickelt sich zu einem packenden Psychodrama, ausgelöst durch einen unerfüllten Kinderwunsch. Das Ehepaar Wolfgang (Jens Albinus) und Vivien Prickel (Susanne Wolff) leidet darunter so stark, dass die beiden ein Kind erführen und so tun, als seien sie schon immer zu dritt gewesen. Weil sie von dem Mädchen aber nicht erkannt werden wollen, tragen sie weiße Masken. Ganz schön krank!

Ihre eigene Kinderlosigkeit belastet auch das Ermittler-Team. Keppler und Saalfeld haben vor zehn Jahren ihr gemeinsames Kind verloren, ihre Ehe zerbrach an der Tragödie. Der lange verdrängte Schmerz kommt nun mit aller Wucht wieder hoch und mischt sich mit sexuellem Begehren, das sich die beiden lange nicht eingestehen wollen. Weil Saalfeld ihrem vorübergehend obdachlos gewordenen Ex keinen Unterschlupf gewährt, steigt er bei ihrer Nachbarin ab. Während Keppler sich mit der jungen Frau lautstark vergnügt, bekämpft sie ihren Frust mit einer Dose Bier und lauscht eifersüchtig an der Wand. Später wird sie sogar die Nachbarwohnung inspizieren. Eine köstliche Szene: Sogar die Blume befühlt sie argwöhnisch, ob sie auch wirklich echt ist oder bloß aus Plastik.

Die Rolle der eifersüchtigen Frau spielt sie grandios. In solchen Momenten offenbart Simone Thomalla durchaus komisches Talent - wieso durfte sie das vorher nie ausspielen? Und auch Wuttke blüht als alternder Lover mit junger Freundin sichtlich auf. Auch hier sei die Frage gestattet: Wieso musste er 20 Folgen lang den einsamen Grübler geben, der nachts in seiner Pension hockt und Schach spielt? Wie viel verschenktes Potenzial!

Die erotischen Spannungen zwischen dem geschiedenen Paar entladen sich in einem offenen Streit in der Kantine, in Anwesenheit sämtlicher Kollegen, der unschön endet: Als Saalfeld ihr totes Kind anspricht, schimpft Keppler: "Fuck you, Medea". Seine Ex mit der antiken Kindesmörderin zu vergleichen, damit ist der Griesgram aber entschieden zu weit gegangen. Und sieht es sogleich ein: "Ich bin so krank", spricht er in die Kamera. Ist das noch Brecht oder schon Frank Underwood?

"Komm, mach mir ein Kind"

Bevor sich für die beiden Liebenden alles zum Guten wendet, muss es noch einmal tüchtig knallen: Um zu verhindern, dass ihr Mann das entführte Kind zurückbringt, jagt Vivien Prickel das Haus in die Luft - und hat nun das im Verlies eingesperrte Kind für sich allein. Doch das Mädchen kann fliehen und sperrt seine Entführerin ein. Sie wird - der Film deutet es mit dem Bild einer erlöschenden Kerze an - einen einsamen Tod sterben.

Ein verstörender Fall, der das Grundthema, das Leiden an der Kinderlosigkeit, auf verschiedenen Ebenen durchdekliniert, gleichzeitig immer wieder mit humorvollen Momenten kontrastiert. Mehr von solchen Stoffen, und der Leipzig-"Tatort" wäre ein Erfolgsmodell geworden. Da wiegt es weniger schwer, dass auch das Finale nicht rundum gelungen ist. Der Film leistet sich ein paar Schlenker zu viel. Dass die Eltern des Mädchens einer christlichen Sekte angehören, die an die Erschaffung der Welt vor 6000 Jahren glaubt, tut nichts zur Sache und lenkt vom Wesentlichen ab.

Die beiden Ermittler hingegen glauben am Ende das Wesentliche gefunden zu haben: Sie wollen es noch einmal miteinander versuchen und beschließen zu heiraten. Saalfelds letzte Worte: "Komm, mach mir ein Kind."

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