Das hätte Fabian Hambüchen mal besser bleiben lassen. Unser Turnbubi mit den Popeye-Armen versuchte gestern bei RTL die gleiche Reckübung, mit der er schon bei den Olympischen Spielen fast auf die Nase gefallen wäre. In Peking bekam er dafür noch Bronze, diesmal hätte es nicht einmal fürs Finale gereicht. Seine Landung auf dem Mattenboden hatte große Ähnlichkeit mit dem Beinahe-Crash des Airbus, der letzten März in eine Windböe geraten war. Darüber sprach Johannes B. Kerner zur gleichen Zeit im ZDF mit einem Experten von der Lufthansa. Kerner faselte etwas von "Crosswinden... äh... Schrägwinden oder wie heißt das?" Wussten wir auch nicht - zurück zu RTL. Dort machte ein 93-jähriger Rentner ein Spagat. Das tat schon beim Zusehen weh. Im ZDF war inzwischen Marcel Reich-Ranicki aus Frankfurt zugeschaltet und wollte den Fernsehpreis immer noch nicht annehmen. Einer der Gründe saß bei Günther Jauch auf der Couch: Mario Barth. Der erzählte die tausendste Badezimmeranekdote seiner Freundin und lachte darüber wie immer selbst am lautesten.
Wer blickt besser auf das Jahr 2008 zurück? Das ZDF und RTL suchten gestern Abend die direkte Konfrontation. Kerner gegen Jauch, Kahn gegen Ballack, Sarah Connor gegen Udo Lindenberg. Schon die Titel der beiden Liveshows - "Menschen 2008" und "2008! Menschen, Bilder, Emotionen" - verrieten ein nahezu identisches Konzept, das sich nur durch die jeweiligen Akteure unterschied. Menschelnde Geschichten von Alltagshelden, ein gutes Dutzend Promis und noch mehr Kuriositäten aus den Hinterzimmern der Republik - das Jahr zurechtgestutzt auf die Abmessungen einer Seifenoper. Hätte man die letzten Monate auf dem Mond verbracht, wüsste man immer noch nicht, dass in den USA ein neuer Präsident gewählt wurde.
ZDF und RTL kaum zu unterscheiden
Das sind die "Dinge, die uns bewegt haben" (Kerner): Eine Frau hatte versehentlich eine Gabel verschluckt, ein Paar verhakte sich mit seinem Privatflieger in einer Hochspannungsleitung, ein Fußballverein schoss nach 216 Gegentoren den ersten eigenen Treffer. Was beim ZDF die erste Sechslingsgeburt in Deutschland seit 20 Jahren war, war bei RTL die erste Schwangerschaft eines Mannes. Die Fußball-EM aus der Sicht von Philipp Lahm bei den einen, aus der von Jens Lehmann und Bastian Schweinsteiger bei den anderen. Für die Olympia-Rückschau schickte RTL die Schwimmerin Britta Steffen ins Rennen, das ZDF die Fechterin Britta Heidemann. Welche Show mit Gebühren, welche mit Werbung finanziert wurde, war nur noch dank der eingeblendeten Senderlogos ersichtlich. Entweder haben sich die Programmverantwortlichen in die Redaktionssysteme der Gegenseite gehackt oder gleich ein gemeinsames Brainstorming-Wochenende in Heiligendamm verbracht.
Dass die Privaten aus Köln in diesem grotesken Wettbewerb einen knappen Punktsieg davontrugen, hatten sie einzig und allein Günther Jauch zu verdanken. Der gab wie gewohnt den linkischen Studienrat, der seinen Gästen mit der gebotenen Distanz und Sensibilität entgegentrat. Ganz anders sein Pendant Johannes B. Kerner. Wie eine Python legte er sich mit seinem seifigen Lächeln um den Hals der Befragten und drückte bei Bedarf gnadenlos zu. Ein Mann, dem kürzlich in einem weltweit einzigartigen Pilotversuch zwei neue Arme angenäht wurden, musste sich von ihm fragen lassen, ob denn inzwischen die Fingernägel nachgewachsen seien. Was für eine Respektlosigkeit. Und Charlotte "Solange ich denken kann, habe ich Hämorriden" Roche wurde mit ihrem Bestseller "Feuchtgebiete" auf die Schlachtbank von Reich-Ranicki gelegt. Wie fühlt man sich wohl, wenn man vor einem Millionenpublikum gesagt bekommt, das Geschriebene sei "ekelhaft", "widerlich" und "literarisch völlig wertlos"? Roche rang um Fassung, Kerner grinste sich eins. Er hielt das für einen Coup.
Nach einem "Ave Maria" von "Supertalent"-Gewinner Michael Hirte auf der Mundharmonika hatte RTL nach über drei Stunden endlich ein Einsehen und schickte das Jahr 2008 in seinen wohlverdienten Ruhestand. Das ZDF sendete da noch unverdrossen ein Best-Of verstorbener Prominenter. "Menschen 2008", sagte Kerner, sei eine Sendung wie das Leben selbst. Entweder wir stürzen uns also gleich aus dem Fenster oder hoffen auf das Jahr 2009. Das soll ja, wie man hört, ganz rosig werden.