Es ist ein Abgesang, den man immer wieder hört: Dass die Innenstädte sterben, wird nicht nur immer wieder berichtet, man kann es auch selbst beobachten. Auch beim "ZDF Magazin Royale" haben Jan Böhmermann und sein Team dem Thema nun eine Sendung gewidmet. Die übliche Erklärung, dass Online-Shopping die Ladenmeilen aussterben lasse, will er aber nicht gelten lassen. Die Städte seien selbst schuld, lautet sein hartes Urteil.
Denn, so Böhmermann, dass die Deutschen nur im Netz shoppen, wäre nur ein kleiner Teil des Problems. Ein viel größeres: Alle Innenstädte wirken heute gleich. Um seinen Punkt zu verdeutlichen, zeigt er eine Reihe von Fotos aus den Shopping-Meilen von Hagen, Leipzig, Stuttgart und Kaiserslautern. "Deutsche Innenstädte sind so schön und unerwechselbar", freut er sich – nur um dann zu enthüllen, dass es sich eigentlich um ganz andere Städte handelte. Oder vielleicht waren es doch ganze andere? "Ich weiß es jedenfalls nicht", frotzelt der Moderator.
Der argumentative Trick zieht sich als Running-Gag durch die Sendung. Immer, wenn er eine Stadt nennt, zeigt Böhmermann stattdessen eine andere. Das funktioniert so gut, dass wohl nur sehr aufmerksamen Zuschauern auffiel, dass nicht mal alle der Stadtfotos aus Deutschland stammen. Oder wussten Sie, dass der berühmte Times Square in Freiberg am Neckar liegt?
Menschenfeindliche Innenstadt
Dass Innenstädte menschenfeindlich sein können, liegt nicht nur an Beton und Glas, die für eine größere Hitze im Sommer sorgen. In vielen Innenstädten gehen die Verwaltungen sogar gezielt gegen einige Personengruppen vor, zeigen die Recherchen des "Magazine Royale": Mit speziellen Hochton-Erzeugern, die nur von Jüngeren gehört werden, sollen Jugendliche vom Abhängen in der Innenstadt abgehalten werden. "Bummeln ist nicht mobiles Lungern. Bummeln ist mobiles Lungern mit Konsumoption!"
Und auch die sonstige Stadtplanung kommt nicht gut weg. Grünflächen sind die Ausnahme, die Stadt ist von Straße geprägt. Und: Sie ist mit zahlreichen dunklen Unterführungen oft auch für Frauen eher ein Grund, sich unwohl zu fühlen. Auch die mangelnde Barrierefreiheit für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, oder Eltern mit Kinderwagen ist ein Problem. "Die Innenstadt ist so scheiße wie sie ist, weil sie vor langer, langer Zeit mal geplant wurde von Männern, die mit dem Auto zur Arbeit fahren", fasst Böhmermann harsch zusammen.

"Liegen ist noch schlimmer als Lungern"
Auch das Thema Obdachlosigkeit spielt eine Rolle. Um die kümmern sich leider nur klickgeile Youtuber und die Sicherheitskräfte, klagt Böhmermann. In der Gestaltung der Stadt werden die Betroffenen nur negativ bedacht: Mit Metallspitzen, die ein Sitzen auf U-Bahn-Luftschächten verhindern und speziell gestalteten Parkbänken, auf denen man nicht liegen kann, argumentiert Böhmermann. "Liegen ist noch schlimmer als Lungern", fasst er die als "defensive Architektur" bezeichnete Maßnahme zusammen.
"Obdachlose sind Schuld daran, dass die Innenstadt stirbt und die Kunden wegbleiben", redet er sich in vermeintliche Rage. "Und Menschen mit Behinderung. Und Frauen. Und Jugendliche. Und Menschen, die nicht einkaufen wollen", fasst er noch einmal zusammen. Nur die Innenstädte selbst nicht. "Die sind ja so attraktiv."
Einer der schönsten Momente der Sendung ist allerdings, als sich Böhmermann über die eigene Sendung lustig macht – ausgerechnet, indem er sich selbst einen Preis verleiht. In einer gemeinsamen Recherche mit "Times" und "Zeit Online" will das "Magazine Royale" Unglaubliches entdeckt haben: "Der erste Januar 2022 ist schon ein Jahr her", erklärt der Moderator mit ernster Miene. Um dann unter dem Jubeln des Publikums den Preis für die "Enthüllung" entgegen zu nehmen. "Satire und investigativer Journalismus, das ist genau das, warum es wichtig ist, dass es das gibt", fängt er eine Pseudo-Dankesrede an. Um dann breit grinsend zurück zum sich immer weiter verzögernden Ende der Barrierefreiheit zu kommen. Es gibt eben Wichtigeres.
Quelle: ZDF Magazin Royale