Unser Kater liegt auf dem Sofa, auf dem Rücken, lang ausgestreckt, tiefenentspannt. Das flauschige Bauchfell lädt zum Reingreifen und Kraulen ein, es ist ein entzückender Anblick. "Orrrrr, ich möchte das Tier hauen, weil es so süß ist!", sagt mein Mann. Und ich weiß genau, was er meint – natürlich nicht, dass hier irgendjemand tatsächlich körperlich angegangen wird. Eher ist der Ausruf eine Feststellung, dass es fast unverschämt ist, wenn etwas dermaßen süß aussieht. Aber wieso reagieren manche Menschen auf etwas eigentlich Schönes mit solch reflexartigen "Gewaltphantasien", ist das nicht eigentlich völlig kontraproduktiv?
Diese Reaktion ist keineswegs selten und kommt bei vielen Menschen vor. "Dieses Baby ist so niedlich, ich möchte ihm die Pausbäckchen zerdrücken / es aufessen", hat man vielleicht schon mal gehört. Und niemand geht davon aus, dass anschließend wirklich jemand Kleinkinder beißt oder misshandelt. Aber warum sagt man dann so etwas eigentlich Verstörendes? Das Phänomen hat einen Namen: Es nennt sich Cute Aggression, englisch für "Niedlichkeitsaggressionen".
Cute Aggression klingt erst einmal völlig absurd
Und der merkwürdige verbale Gewaltausbruch beim Anblick sehr süßer Dinge erfüllt eine recht praktische Funktion im Gehirn. Denn auf manche Menschen hat das Sehen niedlicher Kinder, Tiere oder Gegenstände einen so starken Effekt, dabei schießen so viele überwältigend gute Gefühle durchs Gehirn, dass es kurzzeitig beinahe lähmend wirkt. Wer so intensiv mit der Wertschätzung von etwas Schönem beschäftigt ist, hat für diesen Moment keine Kapazitäten für andere Dinge, die unser Körper jedoch überlebenswichtig findet: Wachsam sein, sich konzentrieren, die Umgebung auf Gefahren scannen, Hören, Riechen, Denken.
Und um schnell dafür zu sorgen, dass wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen, egal wie putzig das Babykaninchen im Vorgarten aussieht, schießt unser Hirn dagegen und kontert die positiven Niedlichkeitsgefühle mit ihrem Gegenspieler: Aggression. Es kommt zu diesem kurzen, verwirrenden Moment, in dem man von der Niedlichkeit noch ganz eingenommen ist, aber reflexartig das sagt, was einem das eigene Hirn gerade durch die Synapsen schießt: "Der Hund ist so süß heute, ich könnte ihn an die Wand klatschen!"
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Das Gehirn will uns bei viel Niedlichkeit vor uns selbst schützen
Entsprechend gehandelt wird jedoch nicht, denn sobald der lähmende Rausch der Niedlichkeit erfolgreich neutralisiert wurde und wir wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen, stoppt auch unser Gehirn die Flutung mit den brachialen Botenstoffen. Sie haben ihren Zweck schließlich erfüllt – wir sollten ja bloß nicht minutenlang dermaßen abgelenkt vor Entzückung sein, dass uns ein LKW überfährt, während uns gleichzeitig ein Taschendieb den Rucksack klaut.
Betroffen von diesem durchaus verwirrenden Vorgang ist nur ein gewisser Teil der Menschheit. Und zwar der, auf den niedliche Dinge einen besonders starken Effekt haben. Darum keine Sorge, wenn in Ihrem Umfeld jemand unter Cute Aggression "leidet" – er ist einfach besonders empfänglich für süße Sachen.