Ben Becker "Das ist das Böse. Das ist der Teufel"

Drogenrausch, Zusammenbruch, Intensivstation - seinen jüngsten Absturz hätte Ben Becker fast mit dem Leben bezahlt. Mit dem stern spricht er zum ersten Mal über die Ereignisse jener Nacht, seine Zeit in der Reha-Klinik und seine Berührung mit dem Tod.

Becker, wie geht es Ihnen?

Ich kann nicht sagen, vor Ihnen sitzt jetzt ein neuer Ben Becker. Noch bin ich nicht angekommen, aber ich bin auf dem Weg.

Was geht Ihnen durch den Kopf?

Na ja, ich frage mich natürlich: Wieso funktioniert dieser Mensch so? Warum baue ich mit 42 Jahren so einen Scheiß? Warum demontiere ich mich selbst? Woher kommt das, diese wahnsinnige Energie- und nicht zu wissen, wohin damit?

Fassen wir kurz die vergangenen Wochen zusammen: Drogenrausch, Zusammenbruch, Intensivstation, Reha-Klinik. Wollten Sie sich in der Nacht des Absturzes etwas beweisen?

Darum ging es nicht. Dazu war ich überhaupt nicht mehr in der Lage.

Erzählen Sie doch bitte, was genau in der Nacht zum 27. August passiert ist.

Ich kam gerade aus dem Spanien-Urlaub, bin abends noch mit Kollegen weggegangen. Ich wollte mit dem Taxi nach Hause fahren, hab mich dann umentschieden, bin bei mir um die Ecke in eine Kneipe, dort ging es weiter. Und dann habe ich diese Dame kennengelernt, deren Namen ich erst später aus der Zeitung erfahren habe, die hab ich mit nach Hause genommen. Von da an läuft der Film nicht mehr ganz detailliert ab, ich hatte ja schon einiges getrunken und war nicht mehr zurechnungsfähig.

Beim Alkohol ist es nicht geblieben.

Irgendwann komme ich in die Küche, und da lag der Teufel vor mir auf dem Tisch…

Eine Spritze mit Heroin.

Ich hab keine Ahnung, was da drin war. Aber es hat gereicht, mich aus den Pantoffeln zu hauen.

Das lag da einfach so?

Ich wusste: Das ist das Böse. Und dann habe ich, ohne groß zu überlegen, den Ärmel hochgeschoben, vollkommen dilettantisch, ohne Vorkehrungen zu treffen, das Zeugs reingeschoben und abgedrückt, bis nichts mehr drin war.

Abgedrückt wie bei einer Waffe.

War’s ja auch.

Und dann?

Bin ich aufgestanden und dachte noch: Das ballert aber … Dann weiß ich nichts mehr.

Als Sie wieder klar denken konnten …

…war da ein Gefühl von Fassungslosigkeit und Leere. Und einer wahnsinnigen Traurigkeit.

Waren Sie erschrocken über sich selbst?

Erschrocken klingt zu harmlos, das ging tiefer. Es war ein Schock. Ich lebe ja gerne! Die Arbeit macht mir Spaß! Ich liebe meine Familie! Und es kann nicht sein, dass ich mir bei alldem selbst im Weg stehe. Man hat ja so eine Vision, eine Art Dramaturgie, die man sich für sein Leben vorstellt. Ich hatte immer im Kopf, dass sich bei mir was ändert mit Mitte 40. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich mir das mit einem solchen Knall nach Hause hole.

Laut Feuerwehr heißt es: Gefunden wurde eine "nicht lebende", männliche Person.

Ich hatte Atemstillstand und bin reanimiert worden. Drei Minuten später, und ich wäre tot gewesen, das weiß ich von der Ärztin. Oder ich hätte bleibende Schäden davongetragen, könnte nicht mehr sprechen oder gehen. Aber zum Glück war die Dame, die ich da mit nach Hause genommen hatte, so freundlich, an diesem Morgen den Notarzt zu rufen.

Haben Sie sich bei ihr bedankt?

Ich habe keine Telefonnummer und keine Kontaktadresse, und jetzt, hier, kann ich sagen: Danke. Das meine ich auch so, ich finde das äußerst anständig.

Als Nächstes lesen Sie in Berlin aus der Bibel, begleitet vom Filmorchester Babelsberg und der "Zero Tolerance Band". Vor Ihrem Zusammenbruch sagten Sie in einem Interview, dass Gott bei der Vorbereitung manchmal an Ihrer Seite gesessen habe. Wo war Gott in der Nacht, als Sie sich den Teufel in die Venen spritzten?

Er war bei mir. Er hat mich ja überleben lassen.

Und was genau war da zwischen Leben und Tod?

Das war wie Schwerelosigkeit in einem schwarzen Raum. Mit Sternen, ganz undefiniert, etwas, das man nicht ermessen kann. Für kurze Zeit bin ich in der Unendlichkeit des Alls geschwommen.

War da ein Tunnel? Licht? Musik?

Nein, aber ich spürte Wärme, Geborgenheit. Als die mich wiederbelebt hatten, war ich im ersten Moment sogar sehr ärgerlich, dass man mich nicht in meiner Ruhe gelassen hat. Aber seitdem habe ich keine so große Angst mehr vor dem Übergang als solchem.

Sind Sie todessüchtig?

Überhaupt nicht. Aber was mich schon immer angezogen hat, sind Höhen. Früher, da habe ich so Sachen gemacht, bin auf einen Baukran geklettert oder hab mich gern mal auf einem Hochhausdach vorn an die Kante gestellt. Ich würde nie springen. Aber es gibt diesen Moment, wo man oben steht und sagt: Ich geh jetzt lieber weg, da ist dieser Sog, ich bin gefährdet, mich dem hinzugeben.

Sind Sie ein Suchtmensch?

Süchtig bin ich nur nach dem blöden Nikotin. Alles andere ist extremer Missbrauch. Die Arbeitswut, diese Gier nach Leben.

Die Grenze nicht kennen.

Genau, das ist mein Problem.

Was sagt eigentlich Ihre Lebensgefährtin Anne zu Ihrem Ausfall?

Die war stinksauer, zu Recht. Aber sie bringt mir immer noch ein Riesenvertrauen entgegen. Das ist Wahnsinn. So wie sie sich verhalten hat - da weiß ich, warum wir seit zehn Jahren zusammen sind.

Sie führen eine Fernbeziehung innerhalb Berlins.

Wir leben in getrennten Wohnungen, die sind aber nur vier Minuten voneinander entfernt. Nicht damit ich sturmfreie Bude habe, sondern weil ich auch viel nachts arbeite. Zurzeit sind Anne, meine Tochter und ich zusammen, sooft es geht.

Haben Sie mit Ihrer Tochter über Ihren Absturz geredet?

Natürlich läuft sie auch am Kiosk vorbei und sieht den Papa groß auf den Boulevardzeitungen, sie ist jetzt sieben und kann lesen. Ich habe mich ihr mit der Geschichte behutsam genähert.

Haben Sie sich vor ihr geschämt?

Scham war in den vergangenen Wochen mein ständiger Begleiter. Aber als die beiden in der Klinik das erste Mal zur Tür reinkamen, die Anne und die Kleine, war da ein Gefühl von ganz großem Glück. Ich war so verdammt froh! Nicht, weil ich meine Tochter wiedersehe. Sondern weil sie mich noch sehen darf. Hätte ich mich weggemacht, hätte ich ein soziales Schlachtfeld hinterlassen (unterdrückt Tränen).

Sie haben vier Wochen in der Reha-Klinik verbracht. Sind Sie ein schwieriger Patient?

Am Anfang dachte ich, die haben alle eine Meise. Ich war mir sicher, ich bin da vollkommen falsch. Ein Wunder, dass der Becker- Bub nicht abgehauen ist. Nach einer Woche habe ich gesagt, was haben Sie denn so im Programm? Ich hätte gerne Ergotherapie. Das ist aber selten, sagte der Therapeut, das machen nicht viele. Dann haben sie die zuständige Dame angerufen, die sagte: Für den Ben Becker denke ich mir was Tolles aus, der ist bestimmt aggressiv, mit dem gehe ich in den Wald, da kann der einen Baum fällen. Nee, hab ich gesagt, ich möchte ein Körbchen flechten. Die Therapeutin war total fertig!

Ben Becker flicht ein Körbchen?

Ich wollte ein Geschenk basteln für meine Mama. Als Entschuldigung dafür, dass ihr Sohn in der "Juhnke-Klapper", so sagen da alle, gelandet ist. Das waren zehn Stunden akribische Arbeit, das Körbchen ist etwas schief geworden, aber Sie finden darin nicht einen Fehler. Ich hab dann noch aus Speckstein ein Kreuz geschnitzt. Und Aquarelle gemalt wie ein Irrer, Piratenschiffe und einen Jäger am Meer mit Schießgewehr, da kam dann immer ein Therapeut und hat versucht, das zu deuten.

So spaßig, wie Sie das alles schildern, wird's kaum gewesen sein

. Klar ging es mir ziemlich dreckig. Erst kapiert man gar nicht, wo man ist. Am Anfang darf man nicht raus, lebt streng nach einem Ablaufplan. 42 Arbeitsstunden die Woche, Gespräche, gestalten, da ist man ganz schön am Flitzen. Die Gruppentherapie hat mir am meisten gegeben. Im Grunde geht es darum, wie man miteinander kommuniziert. Ich hab das schnell begriffen, ich hatte mir ja Begleitmaterial bringen lassen, Bücher über Therapie. Da sitzt man mit neun Leuten - Manager, Lehrer, Polizisten, ein Augenarzt …

… und der prominente Schauspieler.

Ich hatte natürlich anfangs eine besondere Position. Bis das bei den anderen aus dem Kopf raus war, bis sie mir vertrauten, das hat ein paar Stunden gedauert. Und dann finden da ganz absurde Annäherungen statt. Das Harte daran ist die ständige Konfrontation mit den anderen, was dazu führt, dass man sein eigenes Ich sehr genau untersucht. Einer wollte sich nachts umbringen. Ein anderer bricht zusammen. Dann flippt plötzlich einer aus. Das alles hat mich sehr mitgenommen.

Wurden Ihnen in der Klinik zum ersten Mal im Leben Grenzen aufgezeigt?

Grenzen habe ich immer wieder erfahren. Bei meiner Arbeit gibt es ja auch Spielregeln. Pünktlichkeit am Set. Verlässlichkeit gegenüber den Kollegen. Du hast zu erscheinen, auch mit 42 Fieber. Das sind Sachen, an die ich mich sehr gut halten kann. Aber bei den Verträgen, die ich mit mir selber schließe - da läuft es mir weg. In der Therapie haben sie da angesetzt. Sie haben auch in der Kindheit gesucht. Das eigene Leben liegt dann vor einem wie Bausteine. Man kann sie hierhin und dorthin schieben.

Ihre Eltern haben sich scheiden lassen, als Sie sieben waren. Danach wuchsen Sie und Ihre Schwester Meret bei Ihrer Mutter auf und deren Lebensgefährten Otto Sander. Sie haben zwei Väter, könnte man sagen. Oder: Sie sind vaterlos.

Spreche ich jetzt mit meinem Therapeuten? Zumindest gab es in meinem Leben nicht den Vater als Konstante, so wie man sich das in einer bürgerlichen Welt vorstellt.

Wer hat Sie am meisten geprägt?

Als Kind war ich mamaorientiert, sie hat mir einfach ganz viele Freiheiten gelassen. Ich war ein kleines Mädchen, hab mit Puppen gespielt, aus einem Schuhkarton ein Theater gebaut oder eine Geisterbahn.

Was hat Ihr Vater dazu gesagt?

Wenn mein Papa nach Hause kam, hat er mich oft rausgeschickt, Fußball spielen. Das war überhaupt nicht mein Ding. Aber das werfe ich ihm nicht vor, wir sind heute Freunde, ich liebe ihn sehr.

Sie haben einmal ein Geschenk von ihm zertrümmert, ein Spielzeugauto.

Das war ferngesteuert, machte tatü-tata, da saßen zwei Polizisten drin. Da kam einer von seinen Theaterfreunden und erzählte mir, dass Polizei Scheiße ist, so plastisch, dass ich mit meinen fünf Jahren zur Bastelkammer bin, einen Hammer holte und das Ding plattmachte. Mein Vater empfand das als Kunst, nahm einen Zimmermannsnagel und nagelte das kaputte Ding an die Wand.

Was für ein Elternhaus!

Mein Vater Rolf war am Bremer Theater engagiert, das damals führend war in Deutschland. Er hatte eine Etagenwohnung in einer Klavierfabrik. Dort waren oft Kollegen zu Gast, die machten irgendwie Kunstversammlungen. Einmal waren Schauspieler zu Besuch, die irgendwelche merkwürdigen Substanzen zu sich genommen hatten. Die haben mir meinen Kinderzoo abgebrannt. In dem Song "Brian Jones" hab ich das später verarbeitet: "Die Freunde meines Vaters, voll auf LSD, haben mein Spielzeug abgebrannt, das tat damals weh. Macht nichts."

Und wie hat Otto Sander Sie dann erzogen?

Der Otto war ein Freund, der für mich und meine Schwester Verantwortung übernommen hat. Ich habe einige Jahre eine Zahnspange getragen und die nachts gern rausgefeuert. Also ist der Otto immer bei mir unterm Bett rumgekrochen, hat mir den Daumen raus- und die Zahnspange wieder reingeschoben. Von ihm habe ich unter anderem auch gelernt: Man kann Scheiße bauen, aber man darf nicht lügen. Nur ein einziges Mal hat Otto mir eine gescheuert: Als ich ihn belogen habe.

Das war sie: die Grenze.

Ein Leben ohne Grenzen, das ist ein kühner, schöner Traum. Der lässt sich nicht umsetzen, das fängt beim Falschparken an und hört beim Drogenmissbrauch auf. Mir selbst hab ich das Peter-Pan-Syndrom bescheinigt - den Weg vom Kind zum Erwachsenen, den hab ich ja nie gehen wollen. Ich spiele gerne. Nur sollte man sich seine Spielsachen besser aussuchen.

In den 70er Jahren haben Sie als Punk in Berlin ganze Straßenzüge zerlegt.

Zu viel der Ehre, nicht nur ich, der eine oder andere war da schon noch dabei! Punk als Kunstform zu betrachten, darauf kam ich erst später.

Der kleine Ben, der sich wie ein Mädchen benommen hat, wird plötzlich zum Straßenkämpfer. Was ist da passiert?

Ich war doch kein Straßenkämpfer! Ich war immer noch dieses kleine Mädchen, das Spaß haben will. Man nimmt einen Pflasterstein und wirft den irgendwohin. Oder schießt den Nachbarn einen Fußball ins Fenster. Das ist ein befreiendes Gefühl.

Das war Sachbeschädigung. Und Macho-Gehabe.

Sachbeschädigung ja, Macho-Gehabe nein. Kurze Hose, Holzgewehr, das war der Krieg der Knöpfe, alles sehr kindlich. Ich hab mich nie wirklich geprügelt. Dazu war ich immer zu fein, zu sensibel, das fand ich immer unschön. Es gibt Bilder von mir, mit 16, da bin ich ein Strich, weit weg von dieser Kanonenkugel, als die ich heute angeschossen komme. Ich hab dann an der Berliner Schaubühne als Bühnentechniker angefangen, weil ich gelesen hatte, dass Marlon Brando seine Karriere auch so begonnen hatte. Durch die Arbeit bin ich dann kräftiger geworden.

Begann da Ihre Selbstinszenierung?

Da ging sie weiter … Aber wenn ich in meinem Alter immer noch als Rüpel und Enfant terrible charakterisiert werde, fühle ich mich doch ein bisschen falsch verstanden. Da ist mir anscheinend etwas entglitten.

Aber es hat Ihnen ja auch nie genügt, nur ein guter Schauspieler zu sein. Matratzen aus dem Hotelzimmer werfen, Westerwelle in einer Talkshow Haschisch anbieten, Beckenbauer im Radio für tot erklären - Ihr Leben musste immer auch Performance sein.

Da haben Sie nicht ganz unrecht. Mir fällt es schwer, nur meine Kunst für mich sprechen zu lassen. Ich muss dann immer noch weiterspielen, auch wenn ich längst von der Bühne runter bin. Was schnell dazu führt, dass die Leute einem die Kunst nicht mehr abnehmen. Die sehen dann nicht mehr den Schauspieler, die sagen: Ach, der Becker wieder… Die von ihnen erwähnten Aktionen werden als Performance nicht erkannt.Ich habe heute kurz überlegt, dass es toll wäre, wenn ihr mich für den stern nackt fotografiert. Aber dann hab ich mir auf die Finger geklopft, nein, Becker, lass das.

Sehnen Sie sich nach Normalität?

Ich bekomme da manchmal eine Sehnsucht, wenn ich abends mit dem Taxi durch die Stadt fahre und gucke in beleuchtete Fenster von ganz normalen Leuten, mit dem Nippes, den sie auf ihre Fensterbänke gestellt haben. Wie das wirklich aussieht bei denen, ist eine andere Sache - bei mir weckt das den Wunsch nach heiler Welt.

Vielleicht muss man gar nicht immer der Lauteste sein. Es genügt doch erst mal, sein Leben im Griff zu haben.

Stimmt. Und das ist keine kleine Leistung…

Können Sie ausschließen, dass Sie noch einmal abstürzen?

Ich könnte Ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Aber ich mach's nicht! Ich bin mit einem lauten Knall vom Tanzparkett geflogen, und ich kann sagen, das wird mir nicht mehr passieren. Das heißt aber nicht, dass ich nie wieder tänzel.

Interview: Oliver Fuchs/Alexander Kühn

PRODUKTE & TIPPS