Die Bar "Champs Elysees" am Ortseingang von Licola ist ein Prachtladen inmitten schäbiger Wohnhäuser, vergammelter Werkstätten und stinkender Müllberge: Teuer imitierte Art-déco-Glaskuppeln und Boulevard-Laternen, breite Marmortheke und schwere Kristall-Lüster. Das protzige Ambiente riecht meilenweit nach Mafia: So sehen in und um Neapel Waschanlagen für Drogengelder der Camorra aus. Hier in Licola herrscht einer der über 140 Clans, die Stadt und Hinterland im Würgegriff halten.
Diego Armando Maradona fährt im silbergrauen Smart vor. Ein blasser, schmaler Junge von 19 Jahren mit müdem Blick und Baseballkappe auf den dunklen Locken. "Ciao, Diego!", grüßen sie ihn auf dem Weg zum Tresen, Küsschen links, Küsschen rechts. Jeder kennt ihn hier, nicht nur seines Namens wegen und der Ähnlichkeit mit einem Vater, der rund um den Vesuv noch immer wie ein Heiliger verehrt wird - und nicht nur dort: Wenn Fußballgott Maradona, wie im Juni im Hamburger WM-Stadion, seiner Nationalmannschaft von der Ehrenloge aus fuchtelnd den Segen erteilt, geraten erst 20.000 argentinische Schlachtenbummler in Ekstase - und danach packt es die ganze Arena.
Wenn Maradona seniors Alimente aus Argentinien flossen, dann hierher
Diego Junior wohnt seit zehn Jahren mit seiner Mutter Cristiana Sinagra, mit Halbbruder, Großeltern, Onkel und Tante in dem hässlichen Kaff 15 Kilometer nördlich von Neapel: Wegen der örtlichen Fußballschule ist die Familie mit dem damals Neunjährigen nach Licola gezogen und hat sich nach und nach mit drei Häusern im "Country Park" eingekauft, eine von privaten Security-Leuten bewachte Wohnanlage aus geklonten Kleinbürgervillen in Pfirsichrot. Wenn Maradona seniors Alimente aus Argentinien flossen, dann hierher, in die tiefste Camorra-Provinz.
Diego und seine Familie sind misstrauische Menschen. Da sind enttäuschte Hoffnungen und verratenes Vertrauen im Spiel, zwielichtige Berater und ausgebuffte Medienleute. Erst nach einer Serie von Telefonaten mit seinem "Spieleragenten" hat sich der Junge zum Treffen im "Champs Elysees" bewegen lassen. Ein neuer Verhandlungsmarathon ist nötig, bevor man in Diegos unpersönlichem Zuhause vorgelassen wird: kitschige Stilmöbel, sterile Steinböden, in seinem penibel aufgeräumten Zimmer eine Trainingsbank und zwei Riesenposter über dem Bett - Che Guevara auf dem einen, Diego Armando Maradona, die Fußballlegende mit der Nummer 10, auf dem anderen. "Mein Vater hat mir gesagt, Che sei sein Idol - und ich soll mir auch so eine Tätowierung machen lassen wie er", erzählt der Junge stockend. Das war bei ihrem ersten und einzigen Treffen vor drei Jahren. Natürlich ist Diego junior danach sofort ins Tattoo-Studio gerannt.
"Ich will dem Namen Maradona Ehre machen"
Er krempelt den Ärmel hoch und zeigt den Oberarm mit dem Che-Guevara-Konterfei, gleiches Emblem, gleiche Stelle wie beim Senior. Auch den Brilli im Ohr hat er von ihm abgeschaut. Alles im Leben dieses Jungen sollte so sein wie beim Vater - auch auf dem Rasen. Doch in einem Alter, in dem der argentinische "Goldjunge" einst mit seinen akrobatischen Ballkunststücken und genialen Spielzügen die Stadien von Spitzenklubs in Begeisterungstaumel kickte, quält sich der Filius heute beim Fünftligisten Internapoli für eine unerfüllbare Mission: "Ich will dem Namen Maradona Ehre machen - und irgendwann beim SSC Neapel die Nummer 10 tragen."
Mit Diego Armando Maradona junior sollte ein Mythos wiederauferstehen. Alle erwarteten das von ihm - die eigene Fa-milie, die eigene Stadt, das eigene, fragile Ego. Erwartungsdruck und Versagensangst haben ihn früh gezeichnet. Er ist launisch, wirkt überfordert, in seinem Blick nisten Verletztheit und Traurigkeit. Als er am 20. September 1986 zur Welt kam, galt er "den einen als Kind der Sünde, anderen als Faustpfand für die Zukunftssicherung", erinnert sich Ciccio Marolda, Sportreporter bei Neapels Tageszeitung "Il Mattino". Von April bis Dezember 1985 habe ihre "Liebesbeziehung" zu Maradona bestanden, beteuert Cristiana Sinagra, 42, eine scharfzüngige Frau mit harten Zügen: "Ich war überwältigt, dass sich ein so großer Star für mich interessierte." Er tat das auch noch für rund 600 andere "chicas" während seiner Neapel-Ära, wie Insider des Maradona-Hofstaats hochrechneten. Die meisten waren "Mädels" von einschlägigem Ruf. Offiziell aber war der Argentinier verlobt mit einer Landsmännin - und die blonde Claudia, seine spätere Ehefrau, war im siebten Monat von ihm schwanger.
Der Sohn eines Idols wurde herumgezeigt wie ein Pokal
Alfredo Sinagra, ein geschäftstüchtiger Friseur, hatte deshalb vorsorglich Fernsehteams und Fotografen ans Wochenbett der Tochter gebeten. Die damals 22-jährige Cristiana hielt den eben entbundenen "bastardo" wie einen Pokal in die Kameras und gab unverzüglich seinen Namen preis: Diego Armando Maradona junior, leiblicher Sohn des Mannes, der am 5. Juli 1984 wie ein Messias ins San- Paolo-Stadion eingeflogen worden war, um vor 80.000 delirierenden Neapolitanern seine Antrittsvorstellung zu geben.
Für die damals astronomische Summe von umgerechnet 22 Millionen Mark hatte der SSC Napoli den Argentinier mit Bankkrediten von Barcelona abgekauft - "132.000 Mark für jeden Zentimeter des 1,66 Meter großen Mannes", wie die "Welt" ehrfürchtig konstatierte. Maradona bescherte der von Erdbeben, Verbrechen und Armut erschütterten Millionenstadt dafür die glanzvollsten Jahre ihrer Fußballgeschichte, holte 1987 und 1990 die ersten Meistertitel für den Verein, dazu Uefa-Cup und Italien-Pokal. "El pibe de oro", der Goldbube, wurde zur lebenden Legende: "Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst!", sprühten Tifosi an die Friedhofsmauern, in den Gassen der Altstadt beteten die Neapolitaner andächtig vor Maradona-Altären, von den Rängen schallte ein neues Vaterunser: "Diego unser, der du auf den Platz herabsteigst, geheiligt werde dein Name, Napoli ist dein Reich."
Maradona hat sich nie zu seinem Sohn bekannt
Maradona, der Aufsteiger aus dem Armenviertel von Buenos Aires, war ihr Racheengel gegen die von reichen Industriellen gepamperten Siegerklubs im Norden und ihr Erlöser vom Stigma Neapels als krimineller, unterentwickelter Mezzogiorno-Metropole. Der Traum hielt bis 1991, bis ihr dauerkoksender Gott wegen Steuerschulden, Dopingsperren und seiner engen Camorra-Kontakte zurück in die Heimat flüchtete. Napoli aber verzieh ihm am Ende alle Sünden: Die Drogenexzesse, die Huren, die falschen Freunde - und seinen kleinen Wiedergänger sowieso: "Mach dir keine Sorgen", riefen die Fans ihrem angeschlagenen Kapitän in Sprechchören zu, "wir ziehen den Buben schon groß!"
Tatsächlich hat sich ihr Held nie zu seinem Sohn bekannt. "Ich habe die Frau nicht berührt. Das Kind ist nicht von mir", log er schon bei dessen Geburt. Danach waren die Anwälte am Zug. Als Klein-Diego fünf war, gewann seine Mutter nach einem Gentest die Vaterschaftsklage in letzter Instanz und erstritt monatliche Unterhaltszahlungen von 2500 Euro. Kurz vor seinem neunten Geburtstag sicherte sie ihrem Kind vor Gericht das Recht, sich Maradona nennen zu dürfen: "Ich wollte, dass er so früh wie möglich weiß, wer sein Vater ist." Das Medienspektakel, das den "Mini-Maradona" seit dem Windelalter umgab, nahm die Familie dabei bedenkenlos in Kauf: Da wurden dubiose Gerichtsgutachten eines Gynäkologen zitiert ("Das ,Zipfelchen" des Sohnes weist das gleiche, leicht verformte Köpfchen auf wie das Glied des Vaters"), da wurde, kaum konnte der Knirps laufen, laut gejubelt: "Er dribbelt wie der Papa" ("Bild").
Hoffnung auf ein Fußballwunder
Der Bub war keine zehn, da wechselte er für rund 150.000 Euro Ablösesumme von einem Vorstadtklub in den nächsten, 1997 kam der Ruf in die Juniorenmannschaft des mittlerweile in die Zweitliga abgerutschten SSC Napoli: "Zehn Fernsehteams kamen zu seinem ersten Auftritt", erzählt Sportreporter Marolda, "die ganze Stadt hoffte auf eine Reinkarnation des großen Diego, auf ein neues Fußballwunder." Mit 15 wurde der Junge für kurze Zeit in den Nachwuchskader der Nationalmannschaft geholt, danach ging es nur noch bergab: ein kurzes Intermezzo beim Zweitligisten Genoa Calcio, ein paar Monate beim Drittliga-klub Cervia, seit kurzem ganz unten auf der Rangliste, bei Internapoli. Nur die eigene Familie glaubt noch an ein "miracolo": Opa und Oma harren bei jedem Training auf zugigen Kickplätzen an Neapels Peripherie aus, um zu erleben, wie sich ihr Enkel apathisch über das Spielfeld schleppt. "Trotz ein paar guter Anlagen zu langsam", urteilen Trainer und Sportjournalisten ernüchtert, "in die Erstliga wird er es nie schaffen." Bei den bolzenden Bubengangs in Neapels Altstadt fällt der Abgesang gnadenloser aus: "Diego junior hat weniger Talent als sein Vater im kleinen Zeh."
Im vergangenen Dezember hat der Sohn den Vater angezeigt. Es geht um Rückstände bei den Alimenten - "aber das Geld ist nicht die Hauptsache", sagt der Junge. Er klagt auch wegen "Diffamierung". Nie hat der Vater auf seine Briefe reagiert - sich nicht mal gerührt, als er, wie kürzlich, zum Benefiz-Spiel unter dem Vesuv einflog: Da verteilte "Papá" versöhnlich Autogramme an die Finanzpolizisten, die wegen alter Steuerschulden gleich zwei Rolex-Uhren von den göttlichen Handgelenken hinweg konfisziert hatten. Der Sohnemann indes war ihm nicht mal einen Anruf wert.
"Die Sache war ein Irrtum, für den ich ein Vermögen zahle"
Dabei hatte der so viel Hoffnung gehegt seit jenem Treffen auf dem Golfplatz im nahegelegenen Fiuggi. Damals, im Mai 2003, war er seinem Erzeuger mit 16 Jahren zum ersten Mal leibhaftig gegenübergestanden. Unter einem Vorwand hatte er sich aufs Feld gestohlen und den für eine TV-Show angereisten Vater beim siebten Loch gestellt: "Das ist die letzte Gelegenheit, deinen Sohn kennen zu lernen." Eine halbe Stunde lang hockten sie auf einer Sandkuppe und redeten miteinander, eine Umarmung zum Abschied, danach erneut Funkstille beim Senior. Bis zu jenem verletzenden TV-Auftritt in Argentinien vergangenen Herbst: "Kein Richter wird mich jemals zwingen können, diesen Jungen zu lieben", tönte Maradona in Richtung Italien, "die Sache war ein Irrtum, für den ich ein Vermögen zahle."
Trotz aller Enttäuschung scheint den Sohn die Klage zu belasten, als habe er einen Vatermord begangen. Dabei steht die Stadt bei dieser Partie geschlossen hinter ihm: "Dass Maradona die Liebe seines Sohnes zurückweist", sagt Ciccio Marolda, "das ist, wie wenn er die Liebe der Neapolitaner zurückweist." In Interviews mimt Diego junior jetzt den Trotzigen: "Für mich existiert dieser Mann nicht mehr." Doch dann zieht er für seine Besucher das Sweatshirt über mit dem Konterfei des Alten, MARADONA steht da in großen Lettern und eine riesige 10. Er hat es selbst entworfen, "eine Spezialanfertigung", sagt er andächtig. Sie ist ihm viel zu groß.