Er ist Pop-Eminenz, Oscar-Preisträger und Paradiesvogel - ein Gespräch mit Elton John über Frieden, Drogen und Talent-Shows.
Mr. John, auf dem Weg hierher konnte man protestierende Engländer sehen, die nicht wollen, dass ihr Land in den Krieg zieht.
Für mich war die beste Nachricht der letzten Zeit, dass Deutschland und Frankreich sich einig sind, da nicht mitzumachen. Es gibt bis heute keine Beweise, dass Saddam Hussein diese Waffen besitzt, von denen gesprochen wird. Beim ersten Golfkrieg war das anders - er hatte ein Land überfallen, und es musste befreit werden. Aber jetzt? Sollen sie uns die Beweise zeigen! Es sind doch nicht die Politiker, die in Leichensäcken nach Hause kommen, es sind die Menschen von der Straße. George Michael hatte schon Recht, als er in einem Song sagte, dass Tony Blair am Hintern von George Bush hängt. Ich wundere mich, dass in Amerika nicht mehr Leute gegen den Krieg auf die Straße gehen.
Haben Sie je überlegt, Protestsongs zu schreiben?
Nein, ich traue Politikern nicht, meine Lieder haben in der Politik nichts zu suchen. Als ich das erste Mal in den USA auftrat, war das an der Kent State University. Kurz zuvor waren dort Studenten einer Anti-Vietnam-Demonstration erschossen worden. Es herrschte eine unheimlich traurige und seltsame Stimmung. Da können auch Lieder nichts ausricht en.
Sie und ihr Musikpartner Bernie Taupin gelten als Menschen, die in Songs denken. Vor 35 Jahren erschien zum ersten Mal ein Lied von Ihnen. Wie viele sind es bis heute?
800, vielleicht 1000, ich zähle nicht mit.
Welcher Titel ist Ihnen der wichtigste?
Am berühmtesten ist sicherlich "Your Song", das muss ich bis heute bei jedem Konzert singen. Aber wichtiger war mir immer "Someone Saved My Life Tonight" vom "Captain Fantastic"-Album, weil es das erste war, das Bernie Taupin und ich zusammen gemacht haben. Das war der Wendepunkt meines ganzen Lebens. Ich war damals in erster Ehe mit einer Engländerin verheiratet, die meine Musik nicht besonders mochte. Eines Abends sagte ein Musiker zu mir: "Du liebst Bernie und deine Musik mehr als deine Frau, du solltest bei der Musik bleiben." Ich habe mich an dem Abend betrunken, ging nach Hause und sagte es meiner Frau. Das war das Ende unserer Beziehung, und darum geht's in dem Song. Da fing ich an, Elton John zu sein.
Langweilt es Sie, dass die Menschen bei Ihren Konzerten immer nur dieselben "Weißt du noch"-Songs hören wollen?
Ach, das kann ich doch dosieren. "I'm Still Standing" spiele ich zurzeit nicht, weil es zu viel war. Nur "Your Song", das bekommen sie immer.
Stimmt die Geschichte, dass John Lennon, nachdem "Your Song" erschienen war, vor Ihnen auf die Knie fiel und Sie erschrocken sagten: "Steh auf, du bist John Lennon!"?
Ja, das war seine Art Humor. Ich meine, ich war 23, und einer meiner Helden fällt vor mir auf die Knie, unglaublich. Wir wurden gute Freunde. Einmal traten wir im Madison Square Garden auf. Er hatte sich kurz zuvor von Yoko Ono getrennt, und an dem Abend trafen sie sich wieder. Aus dieser Nacht ist Sean Lennon hervorgegangen. Irgendwie fühle ich mich mitverantwortlich, die beiden wieder zusammengebracht zu haben. Ich vermisse John. Er war so energiegeladen - er würde heute auf Londons Straßen Sturm laufen, wenn England in einen Krieg zieht.
Wenn man hört, wie tief Sie in den 70er und 80er Jahren in Drogen und Alkohol versunken waren, fragt man sich, wie Sie aufrecht auf der Bühne stehen konnten.
Frage ich mich auch. Wenn Sie sich die Titelliste meiner Best-of-Platte anschauen, ist ein Teil der zweiten CD mit Whisky und anderen Drogen getränkt. Es war absurd: Ich wollte auf die Bühne und nahm deshalb Drogen. Einmal in Australien waren die Band und ich auf der Bühne so zu, dass wir bei "Sad Songs Say So Much" vom Mittelstück nicht mehr zurück zum Refrain fanden und ein und dieselbe Stelle zwölfmal spielten. Ich war einfach blau.
Sind Sie manchmal sehr überrascht, noch am Leben zu sein?
Sicher, ich habe 16 Jahre meines Lebens verschwendet. Heute bin ich gesünder als je zuvor, meine Stimme ist gut wie nie, und ich kann problemlos vier Konzerte am Stück geben. Das einzige Problem habe ich mit meinem Halswirbel - ich sitze ja am Klavier und muss den Kopf immer 90 Grad zum Publikum drehen. Wenn ich den Hals nach links drehe - hören Sie mal, wie es knirscht! Mein ganzer Nacken ist steif.
Früher waren Sie für Ihre extravagante Garderobe und für Ihre Brillen berühmt.
Am Anfang war es ein Spaß, ich wollte der Welt mitteilen, dass ich nicht Mick Jagger, Marc Bolan oder Rod Stewart bin, sondern Elton John, der Mann am Klavier. Man klebt ja auf der Bühne am Klavier, kann nicht tanzen und sich bewegen. Also bin ich aufs Klavier gesprungen oder darunter gekrochen und habe diese Kostüme und Brillen getragen, damit es interessanter aussah. Aber Ende der 80er Jahre habe ich diese albernen Kostüme nur noch getragen, um zu verbergen, wie fett ich geworden war.
War Ihre Freundschaft zu Gianni Versace Ihre modische Aufklärung?
Ich traf ihn Ende der 80er Jahre, wir wurden sofort Freunde. Von da an entwarf er meine Bühnenkleidung. Und er brachte mir sehr viel mehr bei. Gianni war unglaublich - wenn zwischen zwei Terminen nur zehn Minuten Zeit war, kannte er immer eine Kirche um die Ecke, wo ein ganz besonderes Fresko oder eine ganz seltene Madonnenfigur stand, und schleppte mich dahin. Er hat in meinem Leben eine gewaltige Lücke hinterlassen. John Lennon war ebenso wichtig für mich, und Karl Lagerfeld ist es noch.
Für eine Generation von jungen Musikern sind Sie so eine Art Vaterfigur. Spielen Sie diese Rolle?
Das Geschäft ist sehr hart geworden, gute Musiker setzen sich nicht mehr automatisch durch. Also helfe ich Leuten wie Ryan Adams, Craig David oder Miss Dynamite. Ich liebe die Energie der Jugend, sie hat das Naive, das ich auch mal hatte und heute ein bisschen vermisse.
Diese Jugend drängt in England, Amerika und auch in Deutschland in Sendungen wie "Pop-Idols" und "Deutschland sucht den Superstar" zu einer neuen Art von Ruhm.
Ich hasse diese Sendung. Es ist völlig falsch, übers Fernsehen Popstar werden zu wollen oder einen zu suchen. Das Publikum wird sich schnell langweilen, die Bewerber werden schnell verheizt. Hier in England waren die letzten drei Kandidaten sehr talentiert, aber wer lässt ihnen Zeit, sich zu entwickeln? Auch Popstars müssen ihre Hausaufgaben m achen, müssen durchs Land touren, auf Bühnen stehen, Charisma entwickeln.
Auf Ihrem Best-of-Album fehlt Ihr größter Hit: "Goodbye, English Rose", den Sie auf der Beerdigung von Prinzessin Diana gesungen haben.
Er wird auch immer fehlen. Das Lied habe ich nur dreimal gesungen: bei der Trauerfeier und dann zweimal im Studio, als wir die Single aufgenommen haben, die zur meistverkauften Single in England wurde. Ich werde es nie wieder singen.
Im Sommer jährt sich Dianas Todestag zum sechsten Mal. Was fällt Ihnen heute zu ihr ein?
Ach, sie war eine komplizierte Person, aber sie hatte einen sagenhaften Humor. Sie konnte nicht gut mit sich allein sein - genau wie ich, deshalb verstanden wir uns so gut. Sie blühte erst unter Menschen auf, natürlich auch, weil sie sich dann nicht mit sich selbst zu beschäftigen brauchte. Deshalb hat sich Diana auch für so viele Dinge engagi ert, für Aidskranke, gegen Landminen und so weiter. Es lenkte sie von dem Leben ab, in dem sie so unglücklich war.
Waren das Ihre Gemeinsamkeiten?
In gewisser Weise schon. Aber seit zwölf Jahren ist bei mir alles anders. Ich habe einen Partner gefunden, David Furnish. Seitdem hat alles einen Sinn. David und ich werden ewig zusammenleben. Zitieren Sie mich richtig: ewig.
Interview: Jochen Siemens