Frau Wagner, Sie stehen auf der Bühne, seit Sie 15 Jahre alt sind, galten in den 90ern als die deutsche Britney Spears. Dabei war es eigentlich anders rum, oder?
Tatsächlich war der Backstreet-Boys-Manager Lou Pearlman damals bei vielen meiner Auftritte dabei, als die Band hier in Deutschland ihre ersten Gehversuche machte. Wir sind uns häufiger bei Radiotourneen oder Festivals über den Weg gelaufen. Er hat gesehen, was für einen guten Start wir mit Blümchen hatten und wie sehr die Leute sich für mich interessiert haben. Ich war halt dieses normale 15-jährige Mädchen mit allem, was dazugehört, typisch Teenie eben. Er hat erkannt, dass das eine gewisse Magie hat und sagte damals zu meiner Managerin, dass er das sehr smart findet. Wenig später wurde Britney Spears gecastet. Sie war Teil seines Stalls.
In den USA ist gerade eine Diskussion um die Frauenfeindlichkeit gegenüber den Popstars der 90er entbrannt. Ausgelöst durch die Dokumentation "Framing Britney". Haben Sie das verfolgt?
Ich hab die Doku gesehen und fand sie schwer zu verdauen. Mich hat das sehr betroffen gemacht. Einfach, weil es eine alte Weggefährtin ist und es ihr anscheinend nicht gut geht. Es ist mehr als befremdlich mit anzusehen, wie ein älterer Moderator mit einer noch sehr kindlichen Britney flirtet. Und mir wird bewusst, dass Britney nie eine normale Kindheit erlebt hat. Sie war schon früh in der Leistungsmühle.
Wie haben Sie Britney Spears erlebt?
Britney ist ein wahnsinnig lieber Mensch, wir haben viel zusammen gelacht und hatten so unsere Teenagerthemen. Ich würde ihr wünschen, dass sie frei leben und uns mit klarem Kopf erzählen kann, wie es ihr geht.
Haben Sie manchmal gedacht: Das hätte auch ich sein können?
Nein. An keiner Stelle in meinem Leben war ich an einem Punkt, der für mich gefährlich war. Da waren immer meine Familie, mein Team, meine Freunde. Ich hab Glück gehabt.

Das klingt, als seien Sie sehr gut geschützt worden.
Ich war sehr beschützt. Ich hatte von Anfang an ein gutes Netzwerk. Die Managerin, die damals meine Cheerleader-Gruppe managte, wurde meine Managerin und ist das noch heute. Meine Mutter war außerdem viel mit mir unterwegs. Und sie ist eben keine Karriere-Mom gewesen, die zum Beispiel wie die Mütter von Justin Timberlake oder Nick Carter die Karrieren ihrer Kinder forciert haben. Meine Mutter hat mich einfach nur begleitet und gut auf mich Acht gegeben.
In der Doku gibt es eine Szene, in der Britney Spears auf Pressekonferenzen gefragt wird, ob sie Jungfrau sei. Mir ist die "Bravo"-Titelstory zu Ihrem ersten Mal eingefallen. Wie kam es damals dazu?
Mir wurde das nicht vorgegeben, das war meine Lebensrealität. Für Teenager dreht sich sehr viel um Sexualität, das erste Mal ist ein großes Ding und das war es natürlich auch in meinem Leben. Ich war halt Generation "Bravo", wir hatten Dr. Sommer und für mich war es immer okay zu sagen: Ich bin 15, ich habe noch nie mit jemanden geschlafen. Weil das meine Wahrheit war. Ich war als 15-Jährige auf eine Art und Weise viel weniger verfälschbar oder formbar als Erwachsene. Ich war halt ein bockiger Teenager und wenn mir etwas nicht gepasst hat, hab ich mich auch wie ein bockiger Teenager verhalten.
Wie sehen Sie aus heutiger Sicht, dass Sie als Teenie mit älteren "Bravo"-Reportern über Sex gesprochen haben?
Ich finde es okay. Es stimmt: Die Redakteure damals waren eher männlich, es gab wenig Frauen. Aber die haben auch nur ihren Job gemacht. Mein "Bravo"-Redakteur war jahrelang für mich zuständig. Er hat meine Familie kennengelernt, war bei uns zuhause. Da entstand auch so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Die Amerikaner hatten einen anderen Druck, die wurden nirgendwo auf der Welt in Ruhe gelassen. Aber auch bei uns gab es junge Kolleginnen, die es schwieriger hatten, Tic Tac Toe zum Beispiel.
Haben Sie damals die Frauenfeindlichkeit wahrgenommen?
Nein. Ich hab das damals nicht bemerkt oder bewertet, dass die Männer zum Beispiel in der Überzahl waren. Wir saßen einfach alle in diesem "Bravo"-Bus. Aber meine Managerin hat mir erzählt, dass sie damals oft sexistische Kommentare wegatmen musste. Mir hat mal jemand gesagt: Alle waren damals verliebt in Blümchen! Heute ist mir natürlich bewusst, dass es einfach viel weniger Auswahl-Möglichkeiten gab. Allein auf Instagram findet man heute super viele unterschiedliche Vorbilder.
Wie würden Sie die Popszene der 90er aus heutiger Sicht beschreiben?
Es gab eine große Aufbruchsstimmung, aber auch eine große Naivität in der 90ern. Alle haben einfach gemacht, wir haben wenig darüber nachgedacht. Allein wie ich angezogen war! Das hat sich jetzt gewaltig verändert. Mein Weg würde heute nicht mehr funktionieren. Heute schreiben wir allen Prozessen viel mehr Bedeutung zu. Wir achten mehr auf Sprache, wir gendern, wir inkludieren. Mir ist das wichtig. Ich möchte, dass jeder einen Platz in der Gesellschaft hat.
Nach Ihrem Blümchen-Comeback 2019 gibt es jetzt wieder Musik unter Ihrem Namen. "Von Herzen" heißt das Album und der Electro-Schlager wirkt wie die logische Weiterentwicklung vom Blümchen-Sound. War das so geplant?
In meinem neuen Album sind sehr viele 90er-Zitate drin, das ist auch bewusst so. Ich finde den Electro-Schlager sehr schön und passend für mich, aber ich hätte es zu keinem früheren Zeitpunkt machen können. Mir war es wichtig, dass die Musik tanzbar ist, und dass ich Songs schreibe, die keine komplizierten Geschichten erzählen, sondern Andeutungen machen und Momente festhalten.
Sie waren zehn Jahre hauptsächlich als Theaterschauspielerin tätig. Wie war es, wieder zur Musik zurück zu kehren?
Es war sehr spannend, denn ich hatte jahrelang keine Songs mehr geschrieben. Mittlerweile bin ich wieder sehr gut darin und schreibe auch für andere Künstler, zum Beispiel für Christina Stürmer und Gitte Haenning.
Ist es Ihnen leicht gefallen, mitten in der Pandemie Party-Songs wie Ihre aktuelle Single "Gold" zu schreiben?
Ja. Mir hat Musik in der Pandemie wahnsinnig geholfen, weil mir das gute Laune gemacht hat. Ich hab oft Musik angemacht, um die Stille zu durchbrechen und auch einfach alleine in der Wohnung getanzt, weil der Kontakt mit anderen ja nicht möglich war. Das hat mir eine Leichtigkeit gegeben, und dieses Gefühl war mein Leitmotiv für die Songs. Jetzt ist es mein Pandemie-Album geworden.