Sexuelle Übergriffe "Ihr dürft euch wehren": Kayla Shyx meldet sich nach Rammstein-Video auf YouTube zurück

YouTuberin Kayla Shyx
Das Video mit dem Titel "Was wirklich bei Rammsteins Afterpartys passiert" hat mittlerweile mehr als 5,4 Millionen Aufrufe.
© Rolf Vennenbernd/dpa
Mit ihrem Video zum Rammstein-Skandal löste Kayla Shyx eine Grundsatzdebatte über missbräuchliche Machtstrukturen aus. Jetzt meldet sie sich auf YouTube zurück.

Mit ihrem Video "Was wirklich bei Rammsteins Afterpartys passiert" trat YouTuberin Kayla Shyx, bürgerlich Kaya Loska, eine Debatte um sexuelle Übergriffe und den Machtmissbrauch von Männern los. Damals stützte sie mit ihrem Video die Anschuldigungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann, indem sie über ihre Erfahrungen auf einer der berüchtigten Aftershow-Partys berichtete. Was folgte, war eine Grundsatzdebatte über den gesellschaftlichen Stellenwert der Frau und das Thema Victim Blaming.

Im Zuge dessen wurde kritisiert, dass Männer in Machtpositionen scheinbar immer noch viel zu häufig machen und lassen können sollen, was sie wollen, während die Verantwortung dafür bei den Opfern gesucht wird. Die Unschuldsvermutung greife beim Täter, beim Opfer hingegen nicht – das sei ein Grundsatzproblem der heutigen Gesellschaft.

"Ich bin sehr überfordert, gerührt, überrascht, erschrocken"

Jetzt – knapp zwei Wochen nach ihrem ersten Video – meldete sich Loska auf YouTube zurück. In ihrem neuen Video "Die Nachwirkung der Rammstein Problematik" geht die 21-Jährige darauf ein, wie es ihr in den letzten Wochen ergangen ist und spricht daneben über sexuelle Gewalt gegen Frauen im Generellen und ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema. 

Mit den Worten "Ich bin sehr überfordert, gerührt, überrascht, erschrocken", beginnt Loska das Video. Sie empfinde derzeit "allerlei Emotionen", wolle sich zunächst aber bei allen Menschen bedanken, die ihr in der letzten Zeit Unterstützung und Liebe entgegengebracht und dem Thema Aufmerksamkeit sowie eine Plattform geschenkt hätten. 

Nach Rammstein-Video: Kayla Shyx zieht sich zurück

Seitdem ihr Video zu den Rammstein Aftershow-Partys vor knapp zwei Wochen viral gegangen ist, fühle sie sich sehr belastet. Bei solch einem schweren, umfangreichen Thema nehme die Belastung zu, "je tiefer man darein geht", erzählt sie. Entsprechend habe sie sich nach dem ersten Video zunächst zurückziehen müssen, habe gemerkt, wie viel die Debatte rund um sexuelle Übergriffe und Belästigung mit ihr gemacht habe. Sie habe sehr viel Angst und Sorgen gehabt, über "so ein schwieriges Thema" öffentlich zu reden.

Instagram
© Instagram @kayla_shyx

Aufgrund dessen sei sie nach dem Upload weder auf Social Media noch in den Medien unterwegs gewesen, um mental auf sich acht zu geben. Als sie vor ein paar Tagen dann das erste Mal wieder online gewesen sei und gesehen habe, wie viel Reichweite das Video mittlerweile hat, sei sie schockiert gewesen.

Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung

"Ich dachte wirklich, ich falle tot um", sagt sie. "Ich war im Schockzustand und bin es auch immer noch. Es ist so beängstigend zu wissen, wie viele Menschen das Video gesehen haben und wie viele Leute mich davon im Fokus haben bei dieser ganzen Debatte." Zwar habe sie gewusst, dass das Video einige Menschen erreichen wird, habe mit diesem Ausmaß an Reichweite – mittlerweile hat das Video mehr als 5,4 Millionen Aufrufe (Stand: 20.06.23) – jedoch niemals gerechnet. 

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Doch damit nicht genug. In den letzten Wochen haben sich Nachrichten bei ihr gehäuft von Mädchen, die ebenfalls – unabhängig der Rammstein-Debatte – sexuell belästigt wurden und sich nun ermutigt gefühlt haben, sich zu öffnen. "Ich habe so eine Verantwortung gespürt. Wie gehe ich damit um? Was soll ich tun? Wie kann ich für alle dasein? Was mache ich denn jetzt überhaupt?", beschreibt die YouTuberin ihre Gefühlswelt. 

"Mein Video hat eine große Debatte um Machtmissbrauch aufgeworfen (…), um sexuelle Belästigung generell", sagt sie. Erstmals haben sich Frauen gesehen gefühlt, haben den Mut erlangt, darüber zu sprechen, sich zu öffnen und "überhaupt anzuerkennen, was passiert ist", fasst Loska zusammen. Besonders emotional sei das Thema für sie, da sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht habe. 

Sie spricht über ihre eigenen Erlebnisse mit sexueller Belästigung

Mit 17 Jahren sei sie selbst sexuell belästigt und gewalttätig angegangen worden – "von jemandem, den ich als Freund gesehen habe", berichtet sie. Deswegen habe sie damals auch keine Anzeige erstattet. Das größte Problem sei jedoch gewesen, dass sie nie anerkannt habe, was passiert sei und die Situation sogar gerechtfertigt habe. Sie sagt: "Ich habe vollkommen ausgeblendet, was passiert ist (…). Und dann saß ich irgendwann in einem Uber, habe gerade online etwas über sexuelle Belästigung gelesen (…) und auf einmal hat es bei mir Klick gemacht. Und die Erinnerung an diese eine Nacht, in der ich sexuell belästigt wurde, kam wie aus dem nichts auf."

Wenn die Realisation eintrifft, sei es das Schwierigste "sich einzugestehen, dass man das Opfer war. Und das man nicht die Kontrolle hatte (...)". Das sei sehr beängstigend, erzählt die 21-Jährige – und kann auch im Nachhinein Auswirkungen zeigen. Dreieinhalb Jahre später habe sie aufgrund von posttraumatischen Belastungsstörungen in Therapie gemusst, habe zunehmend posttraumatische Reaktionen gezeigt: "Ich hatte Panikattacken (…), ich konnte nicht schlafen deswegen."

Über den Kontrollverlust in übergriffigen Situationen

Gerade in den ersten Therapiewochen konnte sie sich immer noch nicht eingestehen, Opfer gewesen zu sein, habe die Situation weiterhin gerechtfertigt und sich selbst die Schuld gegeben. Heute weiß sie: Das waren nur Selbstschutzmaßnahmen. "Um sich selbst das Gefühl zu geben, ICH hätte etwas anders machen können", führt sie aus.

In Situationen des sexuellen Missbrauchs sei es für Frauen häufig leider leichter, "es einfach über sich ergehen zu lassen." Wenn man sich wehre und laut werde, würde man sich eingestehen, dass man in Gefahr ist – und das sei ein gruseliges Gefühl. Auch sie habe damals versucht, die Situation "so klein wie möglich" zu halten, obwohl "alles in ihr geschrien" habe. Doch das war ihrer Meinung nach falsch. Zwar wollen Menschen tendenziell immer den Schein waren und Konfrontationen vermeiden, dennoch sei es wichtig, laut zu werden und zu handeln. Sie appelliert: "Ihr dürft euch wehren, ihr dürft laut sein, ihr dürft was sagen, wenn ihr euch belästigt fühlt – sei es verbal oder körperlich."

Shyx über Rammstein-Video: "Ich würde alles so vor Gericht wiederholen"

Vor allem aber ermutigt sie Betroffene dazu, Anzeige zu erstatten. Damit nimmt sie auch Bezug zu den Frauen, die Lindemann in den letzten Wochen wegen Sexualdelikten angezeigt haben. Dass das Kriminalamt jetzt gegen Lindemann ermittelt, sei "wirklich groß", kommentiert Loska. Sie bewundere den Mut dieser Frauen, zur Polizei zu gehen und Lindemann trotz aller Schwierigkeiten hinsichtlich des vorliegenden Machtgefälles anzuzeigen. "Leider funktioniert unsere Welt so: Wenn du viel Geld hast, dir die krassesten Anwälte holst und Macht hast, wenn du einer der größten deutschen Musikstars bist, dann ist es schwerer, dich dranzukriegen", erklärt sie. Jedoch müsse genau das passieren. 

Auch sie würde vor Gericht aussagen. "Ich würde alles so vor Gericht wiederholen. Es ist mir egal, was dadurch auf mich zukommt", sagt die YouTuberin und bezieht sich damit auf das erste Rammstein-Video. Auch wenn die Anwälte Lindemanns versuchen würden, Einschüchterungsarbeit zu leisten und Unterlassungsschreiben an Frauen, Journalisten und Medien zu schreiben, dürfe man sich davon nicht beeinflussen lassen. 

"Diese Frauen haben keinerlei Vorteil, diesen Mann anzuzeigen. Das ist Zeitaufwand, das sind Gerichtskosten, das ist belastend. Das einzige, was diese Frauen wollen, ist Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für sich und ihren Körper", bezieht sich Loska auf die zwei Klägerinnen in Berlin, bietet diesen im Zuge dessen sogar an, sich bei ihr melden zu können. Sie sagt: "Ihr könnt mich kontaktieren, ich will da sein und euch unterstützen. Ihr müsst da nicht alleine durch."

"Je mehr Frauen Anzeige erstatten, desto mehr Frauen werden auch beschützt"

Ob Lindemann oder nicht: Loska ist überzeugt davon, dass Frauen sexuelle Übergriffe nicht länger dulden und sich wehren sollten. "Hört auf euer Bauchgefühl, euer Bauch lügt nicht!", betont sie. Auch sie selbst habe bereits Anzeige gegen einen erwachsenen Mann erstattet, der sich verbal übergriffig verhalten habe. Letztendlich habe er zwar keine Strafe bekommen, dennoch habe sie damit etwas bewirkt. Denn wenn weitere Frauen dasselbe erleben und diesen Mann anzeigen, werde beim dritten Eintrag in die Akte genauer hingeschaut, erklärt sie. 

Ihr Fazit: "Je mehr Frauen darüber reden, je mehr Frauen das ansprechen, je mehr Frauen Anzeige erstatten, desto mehr Frauen werden auch beschützt." Und genau da liegt der Punkt. Die Aufgabe unserer Gesellschaft ist es, Opfern glauben zu schenken, sie zu schützen, zu ermutigen und ihnen zuzuhören. Denn nur so können die Täter zur Rechenschaft gezogen werden."

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