Das Wetter war sehr englisch am frühen Morgen, ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit, es nieselte leicht, und die unentwegten Camper vor dem St. Mary’s Hospital fröstelten vor sich hin - auf Liegen und Bänken und in Zelten. Die Nacht war dann kurz für die Royalisten. Denn um sechs Uhr machte die Nachricht von Kates Abfahrt aus Kensington Palace die Runde. Die Duchesse von Cambridge, twitterte das Presseteam des Kensington Palasts, befinde sich "in den frühen Stadien von Wehen".
Knapp drei Stunden später meldeten die Royals dann Vollzug. Kate, eine Woche überfällig, war niedergekommen mit einem Mädchen, acht britische Pfund und drei Unzen schwer, oder für den Rest Europas: 3,7 Kilo. Mutter und Kind sind wohlauf. Und die Nation kurz vor den Wahlen am kommenden Donnerstag erleichtert. Vom Fernsehturm BT-Tower leuchtete in Dunkelpink "It’s a girl", Kadetten auf der HMS Lancaster formten das Wort "Sister". Und vor dem Krankenhaus hatte Tony Appleton seinen großen Auftritt.
Der Soldat im Ruhestand hatte im Oktober an den Buckingham Palast geschrieben und sich offiziell um die inoffizielle Position des Town Crier beworben, des Marktschreiers. Im Dezember kam die Antwort, er dürfe. Und am Samstag stellte sich Mr. Appleton auf die Stufen der Entbindungsklinik, bimmelte wie ein Eismann mit der Glocke und verkündete nach dem Ausruf "oyez, oyez, oyez" (höret, höret, höret) die frohe Kunde. Später verkündete er die frohe Kunde noch ein gutes dutzend Mal für all die Kamerateams, die den Originalauftritt verpasst hatten. "Sir, could you please?". Ein halbes Jahr hatte er auf diesen Moment gewartet, geübt, keinen Urlaub gemacht. Und nun dies: ein Mädchen.
Kate und William präsentieren kleine Prinzessin
Man muss wissen, dass irgendwie alle ein Mädchen wollten: Opa Charles vorneweg. Aber auch die meisten Briten. Die Wetten standen auch auf Mädchen, und nun stehen die Wetten auf Alice, Charlotte, Elizabeth und Victoria - in dieser Reihenfolge. Man wird es sehen.
Es gab noch jede Menge andere Wetten an diesem Tag. Zum Beispiel die, ob Kate nach ihrer Hochgeschwindigkeitsgeburt das Krankenhaus noch am selben Tag verlassen würde; nicht weil die Kosten (7000 Euro pro Nacht, ein Glas Schampus inklusive) für die Cambridges zu hoch wären. Sondern weil es die frisch erweiterte Familie schlicht heimwärts zöge, weg vorm Trubel. Unter den Journalisten machte das Gerücht die Runde, die royale Friseuse Amanda Cook Tucker sei in der Nähe von Paddington gesichtet worden und ergo auf dem Weg zu Kate, um die zu trimmen fürs Familienfoto. Zum Tee, noch so ein Gerücht, wolle Kate wieder zu Hause sein.
Tee klappte nicht ganz, aber Dinner immerhin. Am Abend verließen sie St. Mary’s. Vater, Mutter, frisch geborenes Kind unter größtem anzunehmendem Jubel vorm Backsteinbau. Nach gerade mal zwölf Stunden war alles vorbei. Anfahrt, Wehen, Geburt, Abfahrt im schwarzen Range-Rover, der klassischen Familienkutsche. Und Kate, erstaunlich, sah abends und nach einem Tag wie diesem aus wie der blühende Morgen.
Schoko-Kuchen für Fans
Der Tag hatte grau begonnen und natürlich mit vielen historischen Reminiszenzen. Peter Hunt, der royale Korrespondent der BBC, erinnerte daran, dass früher bei Geburten auch die Innenminister anwesend waren, gewissermaßen als Oberschiedsrichter. Noch bei der Geburt der Queen. Das, schrieb er, bleibe Kate und William erspart. Den Anhang "glücklicherweise" verkniff er sich. Innenministerin ist Theresa May, eine eher unfröhliche Person, die durch pure Anwesenheit auch bei Nicht-Schwangeren Wehen auslösen kann. Es ging auch ohne sie. Und es ging zur Freude der Royalisten im ganzen Land und in der ganzen Welt dann doch sehr schnell.
Wobei das Definitionssache ist. Die Königstreuen vor dem Krankenhaus hatten nämlich wochenlang ausgeharrt und gewartet und mit Erstaunen noch am Donnerstag gelesen, dass Kate Söhnchen George zum Schwimmen in den Buckingham Palace chauffiert habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte John Loughrey aus Südlondon schon dreieinhalb Wochen in den durchfrorenen Knochen. Der Mann nennt sich "Superfan", und das aus gutem Grund. Das Stehvermögen der Treuen hatte sich bis in den Palast herumgesprochen, und so schickten Kate und William ihren Fans zuweilen Gebäck aus einer Konditorei ums Eck, und die rosa Schleifen um die Pastetchen deuteten die Fans als Omen: Girl. Der alte Terry Hutt, ein Veteran im Union-Jack-Anzug und seit elf Tagen im Einsatz, feierte vorm Krankenhaus sogar seinen 80. Geburtstag und bekam königliche Post, "best Wishes, William and Kate" und einen Schokoladen-Kuchen aus Kensington.
Royal Baby statt Sehenswürdigkeiten
So vergingen die Tage in Paddington. Zäh und langsam. Bis der Palast Samstag morgen endlich twitterte, es sei so weit. Und sich Reporter und Fans aus dem ganzen Königreich und auch Deutschland versammelten. Einer, Michael Hampe aus Hannover, war eben gerade erst gelandet für eine viertägige Städtetour. Kaum machte er sein Handy an, bedeutete ihm seine daheimgebliebene Frau, er möge sich doch zum Krankenhaus bewegen und Bericht erstatten. Da stand er nun, müde vom Flug und etwas unrasiert und schaute auf Terry und John und die anderen königlichen Fans, wie sie aus Plastikgläsern Schampus tranken und anstießen. "It’s a girl". Finally. Sogar die Königin trug Samstag pink, angeblich zur Feier des Tages.
Am Abend räumten die Königscamper ihre Sachen, bauten Zelte und Feldbetten ab. Sie fielen sich in die Arme und nahmen Abschied. Bis zum nächsten Mal. Die Taufe ist im Sommer.