Tinder wird in diesem Jahr zehn Jahre alt. Der stern hat mit Menschen über ihre Erfahrungen mit Online-Dating gesprochen. Das hier ist die Geschichte von Annalena*, 26, die über Tinder zu ihrer Sexualität gefunden hat:
"Habe ich meine Einstellungen wirklich geändert?" Diese komische Frage ging mir auf meinen langen Bahnfahrten von Schweden nach Hamburg immer wieder durch den Kopf. Schließlich sollte zu dieser Zeit noch niemand erfahren, dass ich nicht nur auf Männer, sondern auch auf Frauen stand.
Zum ersten Mal runtergeladen habe ich Tinder in meinem Bachelorstudium in Hamburg. In den drei Jahren auf dem Campus nutzte ich die App mal mehr, mal weniger erfolgreich. Zufrieden war ich mit meinem Single-Leben jedenfalls nicht. Schließlich traf ich zu dieser Zeit nur Jungs, obwohl mir längst bewusst war, dass ich auch auf Mädchen stand.
Als ich vor zwei Jahren meinen Master in Schweden begann, sah ich die perfekte Gelegenheit, endlich sein zu können, wer ich bin. Hier war ich ein unbeschriebenes Blatt, befreit vor kritischen Blicken und der Angst, Leute würden mich für meine Bisexualität verurteilen. Einige Tage nach meiner Ankunft änderte ich meine Sucheinstellung auf Tinder auf "Frauen". Ich denke, Tinder spielt für viele Menschen in der LGBTQ-Community eine wichtige Rolle. Vor allem wenn man erst spät merkt, für wen man sich alles interessiert. Zumindest hat mir die Anonymität des Internets die Freiheit gegeben, erste Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Partnerinnen zu machen, für die es im wahren Leben wohl einiges mehr an Mut bedurft hätte.
Diese Freiheit endete für mich an der Grenze zu Dänemark. Sobald ich im Zug nach Deutschland saß, änderte ich meine Einstellung zurück auf "Zeige mir Männer". Schließlich sollte niemand aus meiner Heimat von meinem neuen Leben erfahren. Solange ich zu Besuch war, blieb ich inaktiv oder schrieb mit Männern. Auf der Rückfahrt änderte ich meinen Suchfilter dann in der Regel direkt wieder. So ging das ein paar Monate.
Unliebsame Begegnung auf Tinder
Irgendwann fing ich dann an, meinen Tinder-Radius sukzessive zu erweitern. "In Dänemark kennt dich doch niemand", dachte ich mir bei einer Bahnfahrt und änderte die Einstellung erst in Schleswig-Holstein. Ein paar Monate später suchte ich dann auch dort nach weiblichen Singles und irgendwann auch in meinem alten Kinderzimmer in Hamburg. Eines Tages wurde mir eine ehemalige Mitspielerin in die Timeline gespült. Sie fragte mich, ob ich mich in der Suchanfrage geirrt hätte. Ich erwiderte, dass ich hier neu sei und mich wohl verklickt hätte – was für eine dumme Ausrede – und löschte Tinder sofort von meinem Telefon.
Wie eine App das Singleleben revolutionierte

• Sean Rad, Justin Mateen und Jonathan Badeen (von links nach rechts) gründen Tinder in einer Start-Up-Werkstatt des Internetkonzerns IAC
• Die Dating-App verbreitet sich auf dem Campus der University of Southern California in Los Angeles
• Tinder kann im Apple-Store heruntergeladen werden
Als ich das nächste Mal nach Hamburg fuhr, fühlte ich mich schrecklich und wusste, dass ich mich nicht weiter verstecken will. Wenn ich mein Leben aus Schweden auch in Deutschland wollte, musste ich in Kauf nehmen, dass mir Leute begegnen, die mich kennen. Ab diesem Zeitpunkt begann ich mich vor Freund:innen und meinen Eltern zu outen. Als mir die Mitspielerin einige Wochen später erneut auf Tinder begegnete, fragte sie mich, ob ich mich schon wieder verlaufen hätte. Ich sagte nein und wischte nach links.
*Name von der Redaktion geändert
Aufgezeichnet von Julian Schmelmer
Weniger glücklich mit ihrer Tinder-Erfahrung ist Lisa. Eigentlich hatte sie sich mit ihrem Date gut verstanden, doch dann brach er plötzlich den Kontakt ab – und ließ eine Corona-Infektion zurück. Hier geht es zu ihrer Geschichte.