Wenn Anna Wintour kommt, atmen die Designer auf. Schon ihre bloße Anwesenheit bei einer Modenschau gilt als Ritterschlag. Die Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue" ist eine der mächtigsten Schlüsselfiguren der Fashion-Szene. Unter ihrer Ägide hat sich die US-"Vogue" zur Modebibel entwickelt. Kleider, die dort abgebildet werden, setzen weltweit Trends; Vogue-Models werden zu Superstars, und Designer wie John Galliano oder Marc Jacobs verdanken ihren Aufstieg maßgeblich dieser "icy queen", dieser "Schneekönigin", vor deren so distanziertem wie makellosem Auftreten viele auch zittern.
Wegen Wintour wurden im vergangenen Frühjahr sogar wichtige Mailänder Modenschauen verschoben. Da die "Vogue"-Chefin wegen der gleichzeitig laufenden Oscar-Verleihung in Los Angeles weilte, suchten einige Top-Designer einen neuen Defilee-Termin, nur damit sie dabei sein konnte. Die 1949 in London geborene Tochter des einflussreichen Zeitungsmachers Charles Wintour leitet die "Vogue" seit mehr als 15 Jahren. Und mit ihrem perfekten Pagenkopf, der großen Sonnenbrille, kurzen Röcken, nackten Beinen und High Heels hat sie einen typischen Look kreiert. Nach Wintours Aussehen wurden schon Schaufensterpuppen dekoriert. "Sie hat Star-Qualitäten", sagte der Designer Oscar de la Renta einmal über die zarte Chefredakteurin, die bei großen Gala-Veranstaltungen so oft fotografiert wird wie eine Hollywood-Diva.
Bewundert und geschmäht
Die in New York lebende Britin wird viel bewundert und viel geschmäht. Als vor zwei Jahren eine ehemalige Wintour-Assistentin mit ihrem Buch "Der Teufel trägt Prada" Furore machte, meinten viele in der Hauptfigur, einer eiskalten, willkürlich herrschenden Chefredakteurin, Anna Wintour zu erkennen. Doch der konnte dies nichts anhaben. Zumal wohlwollendere Stimmen der Top-Journalistin Unvoreingenommenheit und sogar Warmherzigkeit bescheinigen. Unter Wintour ist die Zeitschrift buchstäblich zum Schwergewicht geworden. Ausgaben mit 600 Seiten Umfang - auf zwei Dritteln davon Anzeigen - sind zum Saisonstart keine Seltenheit mehr.
Auch wenn die Platzhirsch-Stellung der US-"Vogue" hauptsächlich Anna Wintours klugem Mix aus Prominenten-Storys, Glamour-Mode, witzigen Texten und einem Schuss Bodenständigkeit zu verdanken ist: Auch früher war das Flaggschiff des Hauses Condé Nast schon ungemein mächtig. Etwa unter der so sympathischen wie exzentrischen Society-Lady Diana Vreeland, die das Magazin zwischen 1962 und 1971 führte. Damals galt "Harper's Bazaar" als größte Konkurrenz, und bis heute herrscht zwischen Magazinen wie "Vogue", "Elle" oder "W" ein Kampf um die besten Fotografen, die tollsten Models und die stilbildenden Redakteure.
Suzy Menkes - "Päpstin" der Modewelt
Einen ähnlich großen Einfluss wie Anna Wintour genießt wahrscheinlich nur Suzy Menkes. Die kommt jedoch nicht aus der Zeitschriften-Branche, sondern schreibt seit 17 Jahren für die rund um den Globus erscheinende Zeitung "International Herald Tribune". Auch sie trägt Pagenkopf, allerdings mit einer skurrilen Tolle und ohne Wintours Sex-Appeal. Menkes sieht gar nicht aus wie eine Stil-Ikone, und doch verehren zahlreiche Kollegen und Designer die 63-Jährige. Die in Paris lebende Modekritikerin gilt dank ihrer brillanten Schreibe und scharfen Beobachtungsgabe als "Päpstin" der Modewelt. Während der Schauen berichtet sie täglich vom Geschehen, und so rascheln im Publikum überall vor Beginn eines Defilees die Seiten mit ihren Artikeln herum. Fast alle wollen wissen, wie Menkes den Vortag beurteilt hat. Und richten sich im eigenen Urteil häufig danach.
Auch Menkes stammt aus London. Anders als Wintour tritt sie stets freundlich lächelnd auf. Doch ähnlich wie die "Vogue"-Chefin arbeitet die studierte Literaturwissenschaftlerin äußerst diszipliniert. Für ihre Verdienste um den Journalismus wurde sie kürzlich sowohl vom französischen als auch vom britischen Staat ausgezeichnet. Auf fast allen Schauen der Mailänder, Pariser oder New Yorker Modewochen ist Menkes zu sehen, hochkonzentriert auf ihrem Laptop tippend. Und stets wird sie so prominent platziert wie ihre Kollegin Anna Wintour. Denn beide sind Queens und Königsmacherinnen der Modewelt zugleich.