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Diane von Fürstenberg im Interview "Ich war ein Symbol für ihren Überlebenswillen"

Die Modedesignerin Diane von Fürstenberg hat ihre Biografie geschrieben. Mit dem stern sprach sie über ihre Zeit als "Jägerin", über Liebeskummer - und das Leben ihrer Mutter als Ausschwitz-Überlebende.

Frau von Fürstenberg, die Welt kennt Sie für Ihr berühmtes Wickelkleid, für Ihr Leben als Jet-Set-Prinzessin, und nun wissen wir auch, dass Sie Kinder gequält haben.

Wer? Ich?  

In Ihrer Biografie beschreiben Sie, wie sie ihren kleinen Bruder Philippe dazu zwangen, in eine Flasche zu Pinkeln. Um sich dann über ihn lustig zu machen.

Es war eine dieser kleinen Flaschen, wie sie in den Arztkoffern für Kinder stecken. Philippe war sechs und wirklich süß, ich war zwölf und hatte zu gerne das Sagen über ihn. Ich ärgere ihn heute noch, wo ich kann. 'Musstest du wirklich darüber schreiben?’, hat er mich gefragt.

Wäre Ihre Mutter Lily noch am Leben – hätte Sie das Buch mit Freuden gelesen?

Ich kann es nur vermuten.

Eines der frühesten Fotos zeigt Ihre Mutter 1952 auf dem Bahnhof von Basel. Sie sieht sehr elegant aus, sie trägt eine Handtasche aus Krokodilleder und hält schützend die Arme und den Mantel über ihre Tochter.

Ich glaube, das Foto erschien in der Zeitschrift "Quick". Es war November, der Orientexpress hatte Verspätung, und wir waren auf dem Weg zum Skilaufen in Arosa. Meine Mutter weiß, dass sie fotografiert wird, aber sie blickt nicht in die Kamera, denn unter keinen Umständen will sie zeigen, was in ihr vorgeht. Erst sieben Jahre sind vergangen, seit sie Auschwitz verlassen hat. Ich frage mich sehr oft: Wie mag sie sich damals gefühlt haben? Sie mochte keine Bahnhöfe und keine Züge, aber da stand sie mit ihrer fünfjährigen Tochter auf dem Bahnsteig, sie ist schwanger mit meinem Bruder. Der Lärm der rangierenden Züge, die Durchsagen auf Deutsch – "Achtung!" – müssen sehr seltsam in ihren Ohren geklungen haben.

Ihre Mutter war Zwanzig, war Jüdin und arbeitete als Fahrradkurierin für die belgische Résistance-Bewegung, als sie im Mai 1944 in Brüssel von der SS  verhaftet und dann in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert wurde.

Dort wurde sie von der Rampe weg aussortiert und nicht in die Öfen, sondern als Zwangsarbeiterin in die Fabriken geschickt. Sie war die Gefangene mit der Nummer 5199. Als sie 13 Monate später befreit wurde, war sie nur Haut und Knochen und wog keine dreißig Kilo. Niemand rechnete noch damit, dass sie überleben würde. Doch anderthalb Jahre nach ihrer Lagerhaft brachte sie mich zur Welt. Ich war ein Symbol für ihren Überlebenswillen. 'Lass dich nie von einer Niederlage kleinkriegen!', das war ihr Motto. Nein, sie war kein Opfer.

Warum haben Sie bis 1981 gewartet, über die Vergangenheit Ihrer Mutter zu sprechen?

Ich war nie auf die Idee gekommen. Auch nicht, als ich an jenem Tag einen Preis von der "Anti-Defamation-League" bekommen sollte. Ich hielt meine Dankesrede, und plötzlich brach es aus mir heraus. Ich bin alles andere als sentimental, aber als ich die Worte über meine Lippen kommen hörte, war ich total schockiert. Es war eine Offenbarung.

Weil Sie sich nie als Tochter einer Auschwitz-Überlebenden betrachtet hatten?

Nehme ich an. Seither spreche ich darüber, auch wenn es sich manchmal anfühlt, als würde ich mich prostituieren. Viele Leute denken, ach, die von Fürstenberg, das ist die oberflächliche Modetante mit ihren Wickelkleidern, dieses ausgeflippte Jetset-Girl, aber wenn ich dann von meiner Mutter erzähle, ändert es alles. Es macht immer Eindruck auf alle Menschen.

Redete Ihre Mutter über ihr Leben in Gefangenschaft?

Mit uns Kindern sprach sie nicht über die Konzentrationslager. Sie wollte, dass wir unbeschwert aufwachsen. Ich erinnere mich, dass sie zwei Reihen von Nummern auf ihrem linken Arm hatte, die sie dann aber entfernen ließ, weil zwar alle Leute immer hinsahen, aber niemand darüber reden wollte. Später erzählte sie uns manchmal von der Kameradschaft unter den Gefangenen, und von beinah Belanglosem: Wie sie aus dem Saum ihres Kleides einen Gürtel gebastelt oder einen Kamm gegen Brot getauscht hatte. Über ihre Arbeit in der Patronenfabrik.

Sie muss grauenvolle Dinge erlebt haben.

Ich habe sie oft gefragt: Wie hast du überleben können? Nur einmal hat sie mir geantwortet: 'Es war, als hätte es geregnet und ich wäre zwischen den Tropfen hindurchgelaufen.' Diese Haltung hat ihr vielleicht das Leben gerettet.

Niemand hat Auschwitz wirklich hinter sich lassen können, sagt man.

Manchmal fand ich sie weinend in ihrem verdunkelten Zimmer sitzen, wenn ich von der Schule kam. Und 1980 begleitete sie ihren damaligen Schweizerdeutschen Lebensgefährten Hans Müller auf eine Reise nach Deutschland. Sie fuhren über Land und wohnten in einem Gasthaus. Es war ein heißer Tag, es gab Streit und am Abend es ein Geschäftsessen, man sprach Deutsch. Sie gingen zu Bett, und als Hans mitten in der Nacht aufwachte, war sie aus dem Bett verschwunden. Er fand sie unter dem Rezeptionstresen in der Lobby wieder. Die nächsten drei Wochen verbrachte sie in einer psychiatrischen Klinik in Genf.

Haben Sie Ihre Mutter dort besucht?

Oh, ja, ich flog sofort hin. Erinnern Sie, wie diese alten Kassettenrekorder klangen, wenn das Band sich verhedderte, wie schrill und schnell die Stimmen klangen? Das waren die Erinnerungen, die aus ihr hervorbrachen, doch was sie sprach, war ohne Sinn und Verstand. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie weigerte sich, ihren Mantel auszuziehen, wenn sie ins Krankenbett stieg. Das war traumatisch für uns alle. Von einem Tag zum anderen war sie wieder die Alte.

Und das Leben ging weiter.

Genau. 'Fear is not an option' – Angst kommt nicht in Frage. Das ist das Vermächtnis meiner Mutter.

Eine sehr rigide Weltsicht. Wurden Sie damit erzogen?

Ja, als Last habe ich ihre Worte aber nie empfunden. Im Gegenteil, sie waren ein Geschenk. Meine Bürde war, dass ich mich nie getraut habe, mich daneben zu benehmen. Ich war immer das sehr, sehr brave und erwachsene Mädchen. Aber das ist doch eine gute Sache, oder? Ich habe mir immerzu Sorgen um meine Mutter gemacht, obwohl sie ein starker Mensch war. Aber sehr zerbrechlich.

Hasste sie die Deutschen?

Sie riet mir, niemals auf der düsteren Seite der Dinge zu verweilen. Der Güte der Menschen zu vertrauen. Als ich 1969 in Donaueschingen den Sohn eines deutsch-österreichischen Prinzen heiratete, hat nicht einmal das sie gestört. Sie mochte die Polen nicht. Das lag wohl an ihrer Zeit in Auschwitz.

Sind sie mal dorthin gereist?

Ab und zu nehme ich es mir vor, aber dann höre ich in mich hinein und frage mich: Wozu? Und manchmal überlege ich, die Strecke vom Lager Ravensbrück ins KZ Neustadt-Glewe zu wandern, den Todesmarsch, an dem meine Mutter im Winter 1945 teilnehmen musste. Aber ich werde es nicht tun.

Internat in der Schweiz, Boarding-School in England, Uni in Madrid; mit 22 Jahren heirateten Sie den Prinzen Egon von und zu Fürstenberg, mit 24 waren Sie zweifache Mutter. Das liest sich wie ein ABC der Nestflucht.

Ich mochte es nie, dieses "papa, maman et ses enfants", wie langweilig! Auf dem Internat macht man zwar auch das, was alle anderen machen, und doch hat man das Sagen über das eigene Leben. Es war der Anfang meines Abenteuers. Und die Kinder? ­– Ich wollte immer welche haben. Ich war Zeit meines Lebens eine Mutter.

Und immer auf Achse. Sie hatten viele Eskapaden und Liebhaber, im New Yorker Nachtleben trugen Sie den Namen "The Huntress" – Die Jägerin.

Die Siebziger boten jede Menge Spaß. Es war eine tolle Zeit, um jung zu sein. Ich wollte mir die gleichen Freiheiten herausnehmen wie die Männer.

Während eines Businesswochenendes in Los Angeles bandelten Sie nicht nur mit Warren Beatty an, sondern auch noch mit Ryan O’Neal, zwei der damals begehrtesten Männer Hollywoods.

Das war ein Sport für mich! Und ich war glücklich darüber! Es war sehr befriedigend, dass ich mich als Frau so benehmen konnte wie die Männer – und auch noch erfolgreich war.

Mitte der Siebziger stiegen Sie ins Kosmetikgeschäft ein – aus lauter Wut über Ryan O’Neal.

Er stand in meinem Badezimmer im Beverly Wilshire Hotel und machte sich über all mein Make-up lustig. 'Wozu brauchst du das ganze Zeug?', fragte er von oben herab. Es ist so gut wie unmöglich, mich wütend zu machen. Aber in dem Moment verwandelte sich mein Zorn in Unternehmergeist. Ich beschloss, mit einer Make-up-Serie ins Beauty-Business einzusteigen.

Anschließend hatten Sie auch noch eine Affäre mit Richard Gere.

Er war damals einfach unwiderstehlich. Die Geschichte ging über ein paar Monate. Als sie endete, habe ich ein bisschen gelitten.

Wie häufig waren Sie wirklich verliebt?

Viele Male. Man denkt dann immer, es ist der Geliebte. Aber eigentlich verliebt man sich in die Liebe. In die Situation, in die Fantasie.

Das Ende Ihrer ersten Ehe schildern Sie beiläufig. Wie sehr hat die Trennung von Egon von Fürstenberg Sie getroffen?

Ich war nicht wütend, auch nicht wirklich traurig. Wir waren sehr jung. Es passierte einfach, und dann war es auch schon vorbei. Wenn man erst einmal die Entscheidung gefällt hat, ist eine Trennung einfacher. Vorher ist es schmerzhaft. Aber ich erinnere mich sowieso nie an Schmerzen. Oder an Traurigkeit.

Ihr letzter Liebeskummer?

Ein Engländer. Mit dem ich übrigens 1994 nach Berlin reiste. Im Grunde war er der einzige Mann, der letztlich mich verließ.

Haben die Männer sich über die Jahrzehnte verändert?

Ich weiß es nicht. Fast jeder Mann, den ich kennengelernt habe, hatte Affären. Männer sind nicht treu. So ist es eben. Sie sind eine andere Art von Tier. Wissen Sie, das Schlimmste, was uns Frauen seit langer Zeit widerfahren ist, ist die Erfindung von Viagra. Denn sie hat das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern verrückt. Der Punkt ist doch: Frauen können ab einem bestimmten Alter keine Kinder mehr bekommen, und Männer, die sich ihrer selbst ohnehin weniger sicher sind als wir Frauen, verlieren ihre Lust. Doch Viagra hat ihnen Sicherheit gegeben. Bestimmte Dinge geschehen von Natur aus, und da sollten wir nicht reinpfuschen.

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