Frau Tolaas, Sie besitzen eine Sammlung von 7800 Gerüchen, die Sie in Dosen aufbewahren. Warum?
Weil wir verlernt haben, unsere Nase zu benutzen. Dabei ist sie unser erstes Sinnesorgan, das zum Einsatz kommt, wenn wir unsere Mutter riechen. Leider lehnt der westliche Intellektualismus das Riechen als gefühlsbetont und wenig zivilisiert ab. Heute wissen wir nicht einmal mehr, wie es nach Nichts riecht; wir wissen ja kaum, wie wir selbst riechen.
Wie sammelt man Düfte?
Als ich vor 16 Jahren anfing, sammelte ich auf Reisen ein, was mir vor die Nase kam. An den Grenzen wurde ich gefragt, was ich mit Plastiktüten voller Kamelmist anstellen wolle, und oft kam ich nur mit offiziellen Schreiben der Gesundheitsbehörden weiter. Neuerdings arbeite ich mit so genannten Headspace-Geräten. Die saugen Duftmoleküle automatisch ein.
Nicht alles will man selbst riechen müssen.
Ich habe es mir antrainiert, Gerüche weder gut noch schlecht zu finden. Bei Verwesungsgestank gelingt mir das nicht, ansonsten schnuppere ich noch, wenn andere sich bereits übergeben. Was beweist, dass unser Urteil über Gerüche keine genetische, sondern eine anerzogene Sache ist. Kinder lernen erst spät, zwischen ekelig und angenehm zu differenzieren. Sie beginnen damit, wenn die Eltern ihnen beibringen, dass gewisse Düfte sich nicht gehören. Aber auch Erwachsene lassen sich manchmal täuschen. Anlässlich einer Ausstellung in New York habe ich eine Kollektion mit Düften an einen Sammler verkauft. Das Parfüm gefiel ihm, bis er erfuhr, dass ich Hundekot-Moleküle simuliert hatte. Wenn man es uns nicht sagt, wissen wir oft nicht, was wir riechen.
Wonach riechen wir?
In Montpellier habe ich mal 432 Kleidungsstücke von verschiedenen Leuten untersucht. Die Duftmoleküle, die ich in einer Jeansjacke fand, teilen sich zum Beispiel so auf: 17 Prozent Schweiß, 15 Prozent Katze, 26 Prozent Marlboro Light, 5 Prozent Kikkoman-Sojasauce, dann noch Kaffee, Kaugummi, Hund, Reinigung, Kerosin - so eine Headspace-Analyse liefert exakte Ergebnisse.
Das beste Riechvermögen haben junge Frauen um die zwanzig. Warum sind aber Parfümeure, die "Nasen", fast immer Männer?
Ich nehme an, dass die französische Parfümbranche, die von homosexuellen Männern dominiert wird, eine Rolle spielt. Ich kam durch eine Frau zum Parfüm. Die Designerin Rei Kawakubo fragte mich, ob ich einen Duft für ihre Marke Comme des Garçons entwickeln wolle.
Haben Sie ein Lieblingsparfüm?
Wenn überhaupt, dann benutze ich tatsächlich Commes des Garçons. Aber noch viel lieber rieche ich meine Tochter.
Sie haben viele eigene Düfte entwickelt. Einer von ihnen heißt "Northsoutheastwest".
Anderthalb Jahre wanderte ich durch vier Bezirke Berlins, fragte die Leute nach ihren olfaktorischen Assoziationen und sammelte dann die Gerüche ein. Also Polyester, Müllabfuhr und Kebab-Buden in Neukölln, Sonnenstudios und McDonald's in Reinickendorf, Schuhgeschäfte in Mitte, Geld und Seife in Charlottenburg. Am Ende vereinte ich die vier Himmelsrichtungen Berlins in Flakons und gab das Ergebnis an 15 Kosmetikagenturen mit der Bitte um Beschreibung. "Köstlich", "belebend", "sprudelnd frisch" - solche Attribute entdeckten die PR-Profis in der Berliner Luft.
Sie kritisieren die Parfümindustrie - trotzdem ist die International Flavour and Fragrances Inc., der Weltmarktführer auf dem Duft- und Aromenmarkt, Ihr Sponsor.
Die Industrie ahnt, dass wir in Zukunft nicht mehr jedem Geruch folgen werden. Jährlich kommen 200 neue Duftnoten auf den Markt, es gibt kaum noch ein Produkt ohne Parfümierung oder Geruchsverbesserer - wer, im Ernst, will all den Gestank noch riechen? Für IFF arbeite ich als eine Art Agent Provocateur. Sie haben mir ein Forschungslabor eingerichtet, und ich arbeite für sie an der Zukunft.
Wie wird die aussehen?
Duftmoleküle werden bei der Identifikation eingesetzt werden: Körpergeruch statt Fingerabdruck. Oder bei der Suche nach Mitarbeitern: Wie riechst du, und was sagt mir das über deine Krankheiten und Fähigkeiten? Der wichtigste Einsatzbereich wird die Kommunikation sein.
Inwiefern?
Religion, Hautfarbe, Überzeugung, das alles ist überwindbar, aber wenn Sie jemanden nicht riechen können, dann ist das eine ernste Angelegenheit. In konfliktreichen Zeiten kann es von Nutzen sein, solche Toleranzbarrieren zu überwinden. Und im Straßenverkehr wäre es zum Beispiel nützlich, mal die Nase zu benutzen statt immer nur die Augen. Wo Gefahr droht, warnen uns Gerüche schneller als Warnschilder. Gerüche sind Kommunikation, deshalb werden wir uns eines Tages auch nicht mehr mit fremden Düften übertönen, sondern unseren eigenen Körpergeruch unterstreichen.
Zu welchem Zweck?
Ein Beispiel: Sie wollen selbstbewusst zu einem Bewerbungsgespräch erscheinen. Zu Hause haben Sie mehrere Flaschen körpereigenen Dufts, aus denen Sie Ihr Erfolgsparfüm auswählen. Auch wenn wir jemanden verführen wollen, haben wir dann einen speziellen Duft dafür.
Was ist mit den Sexuallockstoffen? Werden wir Flakons voller Pheromone sammeln?
Wenn es eines Tages gelingen sollte, sie nachzubauen, machte sich die Kosmetikindustrie damit selbst überflüssig. Ihre Hauptaufgabe - sexuelle Attraktivität und Aktivität zu steigern - hätte sich mit dem Nachbau von Pheromonen erledigt.
Mit welchen Tricks können wir uns bis dahin behelfen?
Neulich habe ich mich für eine Party nicht nur glamourös angezogen, sondern auch mein "Fear"-Parfüm aufgelegt, das ich aus Angstschweiß nachgebaut hatte. Die Reaktion auf den Kontrast war beeindruckend: Die Frauen hielten Abstand zu mir, und die Männer wollten nicht mehr von mir weichen.
Interview: Dirk van Versendaal