"Diese drei Dinge brauchen Designer heute, um sich durchzusetzen." Der das sagt, muss es wissen: Terry Jones leitet seit 1980 das englische Kultmagazin "i-D" und hat gerade die 150 weltbesten Modeschöpfer der Gegenwart in einer Stilbibel vorgestellt.
Mr Jones, die Modeläden hängen voll mit Armeehosen und Militärsachen. Hat das mit der politischen Situation zu tun?
Die Modekritiker lieben es, an solchen Sachen herumzuinterpretieren. Ich kann nur sagen, dass das Modebusiness Dinge aufnimmt, die in der Luft liegen. Damals, als der Vietnamkrieg begann, gab es viele Fotografen, die ihre Mädchen in Militärkleidung abbildeten. Sie wollten klar eine Antikriegshaltung zeigen, indem sie Militärsachen in einen Modekontext setzten. Ein Stil, der vorher einer aggressiven Gruppe zugeordnet war, wird von einer nicht aggressiven Gruppe übernommen und so von seinem ursprünglichen Sinn befreit. Da gibt es in der Mode viele Beispiele.
Spricht die Mode nie direkt?
Doch, durchaus. Sie können mit Mode immer noch gute und schnelle Statements abliefern. Nur möchte gerade niemand direkte Kommentare zur Politik abgeben, weil das ja auch sehr schnell simpel wirken kann. Sie können es mit ironisch gemeinter Mode versuchen, aber die hat es gerade schwer, weil sie schnell falsch verstanden werden kann. Das war es, was mich 1980 bei der Gründung von "i-D" interessiert hat: Was sagen die jungen Leute auf der Straße mit ihren Kleidern? Ich wollte wissen, was hinter der Fassade war. Mein Team und ich, wir wollten das Individuelle sichtbar machen. Damals war das ein Hobby von mir, heute ist "i-D" ein erwachsenes Modemagazin, das sich auch den berühmten Modedesignern widmet.
Daraus haben Sie jetzt ein Buch gemacht - "Fashion Now". Der britische Designer Antonio Berardi behauptet darin, er liebe seine Arbeit, weil er "Arsch und Titten mag", Miuccia Prada sagt, dass sie nicht an Leute glaube, denen Kleider unwichtig seien. Wie wichtig ist die Mode für den Menschen?
Sehr wichtig! Die Menschen gestalten ihr Leben mit Kleidern. Sie können sich mit Kleidern zur Schau stellen. Was sie jeden Tag tragen, sagt ihnen, wo sie in ihrem Leben stehen. Kleider beantworten, zu welcher Gruppe sie gehören, ob sie dazugehören und wo sie gesellschaftlich hinwollen. Das kann man an den Leuten auf der Straße ablesen und an den Sachen, die Designer herstellen.
Und die werden heutzutage dafür gefeiert wie Filmstars. Woran liegt das?
Das sind die Medien. Sie sind von jedem besessen, der nur halbwegs bekannt ist. Ich kenne keinen Designer, der sagt "Oh, wie könnte ich jetzt in die Klatschspalten kommen?" Der Rummel um einen Designer kommt zuerst gar nicht über seine Person zustande: Der Massenmarkt der Mode beobachtet, welcher Designer gut läuft, wer mit Stars in Verbindung gebracht wird. Erfolgreiche Marken werden wie wild kopiert. Und so macht vielleicht die Kopie den Designer erst richtig bekannt.
Die Verbindung zwischen Showbusiness und Mode scheint aber enger denn je. Die Modekritikerin Suzy Menkes mutmaßte während der Haute-Couture-Schauen, dass Hedi Slimane, Chefdesigner von Dior Homme, das Haus Givenchy übernehmen solle. Und das nur, weil die Schauspielerin Sarah Jessica Parker auf der anderen Seite des Atlantiks bei den Golden Globe Awards einen Slimane-Smoking trug. Erklären Sie uns das bitte?
So etwas passiert nicht nur aus Marketing- gründen. Sicher hat der Designer auch die Aufgabe, ein kommerzielles Problem zu lösen. Aber er stellt vor allem seine Ideen zur Verfügung. Im Fall von Slimane sind das seine Anzüge. Sie sind nicht für Frauen gedacht, trotzdem trägt sie Madonna oder Frau Parker. Die Frauen erkennen seine Idee: Er möchte die Geschlechtergrenzen in der Mode verwischen, er versucht den Leute zu sagen, "es gibt nicht nur die Möglichkeit, Barbie oder Action Man zu sein!"
Fällt dann Bernard Arnault - der Chef der LVMH-Gruppe, zu der auch Givenchy und Dior gehören - auf Grund von ein paar Anzugträgerinnen unternehmerische Entscheidungen?
Ich kenne Arnault nicht persönlich. Ich kenne nur Designer, die für ihn arbeiten. Und die unterstützt er, wo es nur geht. Er sorgt dafür, dass sie kreieren können, was sie kreieren wollen. Offensichtlich klappt das gut, denn sie sind erfolgreich. Es ist übrigens sehr schwer, über lange Zeit die Aufmerksamkeit der Leute auf ein Label zu richten. Sehr gut kann das Karl Lagerfeld. Über Jahre schon rückt er Chanel und Fendi ins richtige Licht. Auch weil er mit bestimmten Leuten zusammenarbeitet: mit DJs und Musikern. Das hat damit zu tun, dass die klassischen Einordnungen von Berufen verschwinden. Wer heute kreativ arbeitet, der kooperiert automatisch mit Bereichen wie Musik oder Film. Es ist fortschrittlich, so zu arbeiten, es bringt die Dinge voran. Auch wenn man sehen muss, dass die wirkliche Avantgarde nie in der Mode stattfand.
Sondern?
Nur in der Kunst. Sicher können Sie mit Mode schockieren, das ist nicht so schwer. An der neuen Gucci-Anzeige, auf der die Frau dieses Gucci-G ins Schamhaar rasiert hat, können Sie das sehen. Die ist darauf angelegt. Ich finde es erstaunlich, dass die Leute von Anzeigen ernsthaft geschockt sind. Ich finde Krieg und Aggression gegen andere, die wir täglich im Fernsehen sehen, viel schlimmer. Die Mode hat doch die Aufgabe, zu inspirieren und zu unterhalten. Wir machen das mit "i-D" auch. Allerdings sehe ich uns da wie ein gutes Restaurant. Ich möchte nicht das McDonald's der Inspiration sein.
Dennoch hat man den Eindruck, Marken und Designer müssen sich zunehmend Richtung McDonald's, also Richtung Massenmarkt bewegen. Was muss ein Designer heute beachten, um nicht unterzugehen?
Es gibt drei Dinge, die Sie brauchen: Integrität, Glück und Instinkt. Der muss stark sein, sonst überleben Sie nicht. Der Instinkt kann auch mal falsch sein. Das müssen Sie dann aushalten. Am besten richtet man sich nach den Prinzipien des Supermarktes: Wenn Sie regelmäßig ein gutes Produkt abliefern, haben Sie die Chance, dass die Leute zu Ihnen zurückkommen. Wenn Sie den Leuten einen Wert für ihr Geld geben, kommen sie zurück. Wenn Sie ihnen keinen Wert für ihr Geld geben, kommen sie nicht zurück.
Was sind das für Werte?
Das kann zum Beispiel der Wohlfühlwert sein, das Motiv etwas zu kaufen, um sich wohlzufühlen. So als ob man zum Friseur geht. Alles unter dem Motto "Sei nett zu dir selbst! Gönne dir was!" Ein anderes Motiv ist, sich den Glamour aus der Vergangenheit zu kaufen, die man selbst nicht erlebt hat. Auch aus einem Sicherheitsgefühl kaufen die Leute. Vor allem Sachen aus der Zeit, als sie sich sicher und gut gefühlt haben. Heute sind das vor allem die 70er und 80er Jahre. Doch bei den kommenden Kollektionen habe ich einiges aus den 50er Jahren gesehen. Donna Karan zeigte Models in diesen frischen, schwingenden Kleidern, die sagen mir "Hey, lass uns an die guten Zeiten denken!"
Apropos Mädchen. Werden Models eines Tages verschwinden?
Nein. Es gibt immer eine Besessenheit für den Körper, die Suche nach Körperikonen endet nie. Schon als Dürer Menschen malte, dachten die anderen, "oh, wie kann ich nur so dünn werden?" Als Rubens an die Reihe kam, sagten alle, "oh, wie kann ich nur so dick werden?" Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper ist ein ewiges menschliches Thema.
Interview: Anne Philippi