Nur ein einziges Mal tauchte Grau in den letzten Jahren auf einem roten Teppich auf: Keira Knightley trug auf dem Filmfestival in Toronto 2005 ein Galaxy Dress von Designer Roland Mouret. Den violetten Stoff zierten silbergraue Bänder. Nun ist Keira Knightley jung, rehäugig, gut durchblutet und wäre selbst zementfarben noch eine Augenweide. Jedem steht es nicht, dieses neue Muss der Saison, dieser tristete aller Töne.
Auch in der Tierwelt tragen ihn schließlich nicht gerade die schillerndsten Wesen: Fledermäuse, Filzläuse, Ratten, Tauben, Otter und Blindschleichen. Selbst Elefanten und Nashörner haben unter den Savannentieren nicht wirklich Glamour-Faktor. Warum sollte es in der Mode anders sein?
"Let's promote grey!"
Grau war schon immer ein schwieriger Ton. Sich in Sack- und Aschefarben zu hüllen, dazu bedarf es schon Überzeugung. Diana Vreeland, die legendäre Chefin der amerikanischen Vogue, verordnete 1969 ihrem Team: "Let's promote grey!" Ein kühnes Unterfangen. Schließlich assoziiert man Grau nicht gerade mit Individualität, Luxus oder überbordendem Leben, sondern eher mit Alter, Armut, Langeweile und fadem Einerlei. Nebel. Schmutz. Schmuddelwetter. Socken, die in der Maschine vergessen worden sind, werden grau. Paare, die nebeneinander vegetieren auch. Dem apathischen Rentnerehepaar, das durch den Einsatz frischer Farben in der Wohnung zu neuer Lebensfreude finden soll, empfiehlt Stoff- und Möbelverkäufer Paul Winkelmann (Loriot) im Film "Ödipussi" auf Wunsch ein "ganz frisches Steingrau".
Ist Grau nun fabelhaft oder eintönig? Britische Frauen haben ihr Urteil gefällt, fürchten, dass es sie bleich und alt macht. Deshalb liegt Grau in Großbritannien auch wie Blei in den Läden, schreibt Londons "Daily Mail" und zitiert Psychologin Ingrid Collins vom Londoner Medical Centre: "Graue Kleidung kann depressiv machen. Nach der Farbtherapie absorbiert Grau Energie."
Grau symbolisiert Verzicht und Gehorsam, aber auch eiserne Macht
Kein Wunder also, dass Briten sich bei Grau eher zurückhalten, wenn man bedenkt, wer in erster Linie dafür steht: Schüler in Uniformen, Franziskanermönche, Soldaten, Gefangene, aber auch Politiker. Margaret Thatcher etwa traf im staubfarbenen Schulterpolster-Mantel 1986 Ronald Reagan auf Camp David. Paradoxerweise verkörpert Grau nämlich beides: Verzicht und Gehorsam, aber auch eiserne Macht. Die gefürchtete New Yorker Modechefin Miranda Priestley (alias Vogue-Chefin Anna Wintour), die Meryl Streep im Film "Der Teufel trägt Prada" spielt, etwa ist eine Eminenz in Businessgrau, mit Silbertolle, exakt geschnitten, elegant frisiert.
Grau strahlt Distanz aus, wirkt streng und undurchdringlich, wie ein Teflon-Schutz, ein bedrohlicher Ton. Wenn Erzähler Alfred Andersch die Augen und Blicke zweifelhafter Charaktere beschreibt, heißen seine Signalwörter: grau, eisgrau, eisengrau. Auf diesen drei abschätzenden Vokabeln liegt wohl die Skepsis seines gesamten Werks.
Die Mode beruhigt sich
Dafür, dass Grau so wenig schmeichelt, verkauft es sich Deutschland blendend: "Ohne Grau, Schwarz und Dunkelblau geht in diesem Winter gar nichts", sagt Redakteurin Silke Emig vom Fachblatt "Textilwirtschaft". "Sie bilden die Basis für eine deutliche Beruhigung der Mode nach der starken Dekorationswelle der vergangenen Jahre." Besonders Schuhe, Denim, Sweater und Shirts in Grau, aber auch Strick, Kaschmirmäntel zum Beispiel, seien gefragt, hat Jana Kern bei Order-Umfragen für die "Textilwirtschaft" festgestellt: "Gerade im jüngeren Segment wird Grau eher rockig interpretiert und mit Chucks und Jeans gut angenommen. Aber auch ältere, vor allem modische Kundinnen greifen zu Grau. Und bei Stiefeln ist es ein ganz neues Thema."
Die Lust am Verblassen
Grau ist ein leiser Ton, von dezenter Eleganz, in dem sich manche wohler fühlen als in hartem Schwarz. Kein anderer Ton zeigt derzeit besser die neue Sehnsucht am Nicht-Gemeintsein in einer immer komplexer werdenden Welt, die neue Lust am Verblassen und Zurücktreten. Selbst Stars wie Madonna, Paris Hilton, Justin Timberlake und die Beckhams huschen plötzlich taubengrau von Event zu Event.
Mit Grau lässt sich beliebig spielen: Anke Engelke erschien in silberner Seidenrobe beim Deutschen Fernsehpreis genau wie Soapstar Nina Bott ("Gute Zeiten, schlechte Zeiten"). Madonna war mit mausgrauer, klassischer britischer Schiebermütze in Malawi, Victoria Beckham war im schieferfarbenen Ballon-Kleid mit Rokoko-Rüschen in Rom auf der Taufe von Elle McPhersons Sohn und im kieselgrauen Agenten-Trenchcoat shoppen.
Die Farbe der Achtziger
Das gelingt natürlich nur, weil Designer in dieser Saison ganz neue Zugänge zur "Grauzone" gefunden haben: Anna Molinari entdeckt die silberne Hose im Disco-Look des Studio 54, Rena Lange das Sekretärinnenkleid mit weißem Kragen und schwarzen langen Handschuhen. Ann Demeulemeester entwirft einen silber-schwarzen futuristischen Anzug. Sonja Rykiel dekoriert ein Empirekleid mit roter Schleife. Grau verliert nämlich mit Rot, Silber, Creme, Weiß, Violett, Dunkelblau oder Schwarz alles Gleichförmige, Maschinelle. Je nach Stoff erscheint es mal kuschlig wie ein Filzpantoffel (als hellgraues Wickelkleid aus Kaschmir), mal lässig (mit weiten Hosen) wie bei Marni oder Armani.
Eigentlich aber ist Grau eine Farbe der Achtziger. Die Berliner Diskothek Linientreu feiert regelmäßig ihre "Fete to grey"-Parties mit Elektroklängen der Achtziger. Und die italienische Marke Max Mara bringt in ihrer Winterkollektion die schlimmsten Sünden dieses Jahrzehnts zurück: Lagen-Look, Pullis mit Lurex-Blockstreifen und Leggins, Grau in Grau natürlich. Calvin Klein zeigt Workout-Mode im Flashdance-Stil, Hermés dagegen hasengrauen Reiter-Look, voluminöse Rüschen-Capes.
Gerade für die neuen skulpturalen Formen von Hermés, Balenciaga, Chloé oder Belstaff gilt: Am besten wirken sie in schlichtem Hell- oder Dunkelgrau, in Orange wären sie "overdone". Grau beruhigt das Auge, schreit nicht nach Aufmerksamkeit. Man stelle sich eine Welt in Pink vor: Asphalt, U-Bahn, Verlagsgebäude, Elektrogeräte, Räder, Roller, Handys, Autos. Das wäre das wahre Grauen.