Wolfgang Joop im Interview "Die Modebranche bröckelt unendlich"

Wolfgang Joop kann der Finanzkrise auch Positives abgewinnen. Im Interview mit stern.de verrät der Modedesigner, worauf es in solchen Zeiten ankommt, warum Frauen flache Schuhe tragen sollten und wieso er seine neue Kollektion selbst bezahlt hat.

In New York, Mailand und Paris wurde bei den Modewochen an allen Ecken und Enden gespart. Herr Joop, wie schlimm steht es um die Modebranche?

Es bröckelt unendlich. Es gibt Brands aus New York, die nicht einmal die Musik bezahlen konnten. Mädchen haben mir erzählt, dass sie zu Hunderten gecastet und am Ende nur fünf genommen wurden. Vorher waren es eher 30. Viele Designer, die neben ihrem Label für große Häuser designen, müssen ihre eigene Linie aufgeben. Sie machen dann nur noch ihren Job. Wer nicht die finanziellen Möglichkeiten hat, nachzubessern, nachzuschieben, der ist arm dran. Es ist hart, aber in der Kunst ist es ähnlich. Dieses schnelle Shoppen von Damien Hirst und dann noch einen Warhol zum Nachtisch, das ist vorbei. Man überlegt heute hundertfach: Brauche ich das? Will ich damit leben? Für mich ist vor allem das Weggeben, das Loslassen die beste Medizin. Mir zu überlegen, was brauche ich wirklich. Ich finde, ich habe sehr viel im Kopf, das ist mein Besitz, das kann ich überallhin mitnehmen.

Sind Sie nicht erschrocken über die verheerende Bilanz der Schauen?

Nein, mich hat das überhaupt nicht überrascht. Sehen Sie, schon bei meiner letzten Kollektion habe ich ein anderes Frauenbild inszeniert, als man sonst sah. Ich hatte keine Lust auf diese super "maintenanced woman" (pflegebedürftig, Anm. Red) à la Victoria Beckham, so eine Shopperin auf hohen Hacken. Ich habe flache Schuhe genommen. Die Frauen sahen damit aus wie Arbeiterinnen der Nachkriegsjahre in Japan. So, als ob sie eben nicht mehr die Limousine nehmen, sondern auch mal zu Fuß gehen. Ich habe irgendwie geahnt, dass etwas zu Ende geht und bin darüber nicht mal traurig. Denn Zeiten mit neuen Maßstäben setzen auch neue Ideen frei.

Also können Sie der Krise auch etwas Positives abgewinnen?

Man sieht es an dieser Kollektion. Es ist die stärkste, die ich je gemacht habe. Außerdem bezahle ich sie selbst. Ich bin mein eigener Investor, mein eigener Buchhalter, und ich bin mein eigener Künstler. Ohne Mut kommt man aus der Krise nicht heraus. Viele Kollektionen sind heute unheimlich kommerziell. Wer braucht denn das? Wir haben doch alle schon einen Rock im Schrank. Oder ein Sakko. Und wie sich ein Kaschmir-Pullover anfühlt, haben wir nun auch schon 20 Jahre lang gelernt. Mir fehlen oft die Einzelfiguren, die etwas wagen. Es geht jetzt wieder um eine Aussage, eine Vision. In meiner Wunderkind-Kollektion habe ich die Unberechenbarkeit der Natur gegen den Wunsch des Menschen nach Konstruktion gesetzt. Im Jugendstil hatte man noch Angst vor der Industrialisierung, aber im Art Déco lebte man bereits in einer selbst geschaffenen, modernen Welt. Ich habe versucht diese Angstfreiheit umzusetzen, die im Paris der 20er Jahre herrschte.

Fühlen Sie sich von der Krise betroffen?

Ehrlich gesagt nein. Meine Kreativität ist größer denn je. In Krisenzeiten waren Menschen immer großartig. Art Déco, Konstruktivismus, Suprematismus - großartiger geht es doch gar nicht. Das Motto meiner Kollektion ist Dekadenz und Opulenz. Power und Poverty. Aus dem Gefühl einer neuen Armut kommt auch das Gefühl einer neuen Kraft. Ich finde es gab doch nichts Schlimmeres als dieses Verwöhntsein, das ich auch in meinem Roman "Wolfspelz" beschrieben habe. Die Mitte der 90er, die so müde waren wie der hangover nach einer Party. Die Mode dieser Zeit war so kopflastig.

Sie stellen Ihre Kollektion erneut in Paris vor. Warum nicht Berlin?

Ich war bei der Fashion Week bei zwei Veranstaltungen. Es war toll organisiert, Berlin hat die Atmosphäre und die Leute. Aber was ich auf dem Laufsteg gesehen habe, das war nicht visionär, das war irgendwas. Die Berliner Createure fühlen sich exotisch, weil sie in Berlin sind, aber das reicht nicht.

Wie empfinden sie dort die wirtschaftliche Situation im Vergleich zu Paris?

Ich finde, man merkt die Krise in Deutschland noch gar nicht richtig. Ich wollte eigentlich nach der Show in den Urlaub fahren, aber alle Reisen sind ausgebucht. Die Restaurants sind voll, es wird überall gebaut. Ich weiß nicht, ob man nur ignoriert oder einfach weiter macht. Spüren tut man die Krise jedenfalls noch nicht. Nur bei sehr reichen Leuten spüre ich sie. Die fühlen sich auf einmal völlig verarmt, weil sie vom Milliardär zum Multi-Millionär geschrumpft sind.

Interview: Estelle Marandon

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