Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich zum allerersten Mal "RuPaul's Drag Race" gesehen habe. Es war nachts und ich lag leicht angetrunken mit meinem Laptop im Bett. Beinahe aus Versehen klickte ich auf die Show, die mir da bei einem einschlägigen Streaming-Dienst angeboten wurde. Etwa zwei Minuten lang war ich extrem irritiert – und dann so begeistert wie selten zuvor. Denn die Sendung ist laut, bunt, unverfroren und eine riesige Feier aller, die sich in der Gesellschaft schon mal "anders" oder "zu viel" gefühlt haben.
Das Konzept: Etwa 15 Drag Queens kämpfen in wöchentlichen Challenges um den Titel "America's Next Drag Superstar". Moderiert wird das ganze von Drag-Legende RuPaul Charles, die jede Sendung mit dem Satz "Wenn du dich nicht selbst lieben kann, wie zur Hölle willst du dann jemand anderes lieben?" beendet. In einem Interview 2017 bezeichnete er Drag als "sehr, sehr politisch": "Drag sagt: Ich bin ein Formwandler und tue, was auch immer ich will, wann immer ich will."
Eigentlich also sollte ich vor Freude im Quadrat springen, weil ProSieben gerade verkündet hat, dass es nach Jahren der brodelnden Gerüchteküche auch in Deutschland bald eine ähnliche Sendung geben wird. Eigentlich.
Denn während ich es toll finde, dass das deutsche Fernsehen sich endlich mal was traut und queeren Themen eine Bühne bieten will, gibt es ein riesiges Problem: Model-Mama Heidi Klum soll die ganze Nummer moderieren.
Nichts gegen Heidi Klum – aber in dieser Sendung hat sie nichts zu suchen
Zunächst einmal: Nichts gegen Heidi Klum. Wirklich nicht. Die Frau ist super, wunderschön, eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau, setzt sich seit Jahren für queere Themen ein, nimmt ihre Kinder mit auf Pride-Paraden – finde ich alles wirklich spitze. Aber: Für diese Sendung ist sie aus unfassbar vielen Gründen die völlig falsche Wahl und in gewisser Weise eine echte Beleidigung für Fans des Original-Formats. Heidi Klum ist keine Drag Queen. Heidi Klum ist kein Teil der LGBTQ-Community. Heidi Klum ist eine privilegierte, heterosexuelle, weiße Cisgender-Frau. Bin ich auch. Weshalb es mir niemals einfallen würde, die Rolle einer deutschen RuPaul einnehmen zu wollen.

Gerüchten zufolge sollen in der Vergangenheit bereits Olivia Jones und Conchita Wurst – die jetzt neben Heidi und Bill Kaulitz in der Jury sitzen wird – angefragt worden sein und abgelehnt haben. Aber anstatt sich ein bisschen in der durchaus großen queeren Szene in Deutschland umzuschauen und vielleicht einer weitestgehend unbekannten Dragqueen die Möglichkeit zu geben, diese Sendung mit viel Herz zu dem Kult zu machen, der Drag Race schon seit Jahren ist, entschied man sich, für die vermeintlich sichere Variante: Heidi.
Das Privatfernsehen hat ja sowieso null Interesse daran, queere Menschen in ihrer ganzen Vielfalt adäquat darzustellen
Statt also eine Sendung von der LGBTQ-Community für die LGBTQ-Community – und den Rest der Welt – zu machen, können die Dragqueens nun genau so dargestellt werden, wie der geneigte Primetime-ProSieben-Gucker seine queeren Mitmenschen gerne sieht: als Attraktion. "Siegessäule"-Kolumnistin Jurassica Parka formulierte es vor Kurzem in einem Artikel sehr treffend: "Das Privatfernsehen hat ja sowieso null Interesse daran, queere Menschen in ihrer ganzen Vielfalt adäquat darzustellen. Es existiert nur der schrille, schwule Paradiesvogel."
In einer Pressemitteilung des Senders sagte Klum, sie "liebe und bewundere die Drag-Kunst seit Jahren. Deswegen freue ich mich, dieser Kunst und ihren eindrucksvollen Protagonisten in einer neuen ProSieben-Show zum ersten Mal im deutschen Fernsehen eine Bühne zu geben." Das ist lobenswert und gut gemeint und doch schießt es meilenweit am Ziel vorbei. Drag Race lebt von der Community, sowohl der, die zuschaut, als auch der, die im Fernsehen zu sehen ist. Und auch wenn Bill Kaulitz und Conchita Wurst in der Jury eine gute Wahl waren, wird es "Queen of Drags" sehr, sehr schwer haben, zu beweisen, dass sie mehr als nur eine verweichlichte Geldmachmaschine ist.
ProSieben will sich das Format selbst ausgedacht haben
Übrigens: Offiziell behauptet man bei ProSieben, sich das Format selbst ausgedacht zu haben. Noch vor wenigen Wochen hatte man uns auf Anfrage bei ProSieben wortwörtlich gesagt: "ProSieben arbeitet nicht an einer deutschen Version von 'RuPaul's Drag Race'." Und auch im "DWDL"-Interview sagte ProSieben-Chef Daniel Rosemann: "In der vorletzten Staffel #GNTM haben unsere Zuschauer die Drag-Folge sehr gefeiert. Deswegen haben wir jetzt mit der ProSiebenSat.1 Produktionsfirma Red Seven eine eigene Show entwickelt." Mhm. Ist klar. Dass die Drag Queens, die in den "Germany's Next Topmodel"-Folgen auftauchten allesamt ehemalige RuPaul-Kandidatinnen waren, ist dann wohl auch purer Zufall.

Quellen: "Siegessäule" / "DWDL" / "ProSieben"-Pressemitteilung / "Huffington Post"