Mein neues Mantra hilft nicht. "Es gibt keine Geister. Es gibt keine Geister." Ich stehe auf einem Schlachtfeld von 1227 bei Bornhöved, einer kleinen Gemeinde in Schleswig-Holstein. Es ist dunkel und ich habe Angst. Schon den ganzen Tag war ich in einem Zwiespalt: Will ich, dass etwas passiert, damit die Story spannender wird – oder will ich heute Nacht lieber ruhig schlafen können? Mir klappern die Zähne (weil es kalt ist, aber ein bisschen auch aus Angst). Klischeehafter könnte es nicht sein. Aber ich wusste, worauf ich mich einlasse, schließlich bin ich mit Geisterjägern unterwegs.
Was mache ich eigentlich hier? Ich bin der weltgrößte Angsthase. Ich habe Angst vor Dunkelheit, tiefem Wasser, Höhe, vorzeitlicher Hautalterung, Smalltalk, Krümeln (aus gesundheitlichen Gründen), dass ich erwischt werde, wenn ich nachts bei Rot über die Ampel gehe, dass ich meinen Zug verpasse (deswegen bin ich immer eine halbe Stunde zu früh am Bahnhof), dass ein Handyladekabel meine Wohnung in Brand steckt – und ich habe riesige Angst vor paranormalen Phänomenen. Na toll.
Unterwegs mit echten Geisterjägern
Die Geisterjäger selbst sagen nur der Verständlichkeit halber Geisterjäger, eigentlich nennen sie sich lieber paranormale Ermittler. Denn einen hundertprozentigen Beweis für die Existenz von Geistern haben auch sie noch nicht gefunden. "Da müsste schon einer aus dem Boden steigen und sagen: 'Hallo, ich bin ein Geist.’“, scherzt Frank. 2004 gründete er die "Paranormal Research Group Hamburg“, kurz PRG-HH. Sie sagen mir, dass sie zu Hilfe gerufen werden, wenn Menschen glauben, dass es bei ihnen spukt. Das Team besteht aus vier Frauen und drei Männern. Heute sind wir allerdings nur mit Frank, Daniela (genannt Gössy), Manu und Andy unterwegs.
Als Frank mich nach meiner Anfrage an die Gruppe angerufen hatte, um mich zu fragen, ob ich spontan am Wochenende zu einer paranormalen Untersuchung mitkommen wollen würde, wusste ich nicht, was mich erwartet. Geisterjäger, das klang erst einmal ziemlich abstrakt für mich – um ehrlich zu sein, sogar ein bisschen absurd. Wollte ich wirklich mit einer Gruppe Fremder zu einem alten Schlachtfeld fahren? Es hätte ja auch eine Gruppe fanatischer Spinner sein können. Aber die PRG-HH besteht aus vollkommen normalen Menschen, die überraschend skeptisch sind – vor allem vermeintlichem Spuk gegenüber.
Ich komme mir vor wie in einem Film
"Land- und forstwirtschaftlicher Verkehr frei", prangt auf dem Schild, als wir am späten Nachmittag mit dem Auto auf einen Feldweg abbiegen. Aus Bäumen und Sträuchern formt sich ein Tunnel; Äste schlagen gegen die Windschutzscheibe von Franks weißem Dacia. Ich komme mir vor wie in einem Film, auf dem Weg ins Verderben. Doch am Ende des Tunnels wartet nur ein unschuldiger Grillplatz auf uns. "Hoffentlich ist da nicht gerade eine Grillparty", sagt Frank. "Das wäre der Albtraum."
Wir fahren durch eine offene Schranke auf einen kleinen, mit Gras bewachsenen Platz, umringt von Bäumen. Am Rand erinnert großer Stein mit Gravur an die Schlacht vom 22. Juli 1227 zwischen dem Königreich Dänemark und norddeutschen Landesherren und Städten. Ohne ihn würden die wenigsten auf die Idee kommen, dass hier einmal ein Schlachtfeld war. Wir haben Glück, es ist niemand zu sehen. Ein wenig abseits liegen Baumstämme, in der Mitte eine Feuerstelle. Die letzte Grillparty scheint nicht lange her gewesen zu sein. Frank holt Zeckenspray aus dem Türfach seines Autos. "Hier, sprüht euch lieber auch ein!" Er reicht mir die Flasche. Angst vor Zecken haben also sogar Geisterjäger.
Auf der Motorhaube ausgebreitet liegt ein lila Ordner aus Pappe. "Bornhöved 1227 PU 2017/2018" steht darauf. PU steht für paranormale Untersuchung. Jede wird fein säuberlich protokolliert und abgeheftet. Ordnung muss auch bei der Geisterjagd sein. Bei ihrem letzten Besuch hatten sie mit einem der vielen Geräte zur Analyse von paranormalen Phänomenen eine vermeintliche Unterhaltung mit dem Geist eines Mannes. Ein Video davon gibt es auf dem Youtube-Kanal der Gruppe. Vor der Reise hatte ich es mir angesehen. Hätte ich es mal lieber gelassen. Man sieht zwar nur das Gerät, dass jemand in der Hand hält und hört die Stimmen von zwei der weiblichen Mitglieder, doch das Gerät piepst die ganze Zeit und bei jedem Ton bekomme ich mehr Angst, dass es vielleicht doch Geister geben könnte.
Gössy zeigt mir die Fragen, die sie beim letzten Mal gestellt hatten und die Antworten des vermeintlichen Geistes. Er habe eine Frau und drei Kinder. Bei einem Feuer seien alle ums Leben gekommen. Heute will die Gruppe die Unterhaltung mit ihm fortgesetzt werden – und ich habe schon Panik bei einem Video bekommen.
"Aber das beste Messgerät ist man selbst"
Frank holt lange, schwarze Gewehrkoffer aus dem Kofferraum und stellt sie auf den Baumstämmen ab. Jetzt wird es ernst, denke ich. Es ist das Equipment für die Geisterjagd. "Frank ist unser Geräte-Genie", sagt Gössy, als uns Frank es uns stolz vorführt. Einige hat er selbst gebaut, andere kann man einfach im Internet kaufen. Sie heißen Gauss-Master, K2, EMF-Detektor ... Dinge, von denen ich nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Frank erklärt mir, wie sie funktionieren, es geht um elektromagnetische Felder und irdische Strahlung. Ich verstehe nur Bahnhof – und bin trotzdem begeistert. Frank sagt schließlich, das würde funktionieren. Sogar das selbstgebaute Equipment sieht aus wie gekauft. Dazwischen liegen aber auch Digitalkameras, die aussehen als hätte sie jemand direkt aus den 2000ern hergebeamt. Doch der Schein trügt. Frank hat die Kameras so umgebaut, dass sie im Infrarot- und Ultraviolett-Bereich aufnehmen können. "Aber das beste Messgerät ist man selbst", sagt er.
Das Erforschen von paranormalen Begebenheiten ist für das Team mehr als nur ein Hobby – das merke ich sofort. Geld verdienen sie mit den paranormalen Ermittlungen nicht. Eigentlich haben sie ganz normale Jobs als Veranstaltungstechniker, Vertriebsleitung oder Bürokauffrau. "Wir wollen helfen und wir wollen erforschen", sagt Frank. Die Gruppe bekommt circa 30 Anfragen pro Jahr per Mail. Die meisten Hilfesuchenden melden aber schon nach der ersten Antwort nicht mehr zurück, deswegen müssen sie bei nur rund drei Fällen die Klienten wirklich besuchen. "Viele Leute sind enttäuscht. Die hätten am liebsten ein Zertifikat, auf dem steht, dass es bei ihnen spukt", sagt er. "In 90 Prozent der Fälle finden wir nichts, und dann spinnen wir uns auch nichts herbei." Die Zahlen überraschen mich. Warum weiß ich auch nicht genau. Auf der einen Seite hätte ich gedacht, dass paranormale Phänomene öfter gemeldet werden – aber irgendwie auch logisch, dass das meiste mit natürlichen Ursachen geklärt werden kann. Vielleicht überrascht mich auch einfach die Ehrlichkeit der Gruppe.
"Wenn die wüssten ..."
Manu und Andy holen einen Campingtisch aus ihrem Auto. Darauf breiten sie allerlei Snacks aus: Kekse, Bifi, Weingummi, Bananen ... "Normalerweise stehen hier sogar noch Salate und sowas. Das ist heute echt die Sparversion", lacht Frank. Langsam beginnt es zu dämmern. Es ist zwar Sommer, doch auf diesem Schlachtfeld fühlt es sich nicht mehr so an. Ich friere. Und mit dem Untergang der Sonne, kommt mein mulmiges Gefühl wieder – da hilft auch die sonst so heimelige Atmosphäre nichts. "Hört ihr die Kanonenschläge?", fragt Manu plötzlich. Und tatsächlich, in der Ferne hört man Geräusche, das wie Schüsse klingen. Nicht gerade hilfreich gegen meine Angst.
Ein fremdes Auto kommt auf uns zu gefahren. "Hilfe, wie sollen wir denen erklären, was wir hier machen?", fährt es durch meinen Kopf. Zum Glück rast das Auto wieder davon, als die Insassen uns sehen. "Die wollten bestimmt hier eine Nummer schieben", lacht Manu. Ganz so abwegig scheint das nicht. Bei unserer Ankunft hatte sie benutzte Kondome im Gebüsch gefunden. "Wenn die wüssten, was wir hier suchen." Ja, wenn die wüssten ...
Los geht's mit der Geisterjagd
Als alle Geräte und Kameras aufgestellt sind, ist es bereits dunkel. Los geht's. Manu und Gössy setzen sich zu einem "Sit-Down" etwas abseits vom Grillplatz, da wo sie schon beim letzten Mal mit dem Geist gesprochen haben. In ihren Händen Geräte, die elektromagnetische Felder messen. Beim letzten Mal hatten sie über den Gauss-Master eine Kommunikation mit einem paranormalen Wesen herstellen können. Sie haben Fragen gestellt, geantwortet wurde mit den Ausschlägen des Messgeräts. Ein Piep bedeutet Ja, zwei Nein. Doch heute bleiben alle Fragen bleiben unbeantwortet. "Ist überhaupt jemand hier?" Mein Herz pocht. Bitte lass das Gerät endlich ausschlagen. Nein, lieber doch nicht – ich muss heute Nacht alleine schlafen.
Andy und Frank machen zwischenzeitlich immer wieder Fotos mit den umgebauten Infrarot-Kameras. Vielleicht sei bei der späteren Sichtung der Bilder etwas Paranormales zu sehen. Der Verschluss der Wärmebildkamera klappert im Wind gegen das Stativ – und ich habe einen halben Herzinfarkt. Spannender wird es aber leider nicht. Wir setzen uns an den Tisch und machen eine Pause. Doch auch ein zweiter und dritter Versuch für eine Kontaktaufnahme bleiben ohne Erfolg.
Plötzlich rutscht eines der Messgeräte vom Gedenkstein – und mit ihm mir mein Herz in die Leggings. Bin ich jetzt froh – oder traumatisiert?! Gössy versucht noch ein letztes Mal, mit dem Geist zu sprechen. "Oder ist das Gerät einfach nur runtergerutscht und du kannst nichts dafür?" Der Stein ist rutschig, es wäre kein Wunder, wenn es von selbst runtergefallen ist. Und trotzdem pocht mein Herz so schnell, dass ich Angst habe, die anderen können es hören. Ich bin eindeutig der größte Angsthase in der Runde. Als 2007 der Film "Paranormal Activity" in die Kinos kam, habe ich es kaum ausgehalten, mir nur den Trailer anzuschauen. Seitdem habe ich regelmäßig Albträume, in denen Dinge unerklärlich durch die Luft fliegen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es mir gehen würde, wenn ich tatsächlich mal Zeuge von paranormalen Aktivitäten werden würde.
Geistergeschichten aus dem wahren Leben
Im Gegensatz zu mir sind die Mitglieder der PRG-HH die ganze Zeit über sehr entspannt – und das obwohl einige von ihnen schon Dinge erlebt haben, die für mich ein wahr gewordener Albtraum wären. Frank zum Beispiel hatte im Schwedenurlaub in den Neunzigern eine Geistererscheinung. Sie waren zu dritt in einem Sommerhaus, als sie ein Klopfen und Wimmern hörten. Die Gestalt einer Frau erschien und schwebte durch den Raum. Für mich klingt es nach einem Horrorfilm, doch Frank hatte keine Angst. Er glaubt an eine Welt nach dem Tod. Und ich hoffe, dass er Unrecht hat – zumindest für heute Nacht.
Dann erzählt Manu mir ihre Geschichte. Auch sie hat Spuk schon am eigenen Leib erfahren müssen: nächtliches Telefonklingeln mit einem anderen Ton, als sie eingestellt hatte, morgens standen die Türen der Küchenschränke offen, Lichter, die flackern. Und das über drei Jahre lang. Ich bin sprachlos. "Ich weiß nicht, ob ich das so lange ausgehalten hätte", sage ich. Als sie dann erzählt, dass im Beisein einer Freundin ihre Musikanlage angegangen sei, obwohl sie den Stecker gezogen habe, ist es bei mir vorbei. Ich. Habe. Richtig. Angst. Hätte ich die Geschichte irgendwo im Internet gelesen, würde ich denken: So ein Quatsch. Aber so wie Manu vor mir steht, glaube ich ihr jedes Wort. Jegliche Skepsis, die ich hatte, ist verflogen.
Und auch als ich nachts zu Hause in meinem Bett liege, habe ich immer noch ein mulmiges Gefühl. Dabei ist nichts Außergewöhnliches passiert. Und da ist sie plötzlich: Enttäuschung. Obwohl ich den ganzen Tag über panische Angst hatte, dass irgendetwas passieren könnte, das sich kein Anwesender erklären kann, spricht da jetzt ganz leise eine Stimme, die heute gerne ein bisschen mehr Action gehabt hätte. Wenigstens irgendwas. Vielleicht schlummert da neben dem riesigen Angsthasen doch ein kleiner Ghostbuster in mir.
Die NEON-Videoreportage zu den Geisterjägern könnt ihr euch hier anschauen:
