Wie wohl der Nachbar von nebenan lebt? Oder die seltsame Oma aus dem dritten Stock? Und wer ist das eigentlich im Erdgeschoss? Viele Großstädter kennen das Problem (oder den Segen), dass man seine Mitmenschen gar nicht mehr so genau kennt. Das kurze "Hallo" im Treppenhaus einmal im Monat ist oft der Höhepunkt der Nachbarschaftsbeziehung.
"Einmal sind wir WIR und das andere Mal die ANDEREN"
Die Wiener Fotografin Kati Bruder hat einen Blick hinter die Wohnungstüren geworfen. Ihr Fotoprojekt "WIR ANDEREN" begann mit einem Text aus dem Magazin "Lettre International" von Schriftsteller Bora Cosic alias Beltempo: "Am liebsten ist mir, wenn alle richtig verteilt werden, die Irren in die Irrenanstalt, die Mörder ins Zuchthaus, und wir anderen sind zu Hause, damit wir uns das Ganze im Fauteuil bei einem Tässchen Kaffee ansehen", schreibt er.
"Inspiriert von Beltempos Text begann ich, Gemeinschaften zu besuchen, immer auf der Spur nach sozialen Verbindungen in Zusammenhang mit Räumen", sagt Kati Bruder. "Das WIR einer Gemeinschaft ist wie eine soziale Skulptur, der man angehört, die zugleich auf die anderen blickt. Wir sind immer beides: sowohl Subjekt als auch Objekt. Einmal sind wir wir und das andere Mal die anderen."
Ein kurzer Blick in das Leben des anderen
Das Ergebnis sind Bilder, die eine Intimität ausstrahlen, wie man sie nur selten erlebt. Sicher jeder kennt diese Neugier, wenn beim Nachbarn zufällig die Tür einen Spalt offen steht und man gern einen kurzen Blick in das Leben des anderen werfen würde. Kati Bruder ist diese Umsetzung grandios gelungen. Durch ihre Fotos erhaschen der Betrachter einen intimen Einblick - fast schämt man sich ein bisschen, in die Privatsphäre eines Fremden einzudringen. Und doch ist es faszinierend zu sehen, wie andere Menschen leben, wie ihre Wohnungen aussehen und ob man sich selbst darin wieder erkennt.
"Ich fotografiere Menschen, die durch räumliche Umstände von außen als Gruppe wahrgenommen werden. Dabei treffe ich sowohl Schicksalsgemeinschaften als auch selbstorganisierte oder temporäre Gemeinschaften", schreibt sie auf ihrer Webseite. "Immer bitte ich die an einem speziellen Ort lebenden Menschen, mir ihre Eingangstüre zu öffnen und sich im Vorraum zu positionieren."
Sie ist "auf der Suche nach der idealen Gemeinschaft" auch außerhalb von Österreich unterwegs. In Athen hat sie Bewohner von Flüchtlingsunterkünften besucht oder in London spontan den Freund einer Freundin porträtiert.
"WIR ANDEREN" schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Die fotografierten Wohnungen sind authentisch, manchmal unaufgeräumt und herrlich normal. Nebenan sieht es eben oft genau so aus wie bei dir zu Hause.
